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Published: September 6th 2012
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Mit dem Nachtzug nach Lissabon geht es weiter nach Cali. Mal wieder ein Buch, welches ich schon immer mal lesen wollte, obgleich die Klappenrezension der „Welt“ arg abschreckend wirkt: „Geradezu atemlos liest man dieses Buch, man kann es kaum aus der Hand legen“. Nun, da ich es lese, stockt mir in der Tat der Atem, da jeder zweite Satz arg brechreizinduzierend daherkommt. Mein Ziel ist vorerst Seite 100.
Am Ortsausgang in Salento auf den Bus wartend überlege ich, ob es nicht hilfreich wäre, die Adresse meines nächsten Hostels vorher herauszusuchen, das Internetcafe gegenüber scheint mich zu rufen. Schließlich siegen Trägheit und das Vertrauen in Calis Taxifahrer und ich steige in den Bus nach Armenia. Dort angekommen erklärt man mir, dass der nächste Bus erst in 2 ½ Stunden käme und 25000 COP koste. Zwei Reiseagenturen weiter tut sich ein Paralleluniversum auf: Der nächste Bus fährt in 2 Minuten und kostet 20000 COP. Sehr convenient.
Angekommen in Cali ist niemandem mein Hostel bekannt. Gut, es steht nicht im Lonely Planet, aber wirklich keiner? Dann muss es wirklich ein Geheimtipp sein. Die Tatsache, mich nicht erkundigt zu haben, zieht nun ungünstige Konsequenzen nach sich: Nachdem ich die blumig klingende Adresse in
einem Internetcafé herausgesucht habe, gelange ich an einen merkwürdigen, verhutzelten alten Taxista. Er ist sich nicht ganz sicher, ob er weiß, wie man dort hinkommt, tut aber zunächst noch recht zuversichtlich. Wir fahren eine Runde um den Terminal und dann irgendwo den Berg hoch. Nach 5 Minuten stehen wir auf einer steilen kleinen Gasse im Stau, ein Zustand, der sich in den nächsten anderthalb Stunden nicht signifikant ändern wird: Der Unfall zweier LKWs kurz zuvor hat zu einer Blockade einer Hauptverkehrsader geführt. Fünf Minuten früher mit bekannter Adresse stände ich jetzt nicht hier. Das Meter tickt, gut dass kolumbianische Taxis dann doch verhältnismäßig billig sind.
Ich versuche, mich zu entspannen und die kognitive Dissonanz über meine Trägheit zu auszuräumen, wozu die erhöhte Kohlenmonoxidzufuhr positiv beiträgt. Irgendwann sind wir aus dem Stau raus und cruisen nun um einen Berg herum. Niemand kennt die Adresse, jedoch weisen alle in irgendeine Richtung. Nach knapp drei Stunden und meiner gesamten Barschaft von 30000 COP sind wir am nicht mehr für möglich gehaltenen Ende der Fahrt. Es mutet seltsam an, aber die Ausdauer hat sich gelohnt: Eine riesiges, weiß gestrichenes altes Herrenhaus erwartet mich. Alles ist wunderbar restauriert und in Schuss gehalten, natürlich dürfen
hier Pool, Bar, Kinozimmer mit Beamer, mindestens 8 Hausangestellte und prunkvolle Bäder nicht fehlen. Ich bekomme einen mit fantastischen Betten ausgestatteten 8-Bett-Dorm für mich allein.
Der Inhaber ist ein lustiger Schotte, der mir auf seine Rechnung erst mal eine fantastische Pizza bestellt – Mittagessen um halb 9. In der Lobby treffe ich ein deutsches Mädel aus Cartagena wieder – da sie morgen Geburtstag hat, geht es zusammen mit Dirk, einem Lebemann aus Belgien, der nun in Indien lebt, zum Reinfeiern in die Welthauptstadt des Salsa. Angekommen in der Zona Rosa gleicht diese eher dem Ausgangsbereich einer Seniorenresidenz. Man weist darauf hin, es sei Mittwoch, da wäre selbstverständlich nichts los. In einer Club-Bar-Mischung mit billigem Bier trinken wir daher den Geburtstag herbei. Die einzigen Gäste außer uns: Drei Kolumbianerinnen, die ihren Versuch, irgendetwas anderes als Salsa zu der Dubstep-Musik zu tanzen, schon bald aufgeben.
Dirk hat sich schnell verguckt und stellt in bester Barney-Manier den Kontakt her. Alle drei sind scheinbar schon recht betrunken. Sofia erzählt mir sogleich, dass sie auf Grund eines Verkehrsunfalls ein brain damage hat, der ihr Gedächtnis so beeinflusst, dass sie sich morgen nicht daran erinnern könnte, wenn wir uns heute Nacht verlieben würden. 50
erste Dates, sage ich, ein alter Hut, und überhöre zunächst die explizite Aufforderung. Ihr ist der Film natürlich nicht bekannt, dafür mag sie deutsche Independent-Filme, kann allerdings keinen Titel wiedergeben, was vermutlich auch am vermeintlichen Gedächtnisfehler liegt. Ich finde mangels alternativer Beschäftigung Gefallen an der Nummer. Das kommende Gespräch ist jedenfalls Hollywood-tauglich:
Me: What would I have to do to make you remember me tomorrow?
She: Why would you want me to remember you?
Me: Because I kind of like you.
She: How can you say you like me? You don't even know me, you don't know how I drink my coffee in the morning or which movies I like
Me: Well that's not true, you like German independent movies.
She: OK, but I told you that – so how can you dare to say you like me?
Me: Honey, I did not say I love you, I just said that you're likable. So what would I have to do to make you remember?
She: What would you do to remember me? Just be confident. We only have tonight, let's just both keep this beautiful memory and do not let it get
disturbed.
Me: How is that even possible for you to keep a beautiful memory if you won't remember anything tomorrow?
Der Denkfehler scheint ihr trotz Trunkenheit aufzufallen, glücklicherweise kommt ihr und mir der DJ zur Hilfe: Sofia stürmt den etwas erhöhten Teil der Tanzfläche und singt lautstark und sehr ehrlich mit den Pixies Where is my mind.
Später wird es noch abstruser, ich verliere ich den Spaß an der Nummer und schlage einen polnischen Abgang vor. Wir treffen uns draußen im Taxi, wo Dirk mir erzählt, dass Sofia mein plötzliches Fehlen mit den Worten “What is up with him? I am married!” kommentiert hat.
Den nächsten Tag verbringe ich am Pool, der Nachtzug liest sich immer noch an der Kotzgrenze, aber noch halte ich das schmalzige Rumsalbadern aus. Als Dirk fertig meditiert hat brechen wir zu einem Einkaufszentrum auf, wo er Geld wechseln will. Ich wollte eigentlich nur zum Supermarkt, es gibt natürlich nur den überteuerten Exito. Von den Einkaufstrapazen erholen wir uns in bereitgestellten Massagesesseln.
Donnerstagabends ist dann schon deutlich mehr los in der Salsastadt. Mel hat uns mit zwei Geburtstags-Jumbo-Cuba-Libres ordentlich angeheizt, und so stürmen wir die vom Schotten empfohlenen Salsa-Clubs. Leider bin
ich noch rational genug um zu sehen, dass die Pärchen dort wirklich gut tanzen können – zugucken macht zunächst auch Spaß. Doch dafür sind wir natürlich kaum hier, und so mischen wir alsbald ordentlich mit. Der Kontrast zum deutschen Club könnte kaum größer sein: Die Salsa-Begegnung ist meist flüchtig (für maximal 2-3 Songs), relativ intim (je nach Tanzstil, berühren tut man sich natürlich immer sofort) und intensiv (es ist VIEL zu laut um dabei zu reden, daher erfolgt die ganze Kommunikation über Augen, Mimik und Körpersprache).
Gegen 5 suchen wir uns ein Taxi, welches uns für ausgehandelte 10000 COP zurück zu unserer Villa bringen soll. Nach halsbrecherischer Fahrt und zwei Polizeikontrollen sind wir da, der Taxifahrer will nun 30000. Dirk hat wohl nicht genug meditiert und verliert seine Fassung ob dieser Dreistigkeit („comprende mucho bien! Dice 10000!“). Der Schotte sieht nach dem rechten und erzählt etwas von einer Zusatzgebühr, die der Salsa-Club verlangt. Dirk lässt trotzdem die Polizei rufen, die allerdings besseres zu tun hat. Leider hat er dem Taxista schon 20000 gegeben, mit denen dieser dann auch irgendwann fluchend und entnervt abrauscht. Mit einem mittleren Hörsturz kehre ich in meine fürstlichen Schlafgemächer ein.
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