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Published: March 31st 2018
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Ein Seil bringt uns zum Stoppen. Joaquin, unser Fahrer, kurbelt mit einem Lachen im Gesicht die Scheibe herunter. „Policía Nacional!“ tönt es ernst in unser Auto. Die Gesichter zweier Jungen, die kaum durch die Scheibe sehen können, schauen in unseren Wagen. Dann schiebt Joaquin eine Kekspackung rüber und unsere Fahrt kann bis zur nächsten provisorischen Absperrung weitergehen. La Guajira ist fest in Kinderhand, was das Business mit Süßigkeiten gegen Wegerecht betrifft." (zitiert aus dem
Reiseblog von Mad B.)
Ziemlich genau so hat sich das auch bei meiner Tour durch die Wüste -
el desierto de la Guajira - abgespielt. Es scheint als wäre diese karge, trockene Landschaft tatsächlich das Reich der kleinsten Bewohner dieser Region: Der Kinder. Auf der Fahrt von Santa Marta nach Cabo de la Vela durchquert man neben karger Wüste auch verschiedene andere Vegetationsformen und kleinere Dörfer, alles auf sehr gut ausgebauten Straßen, so lange bis man sich auf einmal in einer weiten Dünenlandschaft wiederfindet. Das strahlende Blau des Himmels trifft auf grellgelben Sand, dazwischen nur ein paar Sträucher, manchmal Kakteen, Wellblechhütten oder handgezimmerte Zäune aus Holzpfählen. Nach wenigen Metern in der Wüste tauchen schon die ersten Kinder am Horizont auf. Kaum zu sehen und für uns undenkbar,
dass sie sich alleine hier aufhalten. Alles erinnert mich unweigerlich an Afrika, wo die Kinder hinter den weit entfernten Büschen auftauchten um in vollem Tempo bei Mittagshitze auf den Jeep zuzulaufen. Winkend, schreiend, voller Neugierde, Spannung und Vorfreude. Mit einem gravierenden Unterschied: Die Kinder hier begegnen dem Reisebus mit einer Selbstverständlichkeit, einer Coolness, dass sich mir sofort die Frage aufdrängte "
Was für ein Spiel wird hier eigentlich gespielt?".
Als Tourist zahlt man für eine organisierte Reise, einen Reisebus, einen Guide. Man wird aber kurz darauf aufgefordert Süßigkeiten für die Kinder zu kaufen, dafür wird extra ein Halt in einem Dorf gemacht, das Geschäft hat allerlei Süßkram zum dreifachen Preis der "normalen" Süßigkeiten, alles schön sichtbar aufgeschlichtet. Natürlich freut man sich als Reisender den Einheimischen etwas zurückgeben zu können, allen voran den Kindern, aber so organisiert so einen ungesunden Schwachsinn zu verbreiten kam mir von Anfang an komisch vor. Wenig später war mir dann klar: Es gibt kein Passieren ohne Süßigkeiten, es gilt tatsächlich das unausgesprochene Gesetz
Wegerecht gegen Junkfood. Laut einem venezuelanischen Freund herrschen in dieser abgeschiedenen Region, unweit der Grenze von Venezuela, andere Gesetze: Die Wayuú (die indigene Bevölkerung der Region) geben ganz klar den Ton an. Hier
kann sich wohl nicht mal die kolumbianische Justiz durchsetzen, das System wird also von allen Parteien so mitgespielt. Dass man den Kindern keine anderen Werte vorlebt finde ich schade; mit Wasser, Früchten, Büchern, organisierten Spenden oder spielerischem Kulturaustausch könnte man bestimmt mehr bewegen. Somit bleibt ein trübes Gefühl, jedes Mal wenn der Bus mitten in der Wüste zum Stehen kommt und der Fahrer einer Horde Kinder Schokoriegel und Kekse in einem Plastiksack übergibt. Das mag vielleicht edel klingen, gleicht aber eher einer Wildtierfütterung, so wie die Kinder zum Fenster laufen und sich um die eroberte Beute streiten. Nur ein paar wenige lugen mit Interesse durch die Seitenfenster, zeigen sich dankbar den fremden Gesichtern gegenüber oder Winken durch die Scheibe.
Natürlich gibt es in der Guajira sehr viel Armut, und auch Menschen die mit mehr Achtsamkeit auf Touristen zugehen und dankbare Kinder die sich über eine Begegnung mit Fremden freuen. Für mich hat aber leider das Gefühl überwogen, dass der Tourismus die Wayuú zu Bettlern erzieht - und nicht etwa ermutigt, befähigt oder bestärkt, dass dieser Teil der Gesellschaft sich eigenständig aus der Armut befreit. In einem abgeschlagenen Gebiet in dem Ressourcenknappheit herrscht scheint mir gäbe es weit mehr Potenzial
zur Unterstützung und echten Nächstenliebe.
Aber nun mehr zu den positiven Dingen, die das Erlebnis ebenso prägen: Landschaftlich ist das ganze Gebiet sehr interessant, immerhin legt man in zwei Tagen ungefähr 14 Stunden Fahrtweg zurück, da bekommt man einiges zu sehen. Auch die ortstypische Küche ist auf jeden Fall einen Besuch wert: Allen voran
chivo, Ziegenfleisch, das in verschiedensten Formen meist mit
arroz de coco y plátano (Kokosreis und Kochbananen, meist als Bratlinge angerichtet) serviert wird. Die Wayuú-Frauen arbeiten den ganzen Tag an handgemachten Taschen, Armbändern und Ketten, die sind in ganz Kolumbien weit verbreitet und landestypisch. Je nach Muster, Farbe und Gestaltung können Einheimische die Waren den Regionen und Stämmen zuordnen, als Europäer sehen die Kunstwerke aber dann doch alle sehr ähnlich aus (sehr bunt, gestrickt oder gehäkelt, mit vielen Mustern). Da mir das aufdringliche Verhalten der Verkäuferinnen und Kinder nicht zugesagt hat, habe ich bei keinem unserer Besuche etwas gekauft (der Eindruck bleibt, diese armen Menschen wurden vom Tourismus und den Reiseveranstaltern zum Betteln erzogen und kleben fast wie Fliegen an jedem Touristen der etwas Interesse zeigt), hatte aber das Glück, dass unsere Reiseleiterin eine tolle Tasche erstatten und mir kurz darauf überlassen hat. Sie könne ja
jeder Zeit wieder zurückkommen...
Menschlich war die Tour auf jeden Fall wieder eine runde Sache: Unsere Gruppe bestand aus 14 Passagieren (12 Kolumbianer, eine Italienerin und ich), darunter einige Kinder die sich einen Spaß daraus machten mit mir Spanisch zu sprechen. Einmal als
extranjera ertappt, war ich natürlich ein sehr interessanter Gesprächspartner - auch weil stundenlange Autofahrten sonst natürlich schnell langweilig werden. Die Kids waren sehr interessiert, aufmerksam und machten mich bald zur Alleinunterhalterin der Gruppe, denn nicht nur die Kleinen waren neugierig, was eine Österreicherin alleine in der Wüste in Kolumbien macht. Dass sich ein paar Reihen hinter mir eine Italienerin verdeckt gehalten hat, die auch kein fließendes Spanisch spricht, wusste da noch niemand... Und das wiederum hat mir in Folge gezeigt, dass ich zwar noch wunderbar Italienisch verstehen kann, aber keinen ganzen italienischen Satz mehr herausbringe, ohne spanische Wörter hineinzuschummeln. Aber auch mit diesem Sprachen-Mischmasch haben wir uns gut verstanden.
Nach einer Nacht in der Hängematte am Strand - was auch ein sehr interessantes Erlebnis war, da hier die gesamte Gruppe direkt nebeneinander geschlafen hat - ging es dann wieder zurück nach Santa Marta. Und ehrlich gesagt war ich auch froh.... über eine Dusche,
mein Bett, meine Küche - und meine Ruhe.
>>> Sehr viel mehr schöne Fotos aus der Wüste gibt's weiter unten
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