einfach nur ein Wochenbericht


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September 15th 2006
Published: September 15th 2006
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Was ist so passiert in den letzten Tagen?

Ich hatte ja meine Klasse gewechselt, aber irgendwie kann man es einem Kerl wie mir nun auch nie rechtmachen. Den, wo ich in der letzten Klasse zu viele Vokabeln nicht wusste und die Grammatik einfach zu viel fuer mich war, da bin ich jetzt zwar genau passend gelandet- ich lerne also quasi genau da weiter, wo ich in Deutschland aufgehoert hatte-, nur ist eben die Geschwindigkeit, in der gelernt wird nicht gerade ein Eiltempo, und mir dann doch oft zu langsam. Aber was soll’s. So ist es jetzt eben, und noch einmal zu wechseln wird sich wohl als recht schwierig erweisen, zumal die Frist abgelaufen ist, und ebenso moechte ich dann jetzt nicht schon wieder neu anfangen. Und die neue Grammatik kann ich ja so nun auch langsam erlernen.
Da ich in meiner Klasse pro Woche nur etwa 120 Vokabeln pro Woche lerne, was ungefaehr dem Pensum an meiner HTWG in Konstanz gleichkommt, nehme ich nachmittags nach den normalen Stunden noch Lektionen von Business- Chinesisch durch. Damit komme ich dann auf rund 200 Vokabeln pro Woche, was meinem zu schaffenden Pensum auch angemessen ist und ich krieg dann wenigstens auch mal die wichtigen Vokabeln fuers Berufsleben zu Gesicht.
Nur gibt es eben auch Vokabeln, die ich nicht kenne, die hier aber irgendwie mal noetig waeren. Zum Beispiel: „Bitte die Klobrille beim Geschaeft runterklappen und sich draufsetzen.“ Es muss in meinem Stock einen Koreaner geben, der die westliche Toilette mit benutzt. Und irgendwie hat er wohl oft das Gefuehl, es handelt sich dann doch nur um ein Loch, bloss halt von Wasser umspielt. Vielleicht vollfuehrt er auch einen Tanz bei seinem Beduerfnis, auf jeden Fall war die Toilette die letzten paar Tage kein gerade angenehmer Anblick. Ich habe dann mal wieder das Ganze im Hocken auf oestlicher Toilette durchgezogen (dabei zu lesen, habe immer noch nicht gelernt).
Aber man lernt jeden Tag neu, und ich habe jetzt auch einen Tandempartner, einen „zhongguo pengyou“ (woertlich uebersetzt „ein chinesischer Freund“). Sein Name ist Zhao Liming und wir treffen uns fast jeden Tag fuer zwei Stunden. Ich spreche auf Chinesisch und er auf Englisch. Somit hilft mir das zwar nicht viel im Hoerverstaendniss weiter, aber ich lerne neue Woerter und wende die gelernten Dinge an, kann Wendungen ausprobieren und es gibt mir eine gewisse Sicherheit im Reden, wenn ich weis, dass das was ich sage auch von einem Chinesen verstanden wird und keine Rueckfragen kommen. Ich glaube, ihm geht es auf der anderen Seite mit Englisch genauso.
Er ist bisher, ich kenne ihn ja erst eine Woche, mit einer der angenehmsten Menschen, die ich hier getroffen habe.
Ich hatte urspruenglich einfach nur einen Flugzettel an der Uni ausgehaengt. Shengmin hatte gemeint, dass auch er so sehr schnell einen Tandempartner gefunden hatte und so bin ich seinem Beispiel gefolgt. Nach dem Aufhaengend der Flugzettel hab ich mich in den Park der UIBE gesetzt und ein bisschen relaxed, wenn man das so nennen kann, wenn aus den Lautsprechern auf dem Campus laut Musik droehnt. Klassik bis Trance. Hier ist manchmal wirklich alles vetreten, jedoch am allermeisten eben dann doch der chinesisch beliebte Liebes Pop. (hier gibt es auch ein Lied, da kommt immer diese Textstelle „Ai ni“ (ich liebe dich) droehnende und volksmusikantenstadlaehnliche- als ob Florian Silbereisen Caught in the act imitiert- vor. Irgendwie schon ein Ohrwurm, nachdem jedoch meine Mitschueler (allesamt, bis auf eine fuenfunddreissigjaehrige juenger als ich und trotzdem schon fast auf dem selben Sprachlevel, tja ich bin halt ein alter Mann, erinnert mich auch an einen damaligen Mitschueler an der FOS, kann mich jetzt vielleicht so ein bisschen in ihn hineinversetzen) in den Pausen immer ein kleines Taschenradio voll aufdrehen und eben auch dieses Lied anscheinend sogar auswendig gelernt wird, kann ich es einfach NICHT MEHR HOEREN!
Auf jeden Fall: ich im Park und es kommt dann dieser Chinese, traegt ein Buch unter seine Arm, auf der Schulter der Riemen seiner Tasche. Wir beginnen langsam zu reden und kommen von allem auf nichts und dann wieder den Weg zurueck. Wir wollen Nummern austauschen. Er gibt mir seine, ich sage ihm meinen chinesischen Namen, und er weiss sofort Bescheid. Er hatte meinen Flugzettel gelesen und wollte mich am Abend eh anrufen. So habe ich Liming kennengelernt.
Wir haben uns von da an jeden Tag von sechs bis acht Uhr abends getroffen. Manchmal, und das habe ich ihm auch gesagt, waren das die besten Minuten an diesen Tagen. Er ist auch irgendwie ein Typ fuer sich. Kommt aus der Hebei- Provinz aus einem kleinen Dorf, wo er als Junge in einem Fluss Fische gefangen hat, und sie wieder frei liess. Dort wo seine Freundin als Englisch- Lehrerin arbeitet. Auch Liming will Lehrer werden. Er will Auslaendern die Kultur seines Volkes naeherbringen.

So hat er mir eben auch schon von seinem Helden erzaehlt, einem alten Kriegsherrn, der sich mit einem Freund verbruederte, sie vereinten ihre Heere im Kampf. Jedoch verliebte sich der Kriegsherr und konnte, ob das seine Liebe zu stark, nicht mehr in den Krieg ziehen, das veraergerte seinen Verbruederten und dieser wollte nun die Macht allein an sich reissen, kaempfte gegen den Kriegsheer mit einer riesigen Uebermacht. Erst nachdem er tausende seiner Gegner vernichtet hatte, verlor letzten Endes auch der Kriegsherr sein Leben und wurde in einen Fluss geworfen. Diesem Fluss spendeten die Menschen von Limings Volk lange Zeit Reis, in der Hoffnung, die Fische moegen nicht den Koerper des Kriegsherrn verzehren, sondern sich schon an dem Reis satt essen. Auf diese Weise sollte Ehre dem Manne widerfahren. Heute, so Liming, sagen sich die Leute aber: die Fische essen doch eh keinen Reis, also brauchen wir ihn auch nicht wegzuwerfen, und essen ihn lieber selbst. Erinnert dann schon irgendwie an diese Geschichte aus „Tai- Pan“, wo MeiMei und Struan mit einem Schiff voller Gold unterwegs sind und MeiMei unbedingt dem Gott der See, einen Barren Gold spenden will, um diesem zu besaenftigen. Nach laengerer Diskussion gibt Struan dann schweren Herzens nach und laesst Meimei gewaehren. Diese wickelt den Goldbarren in ein Laken, haelt ihn ueber die Reling und wirft dann geschwind nur das Laken ueber Bord um den Barren selbst unter ihrem Kleid verschwinden zu lassen. Struan will etwas sagen, und sie nur: „Still, oder willst du das der Gott des Wassers etwas davon bemerkt?“
Es ist schon irgendwie oft hier so, man folgt einem Ritual, einer Sitte, und wenn diese Sitte irgendwann nicht mehr erfuellt werden will, da sie einfach nicht praktisch ist, dann schaltet sich eine Art Rationalitaet ein, die neben dem reinen Gedanken (den Reis koennten wir auch gut selber gebrauchen) dann aber auch versucht, eine Besaenftigung oder Umgehung der Tradition zu schaffen (die Fische essen das eh nicht, deswegen reicht ein symbolischer Akt aus).
Gestern waren ich und Liming essen. Er hat wirklich nicht viel Geld, bezahlte alles (beim naechsten Mal bin dann ich dran) und es war wirklich wieder ein guter Abend. Wir haben ueber alles moegliche geredet. China, Deutschland, Gewohnheiten hier, da, sonst wo. Und dann kam auch diese Szene, wo er, auf chinesische Art, seine Schale Reis isst, sie absetzt und dann mit offenen Augen und Reis am Kinn klebend, meinen Ausfuehrungen ueber das Hochschulsystem in Deutschland, und was den nun eigentlich eine FH ist, lauscht.

Nach jedem Treffen, findet so etwas wie eine Abschlussrede statt. Ein Schlusspunkt, an dem Liming irgendwo dann doch sich der chinesischen Politik, oder zumindest deren Sprechweise, verpflichtet sieht und es wird sich ausfuehrlich bedankt, fuer die Gelegenheit, das Lernen, die Konversation, den guten Abend. Auch als wir uns kennen gelernt haben, wurde eben der Vorgang, das Beschliessen eines erneuten Treffens und des gemeinsamen Lernens mit einer zehnminuetigen Rede begruendet und abgehandelt. Ich habe noch nie so was erlebt. Ich glaube auch nicht, dass das eine Beijinger Sitte ist. Beijinger sind dann doch eher europaeisch (bis aufs Essen, die Toilette, das Spucken, das laute Telefonieren, das laute allgemein und ueberall, die Angewohnheit einem nicht so oft direkt in die Augen zu sehen, Liebe zur Popmusik, Hygiene…). Viel eher sehe ich in seinem Handeln eben dieses Wesen seiner Gegend, seiner Herkunft.
Nach dem Studium will er reisen. Ob im Ausland oder in China, das weis er noch nicht. Er will in die Berge, wo es Felder gibt und freien Blick.

Ist vielleicht komisch, dass ich soviel von ihm schreibe, aber er ist eben hier nun in dieser Woche auch meine Ansprechperson Nummer eins geworden. Ich mag unsere Treffen, den sie sind auch mal eine Pause zwischen dem ganzen Lernen Tag ein Tag aus.

Wie sind unsere Lehrer?
Uns unterrichten vier Frauen. Eine ist Mongolin, und die ist auch die, die man am besten versteht, da sie das reinste Hochchinesisch spricht. Eben, weil sie es auch gelernt hat.
Die zweite hatte mich nach ihren ersten Saetzen bereits davon ueberzeugt, dass ich nicht weiterhin in der ersten Reihe sitzen werde. Mir hat bereits nach drei Minuten der Kopf gedroehnt. Ueberhaupt scheint die Wendung „etwas jemandem einblaeuen“ hier mit einer starken Konsequenz und Lautstaerke verfolgt zu werden.
Die Rechnung ist wohl: Vokabel + Wiederholung = gut, aber: Wiederholung + LAUT = Erfolg.
Keine Ahnung, ob das wirklich klappt. Ich hatte nur Kopfschmerzen.
Lady Nummer 3 ist irgendwie immer ziemlich verwirrt. Sie ist auch die Klassenlehrerin, wenn man das so sagen will, und heisst Frau Song. Doch sie scheint sich nie so sicher zu sein, ob sie wirklich die richtige Klasse unterrichtet. Jedem Eintreten in den Klassenraum folgt ein fragender Blick ans schwarze Brett auf der Suche nach der richtigen Klassennummer.
Auch die letzte ist ein wenig merkwuerdig. Irgendwie habe ich das Gefuehl, sie hat irgendwo ein bisschen Deutsch aufgeschnappt, den jedem energischen „mingbai le ma?“ (habt ihr das verstanden), folgt (da keiner was verstanden hat, sagt auch keiner was, mein Banknachbar hat gemeint, dass der beste Weg durchzukommen, ein energisches Nicken, ein erhellendes „AAAAH“ sind, gefolgt von einer Geste des „hab ich kapiert“) immer eine wegwischende Handbewegung, als waeren mit dieser saemtliche Unklarheiten wie weggewischt und dann habe ich das Gefuehl immer ein lautstarkes „Passt!“ von ihr zu vernehmen. Christian, ein anderer Deutscher in meiner Klasse, meint das ebenso rauszuhoeren.
Es ist also so eine Art drillendes lustiges Lernen, mir manchmal zu langsam, aber wenn ich nachmittags noch meine Zusatzvokabeln lerne, dann denke ich schon, dass ich am Ende auch mit dem Pensum rausgehe, das ich gebrauchen kann.

We´ll see…

Demnaechst will ich dann auch mal ein paar Bilder (Klasse, Schulgebaeude, Shengmin und Liming) ins Netz stellen, damit man auch mal die Gesichter hinter manchen Storys sehen kann, aber ich bin bis jetzt noch nicht dazu gekommen Bilder zu schiessen. Ist irgendwie so, wie es oft bei mir ist. Man faengt an, begeistert sich fuer etwas, wie eben Fotografieren, und dann irgendwann nimmt man halt nicht mehr den Fotoapparat ueberallhin mit. Aber es wird sich schon noch ergeben. Naechste Woche Samstag geht es dann zur grossen Mauer. Ich weis noch nicht genau welches Stueck davon, aber been there, done that wird dann wohl auch dort der Wahlspruch sein.


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18th September 2006

Alles klar?
Was geht bei dir eigentlich?? Zu viel Fisch gegessen?
24th September 2006

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der Stille Leser ist immer in der Naehe, werde mich demnaechst mal melden!

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