Ein Wochenende voller Tempel


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March 15th 2015
Published: March 15th 2015
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Der Samstag begrüßt mich mit strömendem Regen und eiskaltem Wind und wirft meine Pläne für den Tag ganz schön durcheinander. Denn a) hab ich als Erfahrener Backpacker eigentlich nie ein wirkliches Regenoutfit dabei weil es auf Reisen nicht zu regnen hat und b) gibt es eigentlich auch nicht so viel was man bei Regen hier machen kann, wenn man kein begeisterter Museumsgänger ist. Die ganzen Parks und Tempel muss ich mir bei dem Wetter aber auch nicht antun. Also ziehe ich mein sexy Regenoutfit, bestehend aus meiner zumindest winddichten Funktionsjacke, einem 3€-Regenschirm von dem ich nicht viel erwarte und meinen Trekkingschuhen an. Mal sehen ob mich das über den Tag rettet. Gut dass ich zumindest das Busfahren gestern geübt hab, heute will ich so wenig wie möglich draussen herumlaufen. Kyoto ist Bustechnisch super gut erschlossen aber dementsprechend ist mein Busplan etwas unübersichtlich und die Bushaltestellen auch nicht immer gleich als solche erkennbar. Trotzdem schaffe ich es gegen 9 Uhr zum Nishiki Food Market, einer überdachten Passage mit allerlei hübschen Lebensmittel- und Haushaltswaren-Ständen. Hier gibt es alles, was sich der Gourmet wünscht und mehr als sich der Nicht-Japaner vorstellen kann. Riesige eingelegte Seegurken, kleine heisse Krabbenkuchen und frittierte Calamari, allerlei bunte Bohnen und Hülsenfrüchte, Tee, lebende Austern, Fische und Muscheln, Stände mit tausenden verschiedenen Messern (zum Aal schneiden benötigt man anscheinend ein spezielles Messer. Und meine Familie, die Banausen haben sowas nicht...), Obst, Fleisch, Gebäck, Süßkram in wunderschönen Schachteln, Eingelegtes Gemüse, eine riesige Auswahl an Algen. Es ist ein Fest für die Augen und die Kamera! Und bei der Hälfte der Dinge weiß ich nicht mal, was ich da fotografiere. Leider zieht es in der offenen, schnurgeraden und noch menschenleeren Passage extrem und nachdem ich sie einmal durchquert habe ist mir eiskalt. Erstmal n heisser Oktopus-Cake auf die Hand und dann auf einen Tee und ein Sandwich in eines der Cafés, von denen man im Warmen von oben das bunte Treiben in der Passage beobachten kann. Langsam füllt sich der Markt und die letzten Stände machen auf. Riesige offene Styroporkisten mit frischem Fisch werden vorbeigetragen und klatschnasse Touristen schieben sich durch die Gänge. Dann kommt plötzlich ein Kamerateam mit vier Kameras, Mikrofonen und einem eigenen Beleuchter, das offenbar eine Frau beim Einkaufen begleitet. Vielleicht "das perfekte Dinner" auf japanisch? Auf jeden Fall bleiben die Japaner alle stehen und drehen Videos mit ihren Handys... Hier lässt es sich mit einem heissen Tee also ne Weile aushalten bevor einem langweilig wird.

Ich kaufe noch ein bisschen Süßkram zum Mitbringen aber hauptsächlich wegen der hübschen Schachteln und mache mich dann auf zum Nishijin Textile Center, meinem zweiten Regenprogrammpunkt. Dabei handelt es sich eigentlich nur um ein großes Kaufhaus, wo man alles an Kunsthandwerk kaufen kann, was Japan so zu bieten hat und außerdem gibt es noch ein paar Demonstrationen zu alten Webtechniken, zur Seidengewinnung etc., eine Ausstellung mit schönen antiken Kimonos und Teppichen und einen Raum, wo man all die verschiedenen Handwerke selbst mal ausprobieren kann; z.B. Töpfern, Scherenschnitt oder Weben. Eigentlich ganz nett gemacht aber das Highlight warum ich eigentlich hier hergekommen bin ist die Kimono-Modenschau, zu der pünktlich dann auch Busladungen an japanischen Reisegruppen eintrudeln. Als die erste Schönheit in ihrem prächtigen Kimono dann zu traditionellen Klängen den Laufsteg betritt gehen auf einen Schlag etwa 200 Iphones und Ipads in die Höhe und und werden auch während der gesamten Modenschau nicht mehr runtergenommen. Dabei sind die sonst so höflichen Japaner rücksichtslos, drängeln und schubsen und keifen sich an. Die Show ist aber dennoch sehr schön, die Models sind super hübsch zurecht gemacht und bewegen sich höchst grazil. Im Gegensatz zu einer westlichen Modenschau wird hier sehr langsam gegangen und dabei werden auf sehr eigenwillige Art die Arme auf und ab bewegt, als ob die Dame gleich abheben will, aber vermutlich nur, damit man die Ärmel des Kimono auch ausreichend bewundern kann. Das ist übrigens das erste Mal, dass ich jemand in diesen seltsamen Holzplateau-Flipflops, die hier traditionell mit weißen Socken zum Kimono getragen werden, elegant laufen sehe. Als ich gegen halb zwei wieder raus komme hat es tatsächlich etwas aufgeklart auch wenn es immernoch bitter kalt ist. Also beschließe ich noch zwei Tempel anzuschauen, die sich in der Nähe befinden. Als erstes schaue ich mir den Kitano Tenman-gu an, einen Shinto-Shrein, der mit den ersten Kirschblüten trumpfen kann und deswegen ziemlich überlaufen ist. Besonders witzig finde ich, dass der Kirschbaum-Garten, der den Tempel umgibt extra mit einem Sichtschutz eingezäunt wurde und Eintritt bezahlt werden muss um hineinzugehen. Da die Schlange ewig lange ist spare ich mir das, denn erstens gibt es auch in der Tempelanlage ein paar schöne -kostenlose- Kirschbäume und zweitens wird das Hanami (" Blüten betrachten") ja erst richtig toll, wenn die Kirschbäume alle in voller Blüte stehen. Die Kirschblüte wird für in zwei Wochen erwartet, dann bin ich hoffentlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Aber die heutige Erfahrung hat mich schon ein bisschen darauf vorbereitet, wie verrückt die Japaner nach ihrem Hanami sind und was mich da erwartet. Danach fahre ich noch an den berühmten Kinkaku-Ji, auch als "goldener Pavillon" bekannt. Der ist wie erwartet sehr schön, aber leider auch so überfüllt, dass es eigens Ordner gibt, die dir sagen welchen Weg um den See du zu nehmen hast. Trotzdem ein absolutes Muss, der umgebende Park und der golden in der (ab und zu hervorkommenden) Sonne glänzende Tempel sind atemberaubend schön. Als ich den Tempel verlasse fängt es prompt wieder an zu regnen also fahre ich erstmal ins Hostel um mich mal aufzuwärmen.

Nach einem kleinen Mittagsschläfchen (scheinbar habe ich neuerdings zwei Mitbewohnerinnen, denn als ich aufwache sind zwei neue Koffer da) gehe ich gegen Abend noch mal on Tour. In Gion, dem berühmt berüchtigten Nightlife-Distrikt und ehemaligen Geisha-Viertel, ist samstags Abend die Hölle los. Ich lasse mich durch die glitzernden Gassen treiben, kaufe ein bisschen Kleinkram ein und bestaune die Lichtinstallationen im Maruyama. Park, der während eines Festivals dieses Wochenende von tausenden kleinen Bambuslaternen erhellt wird. Wie bei einem Volksfest stehen hier überall kleine Fressbuden und es läuft über Lautsprecher Musik im ganzen Park. Da ich mittags einen riesen Teller Nudelsuppe und Gyozas gegessen habe, reicht mir heute Abend ein Stück gegrillter Oktopus von einem der Stände und ich flaniere ein bisschen durch den Park. Danach bin ich kurz vor dem Erfrieren aber meine neuste Entdeckung rettet mir das Leben: in den durchgängig geöffneten Seven-Eleven-Shops gibt es neben einem Kühlregal auch ein Wärmeregal, wo man sich in Flässchen abgefüllten warmen Grüntee für knapp einen Euro kaufen kann. Mit diesem Hand-, Magen-, und Seelenwärmer halte ich es dann doch noch bis knapp 22.30 Uhr aus und sehe sogar in einer der Seitenstraßen zwei Geishas. Oder vielleicht auch nur als Geishas geschminkte und gestylte Touristinnen? Egal, sehen toll aus.

Zurück im Hostel versacke ich noch bis 01:30 Uhr in der "Lounge" wo ich mit Jean aus Montreal und zwei Argentinierinnen ins Gespräch komme. Ich glaube da ist morgen mal ausschlafen angesagt, aber ich hab ein paar gute Tipps für Tokio bekommen.

Am Sonntag ist das Wetter überwiegend sonnig und warm und ich starte zur großen Tempeltour nach Higashiyama, einen der Bezirke mit den meisten Heiligtümern. Leider haben Sonntags scheinbar auch alle Japaner den Drang, dort hinzupilgern, aber vielleicht liegt es auch einfach daran dass jetzt mit der beginnenden Kirschblüte hier Hochsaison ist und Kyoto nunmal das Lieblingsreiseziel der Japaner ist. Und von denen gibt es halt auch über 120 Millionen. An die Menschenmassen werde ich mich wohl gewöhnen müssen. Noch ein Lonely-Planet-Besserwisser-Fakt: die 120 Millionen leben auf einer Fläche etwa so groß wie Deutschland, allerdings mit drei mal mehr unbewohnbaren Gegenden als bei uns ( was auch immer das heisst).

Naja, also schiebe ich mich mal wieder mit Massen von Touristen durch die großen Tempelanlagen und beobachte dabei immer wieder das gleiche Ritual, wie die Japaner ihren Göttern huldigen. Es funktioniert so: Geld in eine Gitterkiste werfen, die vor dem Schrein/Tempel steht, dann an einem großen Strick ziehen an dessen anderen Ende eine Glocke hängt, zweimal in die Hände klatschen, dann die Hände vor der Brust zusammenlegen und sich verbeugen. Naja, und wahlweise kann man dann noch etliche Anhänger, Holztafeln oder ähnliches kaufen, mit einem Wunsch beschriften und aufhängen. Alles in Allem eine ganz schöne Geldmacherei, aber auf die eine oder andere Art ist Kirche das ja auch bei uns und irgendwer muss die riesigen Tempelanlagen ja auch pflegen. Trotzdem kosten einige noch zusätzlich Eintritt, die Faustregel scheint da aus einem für mich nicht nachvollziehbaren Grund zu sein : heisst das Ding Tempel kostet es was - heisst es Schrein ist es kostenlos.

Aus meiner Sicht waren die kostenpflichtigen Tempel nicht unbedingt schöner, aufwändiger oder besonderer als die kostenlosen aber vielleicht sind sie dafür einfach "bedeutender". Mein Lonely Planet verrät mir nicht allzu viel über die einzelnen Heiligtümer und die Tafeln und Flyer vor Ort sind meistens rein japanisch, also werde ich wohl nicht dahinter kommen. Irgendwas wird sich die Unesco aber dabei gedacht haben z.B. ein paar Holzhäuser mit Reetdach als Welterbe einzustufen. Insgesamt besuche ich heute 6 Tempelanlagen, die sich eingebettet in großzügige Gartenanlagen die Hügel im Südosten der Stadt hinaufziehen und teilweise tolle Ausblicke auf Kyoto bieten.

Zwischen den Tempeln durchquere ich kleine Einkaufsstraßen mit traditionellen Läden und schiefen alten Häusern und irgendwann ist es halb vier und ich habe außer einer Schüssel dünner Nudelsuppe noch nichts im Magen. Ich merke plötzlich, dass ich echt erledigt bin und habe auch erstmal genug von Tempeln zumal sie am Ende für mich doch alle ähnlich waren. Morgen ist tempelfreier Tag! Auf dem Heimweg durch den Maruyama Park komme ich nochmal an den
Sannen-Zaka StreetSannen-Zaka StreetSannen-Zaka Street

Higashiyama, Kyoto
Fressbuden vorbei und kaufe mir einen riesigen gegrillten Krabbenspieß, dann schiebe ich mich durch den dichten Verkehr mit dem Bus zurück ins Hostel.

Als ich mich gerade auf dem Weg zum Abendessen machen will, überrascht mich die niedliche Rezeptionistin mit der ich immer plaudere und deren Namen ich leider vergessen habe mit einem selbstgefalteten Origami-Kranich, den sie mir schenken will. Der Kranich steht in Japan für ein langes Leben und Zufriedenheit und er soll mir Glück bringen. Ich bin total gerührt. Als ich sie umarme ist sie dafür völlig gerührt und bedankt sich bei mir.

Beim Essen habe ich heute zum ersten Mal ein nicht so glückliches Händchen. Ich bestelle wie immer nach Bildern und bekomme ein Menü, bestehend aus: Suppe (gut), frittierten Shrimps (gut), mit Kohl gefüllte Teigtaschen (sehr gut!) und dann einen Teller mit gebratenem Reis und Gemüse über dem ein rohes Ei einen klebrigen Ekelfilm hinterlassen hat. Nach der Menge des Glibbers könnten es auch zwei oder drei Eier gewesen sein, alles hängt daran fest. Nicht so mein Geschmack, aber ich kriege es mit viel Suppe runtergespült. Nächstes Mal gucke ich genauer hin. Dafür entdecke ich immer wieder neue interessante Sachen wenn ich essen gehe. Wie üblich sitze ich am Tresen und als zwei Bier bestellt werden stellt der Kellner einfach zwei Gläser auf eine Anlage und bedient den Zapfhahn. Während voll automatisch gezapft wird kippt die Maschine beide Gläser im perfekten Winkel ab, damit sich kein Schaum bildet und setzt dann nach ca 3/4 eine perfekte Schaumkrone oben drauf in dem sie die Gläser langsam wieder abkippt. Ein deutscher. Barkeeper wäre wahrscheinlich beleidigt aber praktisch isses - und spart 7 Minuten!

Mehr Beobachtungen zu Japan:

Japaner frieren nicht. Bei 8 Grad, Regen und Wind stolzieren die meisten Japanerinnen mit nicht viel mehr als einem Rock, normalen Nylons und einem dünnen Mantel durch die Stadt. Ich habe sogar welche OHNE Strumpfhose gesehen und auch die Kinder haben teilweise nur Shorts und Kniestrümpfe an und die Männer 3/4- lange Chinos mit freiliegenden Knöcheln. Ich weiß nicht ob sie einfach von Kindesbeinen so abgehärtet sind oder ob man halt hier lieber krank als unschick ist.

Nicht nur Busfahrer reden die ganze Zeit, auch Verkäufer in Läden und die Kellner/Köche in den Restaurants preisen non-stop ihre Waren an und texten dich zu. Das vermute ich zumindest, könnte natürlich auch sein, dass sie mich beschimpfen oder mit Komplimenten überhäufen. Wer weiß das schon.

Es gibt viel zu wenige Mülleimer in der Stadt. Nichtmal an Bushaltestellen, Sehenswürdigkeiten oder bei Essensständen. Dafür gibts an jeder zweiten Ecke nen Getränkeautomaten. Sogar in Tempeln.

Japaner gehen oft alleine essen. Als ich in der Nähe des Golden Pavillon in ein Restaurant gehe um eine Ramen (Suppe mit Einlage) zu Essen, sind alle Tische nur mit einer Person besetzt. Für jemand wie mich, der nicht daran gewöhnt ist, alleine in ein Lokal zu gehen ist das sehr angenehm. Ich fühle mich also direkt wieder total zugehörig und bin stolz darauf, wie japanisch ich bin.

Die Japanerinnen sind echte Schönheiten - wenn sie nicht versuchen, sich die Haare blond zu färben.


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Die ersten Kischblüten Die ersten Kischblüten
Die ersten Kischblüten

Kitanu- Tenmangu Tempel
Kyomizu-DeraKyomizu-Dera
Kyomizu-Dera

... Ich weiß nicht genau was das ist aber es hat mir gefallen
Zwei Geishas auf dem WegZwei Geishas auf dem Weg
Zwei Geishas auf dem Weg

... Oder zwei Touristinnen...


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