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Published: November 5th 2012
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Bus 21 sieht um einiges abgewrackter aus, als die grünen Intercity-Busse von Egged. Die Klappen der Lüftungsschlitze sind kaputt und eisig kalte Luft bläst mir in den Nacken. Zu dumm, dass ich mein neues Palästinensertuch erst ein paar Stunden später kaufen werde. Um mich herum sitzen braun gebrannte Männer mit Silberketten um den Hals und Frauen in langen Gewändern und Kopftuch. Die Schilder vor dem Fenster kann ich nicht lesen. Das hebräische Aleph-Beth existiert in den Straßen um den arabischen Busbahnhof in Ost-Jerusalem kaum.
Die Fahrt dauert vielleicht 45 Minuten. 40 Minuten davon schelte ich mich selbst für meine gemischten Gefühle und das beklemmende Gefühl, dass mir sämtliche Vorurteile gegenüber der arabischen Welt, in die Brust gezwängt haben.
Schon von Weitem ist die massive Betonmauer zu sehen und ironischerweise springt mir das Wort "Ghetto" in den Kopf. Auf einer Hauptverkehrsstraße macht der Bus halt und übergibt seine Fahrgäste den zweidutzend freudestrahlenden Taxifahrern, die sich energisch auf die paar wenigen westlichen Gesichter stürzen. Erster Eindruck: negativ. Ich bin genervt. Denke jeder will mich nur übers Ohr hauen. Das Stadtzentrum ist angeblich zu weit weg. Sehenswürdigkeiten wie Herodion, Palast und vermutliche Grabstätte von König Herodes, liegen 10km außerhalb. Irgendwann hab ich
resigniert und steige ein. Der Preis, zurückgeblickt, war viel zu hoch. 30 Euro für eine Tour, die nach 5 Stunden klang und nach einer überwunden war. Trotzdem war ich hinterher deutlich fröhlicher. Mein Fahrer Abu entpuppt sich als netter und informativer Plauderer, der mir viel über das Leben als Palästinenser erzählt. Auch von seinem Wunsch nach Frieden. Er arbeite mit einigen Juden zusammen, habe jüdische Freunde. Das Problem seien die Regierung und die Extremisten, die noch jedem Politiker auf dem Weg zur Völkerverständigung eine Kugel ins Herz gejagt haben. Auf dem Weg zurück von Herodion nach Bethlehem passieren wir ein Schild auf dem steht: ZONE A! Israelische Staatsbürger sind ab diesem Punkt nicht mehr erwünscht. Drei Zonen gibt es insgesamt. Ob ich deren Bedeutung voll verstehe, weiß ich noch nicht so ganz.
A steht für 100%-ige palästinensische Militärkontrolle und betrifft neben Bethlehem auch Städte wie Jericho oder Ramallah. In Zone B werden Zivilbelange vollständig von palästinensischer Seite kontrolliert, Sicherheitskontrolle wird geteilt mit Israel. Meist sind das Siedlungen außerhalb der A-Zonen. C-Zonen sind zumeist Verbindungsstraßen, ländliche Regionen, der Raum ums Tote Meer. Hier wird alles von israelischen Behörden kontrolliert. Gebaut werden darf hier auch nur mit israelischer Baugenehmigung und die
sind für Palästinenser quasi unerreichbar.
Zwischen dem Main Square und der Church of Nativity, der vermeintlichen Geburtsstätte Jesus, werde ich wieder heraus gelassen und sage Abu Lebewohl. Nach der Besichtigung der Kirche und einem kurzen Streifzug durch die angeschlossenen Gässchen, hab ich Hunger und kreuze den Platz auf der Suche nach Essbarem. Ein junges Kerlchen spricht mich an: "Brauchst du Hilfe?" - "Ich brauche Essen" - Dann lachts und zeigt mit dem Finger auf ein Restaurant am Ende des Platzes. Dort ist´s mir aber zu teuer und ich entscheide mich für einen kleinen Falafelstand mit angeschlossenem Keller-Raum zum Verzehr der Speiße. Mittlerweile bin ich gelassen wie ne Hindu-Kuh und strahle jedem Menschen ins Gesicht. Das ist in Bethlehem recht einfach, weil die freundlichsten Menschen aus allen Nieschen tropfen.
Zurück im Sonnenlicht tippt mir was von hinten auf die Schulter. Der Jüngling ist wieder da. "Na, hats geschmeckt?" - "Jawohl", sage ich und lasse mich gerne auf einen guten arabischen Kaffee aus einer gold schimmernden Kaffeekanne einladen. Wir sitzen auf der Parkbank zu zweit, dann zu dritt, dann zu sechst. Mein lieber Jüngling (oh weh oh weh, mir ist sein Name entfallen)mag Musik ("Kennst du Enrique?? Wow, I LOVE
ENRIQUE (gemeint ist Iglesias)...und EMINEM??") und Fußball. Er ist begeistert von meinem Deutsch-sein. "FC Bayern München!" Auch aus einem anderen Grund: "Hitler! Good man!" So etwas hab ich erwartet. Wer vom jüdischen Volk unterdrückt und eingesperrt wird, tendiert wohl dazu den Mann zu verehren, der einst dessen Ausrottung angestrebt hat. Ich rede mich um Kopf und Kragen. Was du nicht willst das man dir tu, dass füg auch keinem anderen zu. Etc pp. Ein bisschen ausführlicher, ein bisschen eloquenter. Und doch erfolglos. Das ist traurig denke ich. Für die Menschen außerhalb der Mauer, für die Menschen innerhalb der Mauer, für diese super freundlichen Burschen, die ihren Schmerz durch ihre kleine Welt tragen müssen. Nach 1,5 Stunden verabschieden wir uns.
Ich laufe durch mehr Gassen, halte hier und da ein Schwätzchen. Dann bin ich plötzlich zurück an der Stelle, an der mich einige Stunden vorher der Bus verlassen hat. (Von wegen zu weit zum laufen...) Zeit sich mal die Mauer anzuschauen. Gerade als sich mein Navigationssinn etwas überanstrengt zu fühlen scheint, laufe ich plötzlich wieder Taxi-Abu in die Arme. Den kann ich nach der Richtung fragen. "No problem. Ich bring dich hin, in meinem Taxi" - Der gute Mann in
allen Ehren, aber ich hab heut wahrlich schon genug Geld fürs Taxifahren ausgegeben. "No problem. Ich bring dich umsonst" (war wohl noch satt von dem Festmahl dass ihm mein teuer Geld gekauft hat.) Na dann. Für ne halbe Stunde kurvt mich Abu kostenfrei durch die Gegend. Das ist doch nett. Dann steige ich aus und geh noch ein Weilchen zu Fuß. Überall Graffittis in allen Sprachen. Darunter einige Banksy-Berühmtheiten. Dann komme ich an eine Stelle mit großen Plastiktafeln. Eine jede erzählt eine andere Geschichte über die Intifada, die palästinischen Aufstände gegen Israel. Es sind Augenzeugenberichte palästinensischer Frauen. Sexuelle Belästigung, Demütigung, Gewalt gegen Männer, Frauen und oft Kinder, ausgeübt von israelischen Soldaten. Mir gehts ans Herz.
"Wow, Menschen die das sehen, müssen uns doch echt hassen", äußert eine meiner Freundinnen, als ich ihr zurück in Israel von meinem Besuch in Bethlehem erzähle. Es ist in der Tat harter Tobak. Aber von beiden Seiten. Eine von Liors Freundinnen hat noch heute Angst in einen Bus zu steigen. Vor wenigen Jahren sind in Tel Aviv fast täglich Busse, Restaurants, Selbstmordattentäter und unschuldige Menschen in die Luft gegangen. Vor etwa einem Jahr haben orthodoxe Juden in Jerusalem einen Chilenen niedergestochen, weil er wie
ein Araber aussah. Bei meinem letzten Besuch im März ist in der Tram, ebenfalls in Jerusalem, einer israelischen Soldatin von einem Araber ein Messer in den Bauch gerammt worden. Die Geschichten häufen sich tagtäglich. Egal auf welcher Seite der Mauer man sich befindet, überall finden sich ein paar Radikale, die meinen mit Scheiße werfen zu müssen.
Autos in Israel tragen gelbe Nummernschilder. Jeder, den ich kenne, wünscht sich den Frieden. Für warhscheinlich, hält ihn jedoch keiner. In Palästina, innerhalb der Mauern, fährt man in Grün mit einem Lächeln im Gesicht für jeden, der auch ein Interesse für die "andere Seite" bekundet. Die Farbwahl mag reiner Zufall sein. Mir erhält sie das bisschen Zuversicht, dass die Hoffnung auf eine bessere Zeit, noch nicht aufgegeben werden soll.
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Annemarie Zapf
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Gedanken
Habe deinen Bericht wieder mit großem Interesse gelesen und auch ein paar Tränen dabei verdrückt, was du so über die Hoffungslosigkeit der hauptsächlich jungen Menschen schreibst. Auch was den anderen, vor allem Frauen so widerfährt. Da lernt man zu schätzen, wie gut es einem trotzdem geht. Weiterhin viel Glück bei all deinen Unternehmungen und viele liebe Grüße von Oma Bridge