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Published: September 4th 2012
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Als mein Kleinbus wie ein Kamel die einsame Straße nach Salento hinauf schwankt frage ich mich, ob ich schon für das nächste Paradies bereit bin. Mitten im Kaffeedreieck, umgeben von Nationalparks mit weiten Tälern voller Kaffeebäumen liegt das verschlafene Dorf, dass selbst vom lokalen Tourismus noch recht verschont geblieben ist. Meine Hacienda liegt direkt hinter dem Ortseingang. Neben etwa 20 Hunden begrüßt mich eine Bulldogen-Ameise (die
hier) auf meinem Kopfkissen. Es riecht nach exotischen Pflanzen und Regenwald. Ich hole mir erstmal einen Kaffee.
Nach der ersten Tour durchs Dorf hat sich mein Zimmer gefüllt. Die Belegschaft: Sophie aus England, Mitte 30 und Freelancerin, Callan, ebenfalls England, hat irgendwann mal irgendwas Soziales studiert, jetzt von Beruf Backpacker. Ein hinkender Hund findet sofort gefallen an Callan, die Ähnlichkeit ist nicht zu verkennen: Gleich dem Hund hat er diese flapsige, Bewegungslegasthenie vermuten lassende Gangart, die man sonst höchstens von zu coolen kleinen Baggie-Skaterjungs kennt.
Des Abends versuchen wir uns an Tejos, einem typisch kolumbianischen Kneipenspiel. Ähnlich wie bei Boules versucht man, mit Eisenscheiben in die Mitte eines eisernen Rings zu treffen, der von Lehm umgeben ist (damit die Scheiben hängen bleiben). Als besonderer Clou liegen zwei mit Schießpulver gefüllte Plastikdreiecke drum herum,
die einen Treffer lautstark anzeigen sollen. Wer verliert, muss Bier holen. Dabei erzählen mir die beiden von ihrer bisher wertvollsten Erfahrung in Kolumbien: Nach 20 Stunden Busfahrt und einigen Wanderkilometern ins Nirgendwo sind sie bei einem betrunkenen Schamanen angekommen, der Ihnen im Tausch gegen noch mehr Alkohol denn auch Ayahuasca, ein Getränk aus halluzinogenen Kräutern, verabreicht hat. Callan hatte einen riesigen Vogel auf seiner Brust sitzen, der ihn flügelschlagend vor irgendetwas gewarnt hat. Sophie hat Kasinoautomaten gesehen. Teufelszeug! Da fährst du stundenlang ins nirgendwo für den Trip deines Lebens, und dann siehst du zwar Groschen fallen, aber den Groschen auch wieder nicht.
Das Spiel knallt bei uns derweil nicht so recht, so dass wir in eine andere Bar zum klassischen Pool-Billard wechseln. Vor der Tür stehen Pferde, an Tischen sitzen Männer mit Hüten und trinken Aguardiente. Als wir gehen, schlafen sie in klassischer Cowboypose.
Am nächsten Tag bekomme ich eine persönliche Coffee Tour auf Spanisch. Erstaunlicherweise verstehe ich alles, was mein Guide mir über Herstellung, Sorten und Reifeprozess erzählt. Der Inhaber legt Wert darauf, dass hier alles ökologisch ist: Um Erosion vorzubeugen und vor starken Regenfällen zu schützen wachsen zwischen den Kaffeebäumen Palmen, Ananassträucher und Obstbäume. Da die
natürlich auch bio sind, gibt’s während der ganzen Tour frische Orangen, Muro und Lulo. Am Ende mahle ich meinen eigenen Kaffee, der sehr mild und auch pur echt lecker ist. Mein Guide packt sich derweil erstmal ein Kilo Zucker dazu und füllt den Becher mit Milch auf.
Wieder oben im Hostel ist mein Zimmer komplett: Der Neuzugang ist Grace, auch irgendwie England, jetzt aber wohl Italien, wo sie für die UN arbeitet. Angeschlossen hat sich auch Luki, eine Chinesin, die seit zwei Wochen mit größter Freude stupideste Arbeiten auf der Farm für ein kostenloses Mittagessen verrichtet und die alle nur Lucky Strike nennen. Wir trinken Aguardiente auf einer Bank mit Blick auf den Sonnenuntergang hinter den Bergen. Über die vermeintliche lautmalerische Ähnlichkeit von Mirko und Merkel gelangen wir thematisch zur Eurokrise und die angebliche deutsche Zahlungsunwilligkeit. Grace beschwert sich, Italien habe damals schließlich nicht mal Gelder aus dem Marshallplan-Topf erhalten. Callan mutmaßt, dass dies vermutlich an den opportunistischen Seitenwechseln gelegen haben mag. Sophie trinkt derweil. Wir begraben vorerst den detusch-italienischen Konflikt und machen uns auf zu einer Bar australischer Expats, die heute Geburtstag haben.
Nach einer halben Stunde und einem Getränk, was einem Mojito etwa so ähnlich ist
wie kolumbianische Pizza einer Pizza, sitze ich im Patio auf einem Sofa wie Zach Braff in Garden State. Es sind nur Engländer und Australier da, die sich über totally amazing parties in Buenos Aires und „Marching Powder“, DAS Australier-Südamerika-Buch über ein unorthodoxes Gefängnis in Bolivien, auslassen. Da taucht auf einmal Francois (aus Medellin) wieder auf. Backpacker-Kolumbien ist ein Dorf.
Um 12 wird die Bar offiziell zugemacht. Wir bleiben inoffiziell im Kaminzimmer drinnen sitzen. Da die australischen Inhaber betrunken sind, gibt es das Bier fortan umsonst. Der größte Teil der Mannschaft ist auf einmal sehr gut drauf. Gegen halb 2 kommen Grace und ich irgendwie auf das Thema Voltaire und dass wir doch eigentlich nur unseren Garten bestellen sollten. Ein Kolumbianer neben mir versucht mich zu 4gewinnt zu überreden, verliert aber immer spätestens nach dem 6. Stein.
Es geht auf 3 Uhr. Die Freelancerin trägt mittlerweile ein Adamskostüm mit besonders ausgeprägtem Fortpflanzungsorgan. Völlig fasziniert spielt sie daran herum und fragt sich, wie Männer wohl die Beine übereinanderschlagen können. Callan erzählt, dass die Freundin seines Vaters kaum älter als er ist und er sie totally bangen würde. Dann ist seine Mutter dran, die er in unterschiedlichen unaufreizenden Posen imitiert. Das
allgemeine Niveau passt sich an: Grace wurde anscheinend auf einer Toilette in Harvard gezeugt, ihr Vater ist nun zum dritten Mal mit einer 30 Jahre jüngeren Doktorandin verheiratet und immer noch Professor in Harvard. Sie ist Stolz auf ihn.
Callan versucht die verbliebenen Leute zu überreden, auf Pilzsuche zu gehen. Ein klares Signal des Aufbruchs, welches mich in die verschlafenen Straßen von Salento hinaus und zur Hacienda zurück trägt. Starry starry night.
Seltsamerweise verpasse ich den Jeep am folgenden morgen Richtung Nationalpark, so dass ich nur zu Fuß ein Stück des selbigen erkunden kann. Mit Chopin in den Ohren baue ich mir anschließend einen extra kitschigen Moment auf dem Mirador von Salento, von dem man einen wunderbaren Blick ins Tal hat. Den Rest des Tages verbringe ich mit Kästners „Fabian“, der seltsamerweise im Book Exchange Regal liegt. Recht verstrahlt liegen Sophie und Callan gegen halb 7 bereits im Bett. Ich kühle derweil die Schwellungen an meinen Armen, die eher von Bissen (Die Ameise! Verrmutlich heißt sie Charlie.) als von Moskitostichen herrühren.
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