Zwei Nationalparks wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten-Die Plitvicer Seen und ihr unbekannter bosnischer Nachbar


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May 25th 2019
Published: May 27th 2019
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Am nächsten Morgen fahren wir um neun Uhr mit einem Shuttlebus vom Campingplatz die fünf Kilometer zum Parkeingang. Dort schaffen wir es ganz vorne in die Schlange, aber dennoch tut sich minutenlang nichts bis irgendwann die Information zu uns durchdringt, dass es vor 11 Uhr keinen Einlass an diesem Eingang geben wird. Währenddessen werden allerdings die asiatischen Reisegruppen (vermutlich mit vorgebuchten Tickets) im Sekundentakt links an uns vorbeigeschleust. Man sagt uns allerdings, dass es am anderen Eingang noch Einlass gebe. Und so teilen wir uns mit ein paar anderen Gästen aus der Warteschlange ein Gruppentaxi zum Eingang zwei, wo man tatsächlich problemlos eingelassen wird. Müssen wir nicht verstehen, haben wir auch bis heute nicht. Möglicherweise liegt es daran, dass Teile des Parks nach den heftigen Regenfällen der letzten Wochen gesperrt sind, allerdings ist diese Maßnahme dennoch nicht geeignet, die Besucherströme etwas zu regulieren, wie wir später feststellen werden. Vom Eingang zwei aus laufen wir runter zum großen See wo man mit einem Elektroboot ans andere Ende übersetzen kann. Von dort laufen wir dann los, den Reisegruppen von Eingang eins entgegen. Marlene läuft anfangs noch enthusiastisch auf Grund des ganzen „Wassers“ und der „Treppen“ (zwei ihrer derzeitigen Lieblingsdinge) selbst, muss aber bald in die Kraxe, wo sie sofort erschöpft einschläft, und das ist auch gut so. Auf den engen, teils rutschigen Holzstegen zwischen den wunderschönen türkisblauen Seen und Wasserfällen geht es nämlich bald zu wie im Kaufhaus beim Schlussverkauf. Unsere Lieblingstouristen in Gruppenstärke schieben und schubsen, laufen nebeneinander und schwenken mit ihren riesigen Stativen herum, dass einem wirklich der Spaß vergehen kann. Es ist teilweise so eng und voll, dass man „anstehen“ muss um zum nächsten fotogenen Örtchen weiterzukommen, da alles von Team Selfiestick blockiert wird. Wir fragen uns ob wir noch früher hätten da sein sollen aber man versichert uns, dass es hier um jede Tageszeit so aussehe. Die Plitvicer Seen sind mit über einer Million Besuchern im Jahr heillos überfüllt. Daran ändert auch ein stinknormaler Montag außerhalb der Ferienzeit und bei zunächst relativ bescheidenem Wetter: garnichts. Natürlich ist die Sperrung der Upper Lakes eine zusätzliche „Belastung“ für den Rest des Parkes aber das ändert leider nichts daran, dass wir uns trotzdem sehr durchgeschleust vorkommen während die wunderschöne Natur links und rechts trotzdem nicht spurlos an uns vorüberzieht.

Diese unglaublich türkisen Seen vor der Kulisse der steilen Felsenlandschaft um uns herum ist einfach atemberaubend schön. Den Höhepunkt der Frustration erreichen wir allerdings, als uns am „großen Wasserfall“ tatsächlich eine Warteschlange von ca. 200 m erwartet, nur um auf dem engen Holzsteg um die Ecke zu kommen und den Wasserfall zu sehen. Dann finden wir allerdings eine kleine Flucht vor den Massen, je höher man aufsteigt, umso weniger Menschen begegnen dir. Zumindest auf der Seite des Tales, auf der nicht die „Panoramabahn“ fährt und die Touristische Infrastruktur in Form von Bistros und Toiletten angesiedelt ist. Und von oben ist dann die Aussicht nochmal schöner. Von hier sieht man die Enge von Seen und Wasserfällen gefüllte Schlucht in ihrer ganzen Pracht und die Menschenmassen verblassen zu kleinen Punkten auf den Stegen. Die Magie dieses Ortes erwacht.Aber natürlich müssen auch wir wieder zurück zu den Ausgängen und somit legen wir auch auf der rummeligen Seite nochmal ein paar Kilometer Strecke oberhalb der Seen zurück. Aber hier entzerrt es sich ein wenig und für Marlene ist es auch wieder etwas sicherer selbst zu laufen, was unser Tempo dann automatisch entschleunigt. Als die Sonne gegen 14 Uhr rauskommt, wird es nochmal schöner und so laufen wir den zuvor bereits zurückgelegten Weg gerade nochmal zurück. Da wir um 15 Uhr als wir uns durch die Reisebusladungen zurück zum Ausgang schieben, nicht noch zwei Stunden bis zur Abfahrt des Shuttlebusses warten wollen, stellen wir uns an der öffentlichen Bushaltestelle auf, wo uns jedoch bald klar wird, dass wir gerade den Bus verpasst haben und der nächste auch erst in zwei Stunden fährt. Der Taxifahrer macht uns allerdings auch ein Angebot, auf das wir auch nicht eingehen wollen. Ein junger Kroate, der selbst an der Haltestelle wartet, gibt uns den netten Tipp, dass gleich der Bus kommt, der die Nationalparkmitarbeiter nach Hause fährt und dass wir den Busfahrer fragen können, ob er uns mitnimmt und am Campingplatz raus lässt. Und das macht der Busfahrer tatsächlich und möchte dafür nicht mal ein paar Kuna haben, die wir ihm in die Hand drücken wollen. Den Rest des sonnigen Nachmittags verbringen wir auf dem Campingplatz und genießen die Ruhe. Da wir uns am Vortrag in der schlammigen Wiese ziemlich festgefahren haben, lassen wir uns noch von unseren Stellplatznachbarn mit ihrem Bulli aus der Wiese ziehen und stellen uns an eine etwas trockenere Stelle für die Nacht, in der schon wieder Regen fallen soll.



Der nächste Morgen führt uns über die Grenze nach Bosnien und Herzegowina. Der Grenzübertritt klappt entgegen unserer Erwartungen völlig geschmeidig und ohne Wartezeiten und niemand will unsere grüne Versicherungskarte oder gar die Internationale Geburtsurkunde von Marlene sehen. Die hatten wir extra noch kurz vor der Reise ausstellen lassen, da wir ja keinen gemeinsamen Familiennamen tragen und es hieß, dass wir da vielleicht Probleme bei der Ein-/Ausreise aus der EU bekommen könnten. Gerade über Bosnien werden wohl derzeit viele Flüchtlinge geschleust und man würde dort sehr streng kontrollieren. Wir wirkten scheinbar vertrauenswürdig. Kurz hinter der Grenze beginnt das bosnische Pendant zum Nationalpark Plitvicer Seen, der Una Nationalpark. Der Una ist ein glasklarer, smaragdgrün schimmernder Fluss, der uns eine ganze Strecke lang begleiten wird und trotz des zwischenzeitlich mal wieder einsetzenden Nieselwetters ist er wunderschön und naturbelassen. Ab und zu kommen wir an einem kleinen Picknickplatz oder einem Badesteg vorbei und ich bin ein wenig traurig, dass wir nicht im Sommer hier sind. Dafür haben wir den Nationalpark praktisch für uns und werden in den kleinen Dörfern am Wegesrand freundlich bis ungläubig gegrüßt. Wir halten einmal an einem Stand vor einem alten Bauernhaus und kaufen hausgemachte Marmelade, Honig und eingelegten Käse bei einem älteren Herrn, der kein Wort deutsch oder englisch spricht, und nachdem sich unser Camper die 15 Kilometer Schlaglochschotterpiste zum „Haupteingang“ des Parkes durchgequält hat, bezahlen wir dort an einer kleiner Holzhütte bei einem im Regen wartenden Ranger 3,50 Euro Eintritt. Was für ein Unterschied zu dem völlig kommerzialisierten Nachbarn auf kroatischer Seite. Die Zufahrtstraße zur Hauptattraktion des Parkes, dem wunderschönen Strbacki Buk, teilen wir dann auch nur mit ein paar wilden Pferden und am Wasserfall selbst parkt außer uns ein Fahrzeug. Wir laufen, leider immer noch im Regen, auf den gut ausgebauten Plankenwegen ein bisschen herum und bewundern den Wasserfall und den glasklaren Una, der sich hier durch einen Canyon frisst. Marlene ist mal wieder begeistert und schreit alle paar Minuten „Wasser, Wasser“ und tatsächlich ist das sowohl von oben als auch von unten die beste Zusammenfassung für unseren Besuch hier. Wie schön es hier bei Sonnenschein sein muss, das können wir uns dennoch gut vorstellen. Wir fahren also weiter und dem schlechten Wetter davon. In der kleinen Grenzstadt Bihac gehen wir noch in einen einheimischen Supermarkt und stocken unseren Proviant etwas auf. An der Frischetheke gibt es köstlichen Käse, insgesamt kaufen wir ein Kilo verschiedener Sorten und bezahlen dafür 7 Euro. Dann noch frische Baklava, Brot, Gemüse und Obst sowie ein bisschen Schokolade, Taschentücher, Wurst und Marmelade. Am Ende bezahlen wir keine 30 Euro für unseren doch sehr vollen Einkaufswagen. Das Preisniveau in Bosnien liegt etwa 50% unter dem unsrigen. Die Straßenverhältnisse sind dafür allerdings auch sehr gewöhnungsbedürftig. Im Una Nationalpark hatten wir für die 15 km Strecke zum Wasserfall locker 30 Minuten gebraucht, zeitweise konnte man nur 10 km/h fahren. Außerhalb des Parkes ist zwar alles asphaltiert aber es gibt praktisch in ganz Bosnien nur ein Stück Autobahn bei Sarajevo, der Rest des Landes wird über kurvige Landstraßen in unterschiedlich gutem Zustand erschlossen. Und so rechnet unser Navi für die nächsten 60 km zu unserem Campingplatz im kleinen Ort Busanska Krupa mal eben 1:20 h aus. Das stellt sich als realistisch heraus aber die Fahrt ist wunderschön. Das Wetter klart auf und wir fahren entlang des Una durch eine enge kurvige Schlucht. Bei LKW im Gegenverkehr muss man teilweise bis zum Stillstand abbremsen, mehrmals einen unbeschrankten Bahnübergang überqueren, durch naturbelassene Tunnel und über einspurige Brücken und neben den Bahngleisen und dem Fluss ist gerade so Platz für die Straße in dieser Schlucht. Wir durchqueren ein paar unscheinbare Kleinstädte und Bauernhäuser mit gepflegten Gemüsegärten und immer wieder Straßenstände mit hausgemachten Produkten, hauptsächlich Schnaps und Honig. Überhaupt steht hier in fast jedem Garten ein Bienenstock, Honig machen scheint hier ein Volkssport zu sein. Irgendwann kommen wir aber doch in dem erstaunlich großen Ort Busanska Krupa und auf unserem Campingplatz direkt am Fluss an. Hier ist außer uns niemand und Idris, der nette Betreiber, der ganz passabel deutsch spricht, ist offenbar auch etwas überrascht von unserem Auftauchen. Wir haben freie Platzwahl auf der gepflegten Wiese und bekommen sogar Abends etwas Fleisch auf den Grill gepackt, während seine Frau uns noch hausgemachtes Ajvar und Krautsalat zubereitet.



Der Una plätschert hier ruhig vor sich hin und im klaren türkisfarbenen Wasser können wir unzählige kleine Fische entdecken während wir auf der Terrasse über dem Fluss essen. Den Nachmittag und den nächsten Vormittag verbringen wir einfach nur damit das schöne sonnige Wetter zu genießen, etwas Wäsche zu waschen und zu faulenzen. Die nächste Fahrtstrecke wird uns Richtung Sarajevo führen, eigentlich nur 300 km entfernt aber laut unserer Navigations-App soll das über fünf Stunden dauern. Nachdem wir noch zwei weitere Navigationssysteme befragt haben, sind wir uns leider sicher, dass auch diese Kalkulation vermutlich leider der Wahrheit entspricht und machen uns noch auf einen weiteren Zwischenstopp gefasst. Am Ende soll uns die Fahrt nach Sarajevo über sieben Stunden reine Fahrzeit kosten aber nach etwa fünf Stunden durch schier endlose grüne Berge, vorbei an glasklaren türkis schimmernden Seen und durch Schroffe Berge und bewaldete Hochebenen kommen wir an unserem Tagesziel, dem wunderschönen Ramsko See an. Schon von hoch oben sieht man ihn türkis zwischen den Bergen leuchten und die kleine Halbinsel Scit (japp, spricht man tatsächlich aus wie das englische Wort für „Scheisse“) mit ein paar Häusschen und Kirche zieht sich wie ein grüner Damm durch das Wasser. Hier übernachten wir in einem kleinen Autokamp, das ist praktisch nur eine Wiese die zu einem Privathaus gehört und Campern zur Verfügung gestellt wird. Sowas gibt es hier in Bosnien öfter, quasi Camping mit Familienanschluss. Für 10 Euro dürfen wir hier bei Adrijan und seiner Familie einen Logenplatz am Wasser beziehen und werden erst mal mit Slivovic (Schnaps) und bosnischem Kaffee begrüßt. Der bosnische Kaffee gleicht dem türkischen Mokka, er wird mit dem Kaffeesatz aufgegossen, ist dickflüssig und schaumig und schmeckt leicht malzig. Wir finden ihn köstlich. Außer uns übernachten noch zwei tschechische Motorradfahrer in dem kleinen Pensionszimmer im Dachgeschoss der Familie und wir genießen den sonnigen Nachmittag auf der Terrasse der Familie. Außer Adrijan, der in Nürnberg eine Ausbildung macht und gerade auf Heimaturlaub ist, spricht keines der Familienmitglieder deutsch oder englisch aber Adrijans Mutter ist ganz vernarrt in Marlene und bringt ihr einen Apfel und einen gefüllten Kreppel. Erst als sie mit einer großen Flasche Fanta ankommt, winken wir ab. Dafür riecht es kurz darauf nach Abendessen und unsere Gastgeberin kommt mit riesigen Stücken selbstgemachter Pizza aus dem Haus, die sie uns serviert. Für mich bringt sie dann noch einen Tee mit Honig, weil ich seit den kalten Tagen in Slowenien einen fiesen Husten nicht losbekommen habe. Das ist bosnische Gastfreundschaft. Wir sitzen noch eine ganze Weile dort und unterhalten uns mit den Tschechen und Adrijan, während Marlene mit ihrem Dreirad um uns herum flitzt, die Katzen und Hunde der Familie begutachtet und mit ihrem Ball spielt. Plötzlich kommt noch mehr Schnaps auf den Tisch und am Ende des Tages ist Dennis erst mal bedient mit bosnischem und tschechischem Schnaps. Am nächsten Morgen um sieben entfaltet der Ort seine ganz besondere Magie. Friedlich liegt der See glatt wie ein Spiegel da, es ist kein Auto unterwegs, sogar die Hunde schlafen noch und die Berge und die kleine Kirche spiegeln sich in dem glasklaren Wasser. Als ich vom Duschen zurückkomme hat Adrijans Mutter mir schon wieder einen Tee mit Honig hingestellt und als die beiden Tschechen zum Frühstück erscheinen, stehen plötzlich vier Portionen gefülltes Omelett, Würstchen, ein riesiger Brotkorb und Für jeden zwei Palacinci (mit Marmelade gefüllte Pfannkuchen) auf dem Tisch. Wir können nicht anders als mit essen und sind von der Gastfreundschaft der Bosnier einfach nur umgehauen. Bei unserer Abfahrt müssen wir sie dann zwingen für das ganze Essen wenigstens noch 10 Euro zusätzlich anzunehmen. Garnicht so einfach wenn man kein einziges Wort in einer gemeinsamen Sprache spricht. Das war Camping ganz nach unserem Geschmack, mitten in der Natur und mitten unter den Leuten. Von Adrijan erfahren wir auch ein paar kuriose Fakten über Bosnien und Herzegowina. Zum Beispiel, dass es auf Grund der verschiedenen Ethnien in Bosnien drei amtierende Präsidenten gibt, die sich alle 8 Monate im Amt abwechseln. Quasi einer für die Serben, einer für die Kroaten und einer für die Bosnier. Er erklärt uns auch ein wenig über die serbische Entität Republika Srpska, die auf bosnischem Staatsgebiet liegt und seit dem Balkankrieg existiert. Hier lebt ein Großteil der bosnischen Serben mit eigenem politischem System und unabhängiger Legislative und Gerichtsbarkeit. Fast 49 Prozent des Bosnischen Staatsgebietes gehören zur Republika Sprska, die wir auch auf dem Weg hier her durchquert haben. Es gibt keine sichtbare Grenze aber ein riesiges Schild wies uns darauf hin. Auf unserer Weiterfahrt nach Sarajevo werden wir ab jetzt mit immer mehr mit Zeugnissen dieses Krieges konfrontiert werden: Hinweise auf Landminen, zerbombte Häuser am Wegesrand, aus deren gespenstischen Fensterhöhlen schon die Bäume sprießen, Häuser mit Einschusslöchern und viel Armut prägen bis heute dieses Land, in dem noch vor zwei Jahrzehnten einer der schrecklichsten Kriege und eines der furchtbarsten Massaker der Neuzeit quasi vor unserer Haustür und unter den Augen der UN passiert sind. Den berühmtesten Schauplatz dieses Krieges wollen wir als Nächstes erkunden.


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