Endlich Stille


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November 14th 2005
Published: November 15th 2005
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So, kaum zu glauben aber es ist schon wieder Montag. Auch wenn es diesmal keine Neuigkeiten gibt.

Dieses Wochenende sollte richtig ausgefallen werden. Wir wollten von der Nachbarstadt nach Tscheljabinsk wandern. War mein Vorschlag, mal etwas anstrengendes zu machen. Mir fehlt jegliche sportliche Betaetigung. Und ich fand es ganz angemessen mal eine Wanderung zu machen (sind vielleicht 45 km, aber es ist eine Strasse in der Naehe, und sobald man nicht mehr kann ist da noch die Moeglichkeit per Lewit Tatschku heimzukommen (siehe Bericht vor 3 Wochen)). Dies waere einmal eine Herausforderung gewesen.
Ein ernstzunehmender Faktor ist auch die Kaelte. Ich war am Freitag noch fest davon ueberzeugt den “teuflischen Plan” (einer der vorangegangene Berichte) durchzufuehren. Doch es sollte anders kommen.
Ich hatte ja schon erwaehnt das ich die Handy Tarife nicht wirklich durchschaue. Nun, entgegen meiner Erwartung ist man hier nur erreichbar wenn das Mobiltelefon ein Guthaben besitzt. Fuer mich unglaublich verwirrend. Damit schneiden sich doch die Anbieter ins eigene Fleisch da viel weniger Gespraeche gefuehrt werden. Aber vielleicht gibt es eine Erklaerung dafuer.
Wie gesagt, ich war also nicht erreichbar. Somit wurde die Wanderung nicht durchgefuehrt. War vielleicht gut so, denn wer weiss was dabei am Ende herausgekommen waere.

Ich habe also das Wochenende anderweitig genutzt. Zum Beispiel Bowling. Ist hier noch tierisch neu und hipp. Da hab ich als alter Hase natuerlich ersteinmal grossen Eindruck gemacht. Zumindest am Anfang, gegen Ende hat mich dann das Glueck verlassen.
Wir haben hier den absoluten Wucherpreis gezahlt, eine Bahn, eine Stunde, fuer fast 20 Euro. Unglaublich oder? Wie gesagt, ist hier der neue Trend. Somit haben wir auf dieser Bahn zu zehnt gespielt damit der Preis vertraeglich wurde.

Also, das Wochenende war ich allein zu haus. Julia ist in St. Petersburg (ca. 2500km nordwestlich) und Anna ist in Orsk (~1000km suedwestlich) bei Ihrer Familie. Es war also niemand da, keine Musik, keine Telefonanrufe usw.
Endlich mal Stille, ist unglaublich wichtig von Zeit zu Zeit. Und wenn man wie ich mit zwei Maedels in einer Zweiraumwohnung lebt, und das in Russland, so geniesst man es wenn einmal Stille herrscht. Ruhe von den ganzen Eindruecken und Infos die das Leben hier so bietet. Lang schlafen und sich Zeit nehmen alles zu verarbeiten. Ich glaube das ist auch eine der wichtigsten Sachen wenn man den Kulturschock vermeiden / begegnen will. Man sollte sich Auszeiten nehmen. Und bei mir ist die ganze Woche sehr hektisch gewesen. Immer bis ca. 1830 arbeiten (auch wenn das noch eher ruhig zu geht) und danach ist immer irgendein Treffen, irgendetwas los. Komme nie vor 0000 ins Bett. Ist auch alles immer richtig interessant, aber es strengt auch an. Man muss immer hochkonzentriert sein, immer alles aufnehmen und verarbeiten (geht auf der Strasse los - Autos, Hunde, andere Leute, Kaelte, Aeste/Stromkabel welche herumliegen, vereiste Stellen auf dem Gehweg, Muell, Abgase, bekannte Leute die einen mit gebrochenem Englisch bzw unverstaendlichem Deutsch anreden, ueberall Schlannge stehen, immer irgendwelche total komisch durchgefuehrte Sachen mit noch verwirrenderen Begruendungen, der Gasherd muss auf spezielle Art ausgeschalten werden sonst ist der nicht wirklich aus und das Gas stroemt weiter, das Schloss muss besonders behutsam geschlossen werden, sonst passiert das was uns neulich Nachts passiert ist, usw.). Man kann nie abschalten. Mal einfach in den Tag hinein traeumen. Zumindest ich kann mir das nicht leisten. Man kann sich auf nichts verlassen und nichts vorraussetzen, immer muss alles geprueft bzw. nachgefragt werden. Besonders wenn ich abends heimgehe stehe ich schon irgendwie unter Adrenalin.
Es hat auch mehrmals geklingelt. Hoffentlich war es nicht wichtig, habe jedenfalls nicht geoeffnet. Ich haette eh nichts machen koennen. Es sei denn es brennt, dann haette ich das Haus verlassen koennen. Hat es aber nicht. Der ganze Rest haette mir nur Probleme eingebracht, denn der Vermieter weiss natuerlich nichts von meiner Untermiete.

Wie dem auch sei, ich hatte also sturmfrei, der erste Gedanke war - cool, ich rufe drei vier Leute an und wir nutzen das aus. Am Ende habe ich aber gar nichts gemacht, einfach nur mal komplette Ruhe genossen. Ach ja, und gepfiffen habe ich, den ganzen Tag. Natuerlich in der Wohnung. Ich weiss, Ich weiss, das grenzt schon ein wenig an Hochverrat wenn ich die Abwesenheit der Maedels so schamlos ausnutze, aber irgendwo muss ich mir auch mal etwas herausnehmen koennen. Wenn ich mich schon an die anderen Regeln alle gehalten habe. So habe ich zum Beispiel die gesamte Zeit nicht aufgeraeumt - war ein Befehl, denn wenn ein Bewohner der Wohnung auf Reise geht darf man solang nicht aufraeumen bis dieser angekommen ist. Nun, ich habe immer noch keine Antwort von den Maedels das sie angekommen sind. Nehme also an das Sie noch unterwegs sind. Dann darf ich natuerlich auch nicht aufraeumen, 😊. Morgen werden beide wieder eintreffen.

Nochmal zur Kaelte. Der Fluss (siehe vorherige Photos) ist mittlerweile zugefroren. Auch wenn Ihr euch sicherlich sagt, das Weichei, heult rum nur weil es ein, zwei Grad minus sind. Ich finde es hier ganz schoen kalt. Liegt daran das wir auch in der Wohnung nur einen Heizkoerper haben. Der ist Gott sei Dank in meinem Zimmer. Aber richtig gut geht er auch nicht. Da sich aber das soziale Leben in Russland zu einem Grossteil sowieso in der Kueche abspielt, wird diese auch beheizt. Mit dem Gasherd. Finde ich immer noch nicht wirklich die ideale Loesung. Man kommt in die Kueche und alle vier Herdflammen sind auch voller Pulle. Und weit und breit niemand zu sehen. Am Anfang habe ich spassenhalber gesagt: Ihr heizt wohl? Darauf habe ich ein beilaeufiges Nicken geerntet. Russland ist unglaublich. Kann man alles gar nicht richtig verarbeiten. Und erst aufschreiben, ich glaube vieles wird mir erst in Deutschland richtig bewusst werden.

Wie dem auch sei, ich habe also das Wochenende viel Zeit in der Kueche verbracht. Unsere Kueche ist wirklich nicht sehr gross. Dabei bemerkte ich ein rascheln. Anfangs dachte ich mir nichts dabei. Doch danach bemerkte ich die Maus (mittlerweile wurde sie/er Elton getauft). Er lief quer ueber den Tisch. 30 cm. von mir entfernt.
Seit seiner Entdeckung vor zwei Wochen hat sich viel getan. Die Maedels stehen voellig hysterisch auf den Stuehlen sobald er sich zeigt und es wurde per Mehrheitsentscheid beschlossen: Die Maus muss weg! Zwei dafuer und eine Gegenstimme, aber da ich immerhin die westliche Demokratie symbolisiere habe ich mich gefuegt.
Nun hatte ich also die optimale Chance. Ich konnte ihn fangen. Nach mehreren erfolglosen Versuchen (ca. 1 Stunde) beschloss ich die Taktik zu aendern. Ich lockte Elton mit Kaese in den Muelleimer. Dann schnappte ich den Muellsack und verzwirbelte diesen. Genau in diesem Moment erhielt ich einen Anruf. Ich gab Elton noch eine Chance und stellte den Beutel ab. Der Anrufer lud mich zum Pizzaessen ein. Ich zog mich an, nahm den Beutel (in welchem Elton immer noch sass - Chance leider nicht genutzt) und warf den Beutel in den Muellkontainer eine Strasse weiter. Dies sollte unser Problem mit dem Maeuserich geloest haben. Und wenn er wieder kommt werden wir Ihn umbenennen in Elvis (HaHa). Vielleicht kann ich dann sogar eine neue Abstimmung ueber sein Schicksal erreichen, auch wenn sich seine Chancen nicht wirklich verbessert haben sollten.

So, naechstes Wochenende werde ich wieder so ein AIESEC Seminar besuchen. Ist immer tierisch interessant, man lernt eine Menge und ich gehe dort immerhin als Gast hin. Kann mich also jederzeit ausklinken. Es werden um die 50 Leute erwartet und es geht zwei Tage. Fuer mich hat das also schon fast Klassenfahrt-Charakter. Was mich jedoch ein wenig stoert ist das es wieder in der gleichen Fabrikhalle stattfinded wie das letzte Mal. Und jetzt wird das sicherlich nocheinmal kaelter. Aber ich kann mich vorbereiten, werde mir also noch das Noetigste selbst mitnehmen. Z.B.: Klopapier, Trinkwasser, jede Menge Schokolade, eine Extradecke, usw. Ich werde euch dann schreiben solbald ich wieder aufgetaut bin.

Weiterhin habe ich verschiedene Plaene.

Das uebernaechste Wochenende ist ein weiteres Seminar von Aiesec in Omsk. Da soll ich auch hingehen, wieder als Gast. Finde ich gut, da kann ich mir gleich die Stadt noch ein wenig anschauen. Die Stadt ist eine Millionenstadt und eine Metropole in Sibirien. Doch wie immer hat die Sache einen Haken. Die direkte Zugverbindung dauert 13 Stunden und geht durch Kasachstan. Nur ca. 100 km, und es ist auch eigentlich fuer niemand wichtig. Ausser halt fuer mich. Russen koennen nach Kasachstan aus und einreisen wie sie moechten. Umgekehrt genauso. Nur in meinem Visum steht das ich, sobald ich Russland verlasse, nicht wieder hinein darf. Das ist auch kein Problem wenn ich mich in Deutschland befaende, aber wenn ich mich in Kasachstan in der Steppe in einem Zug befinde, meine Sachen in Tscheljabinsk, und der Grenzbeamte sagt: “NJET!”, dann koennte das schon ein Problem werden. Es gibt da sicherlich noch die Moeglichkeit ihn mit so komsich bedrucktem Papier zu ueberreden, aber das ist schon alles sehr heikel. Natuerlich wird mir hier immer versichert das alles nicht so schlimm sei und sowieso nichts passieren wird weil da noch nie jemand kontrolliert wurde und ueberhaupt… Ich habe meine Zweifel.
Es gibt wohl noch eine andere Zugverbindung ohne Transit durch Kasachstan, die dauert aber mal locker 7 Stunden laenger. (Wie schon vorher festgestellt sind das alles bestenfalls Richtwerte). Ich will eigentlich schon nach Omsk, aber nicht um jeden Preis.

Weiterhin werde ich vorraussichtlich bis 30.11. arbeiten und danach noch eine Woche nach Norden reisen. Irgendwer kennt da den Buergermeister in irgendeiner Kleinstadt und der hat mich eingeladen. Unbeschreiblich oder? Ist ca. 2 Zugtage noerdlich von hier, ueber dem Polarkreis. Bin mir noch nicht wirklich sicher, aber grundsaetzlich waere das sicher eine Erfahrung. Und die vier Zugtage (hin und zurueck) komme ich schon ueber die Runden. Wenn alles glatt geht bin ich dann spaetestens am 07.12. wieder hier und kann dann spaetestens am 08.12. nach good old Germany reisen. Wie gesagt, da bin ich aber noch am nachdenken, ist halt schon ein ganz schoen ausgefallenes Reiseziel.

Also, das war es von eurem verlorenen Sohn in Russland!


martin


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16th November 2005

Respekt...
mit jedem Text, den Du schreibst muss ich Deinem Trip und Dir mehr Respekt zollen. Ich denke, dass, auch wenn das vielleicht ein blöder Vergleich ist, die Grundausbildung eines Wehrdienstleistenden in der Bw weniger abverlangt, als all die Geschichten, welche Du so erlebst! Nur ist diese ganze Sache bei Dir ja der "Ernstfall" und bei uns "nur inszeniert". Dennoch macht alles immer einen sehr reizvollen Eindruck. Reizvoll in der Hinsicht, Dinge zu erleben, die man nicht jeden Tag haben kann, auch wenn sie einem einiges abverlangen! Ich denke Du wirst schon die richtigen Entscheidungen bezüglich Deiner Reisen fällen. Aus dieser, unserer Entfernung stehen uns ja nicht wirklich Wertungen zu diese zu befürworten oder abzulehnen. Komm gesund und munter zurück Martin! Wir warten auf Dich! der oli
18th November 2005

Ein seltener Gruß
Huhuuuuu Martin, na...nach dieser Begrüßungweißt Du sicher, wer Dir hier schreibt! Mensch Martin, köstlich, köstlich sind Deine Berichte...komme zwar kaum hinterher mit Lesen (Du solltest übrigens Schriftsteller werden!), aber alles klingt sehr spannend und interessant! Pass auf Dich auf, liebe Grüße von der Susi...und nun der klassische Abschluss...Schüüssssiiiiiiiiiiiii!:-)
20th November 2005

schön zu sehen, dass es dir gut geht, auch wenn ich daran nicht wirklich zweifeln kann. "nur die harten kommen in den garten", ich wüsste nicht woran du scheitern solltest :) die sache mit dem visum würde ich bedenken, ganz schön heiss. was das dorf hinterm polarkreis angeht - warum nicht ;) allein schon das ding 2 tage im zug zu verbringen ist einer anschauung wehrt. ich selbst dufte mal 18 stunden im zug verbringen, als wir zu bundeswehrzeit mit unseren panzern durch ganz deutschland cruisten. der hammer. bis zum nächsten mal christian

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