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Der Nevado Ampato
Auf dem Rueckweg zu der verlassenen Hacienda faellt Spencer oft hin und will dann nicht mehr weitergehen. Eben hatte er noch Sprueche geklopft und sich gefreut, ueber das Diplom, das er vom Bergfuehrerbuero erhalten wuerde, wenn er uebermorgen diesen Berg, dessen Gipfel nur 1400 Meter ueber unseren Zelten ragt, bezwingen wird. Es gab keinen Zweifel, dass wir es schaffen wuerden. Jetzt uebergibt sich Spencer wie noch nie zuvor in seinem Leben und alles, was er in den letzten paar Stunden auf der Fahrt im 4x4 Fahrzeug an den Fuss dieses Berges in sich gestopft hatte, kommt explosionsartig und unverdaut wieder ans Licht.
Wir befinden uns auf ca. 4900 Meter, im ersten von zwei Camps am Nevado Ampato, einem 6310 Meter hohen Berg in der Naehe von Arequipa, Peru. Der 4x4 Pickup hat uns am Morgen frueh um 8 Uhr in unserer Unterkunft in Arequipa abgeholt und in einer 6-stuendigen Ruettelfahrt in dieses Camp gebracht. Spencer hatte ich erst vorgestern im Bus von Tacna nach Arequipa kennengelernt. Eigenlich wollte er gleich weiterfahren nach Cusco, aber als er von meinen Plaenen erfuhr, einen 6000er zu besteigen, hat er kurzerhand seine Weiterreise verschoben und gefragt, ob er sich mir anhaengen duerfe. Ich hatte nichts dagegen, schliesslich ist die Miete eines 4x4 Pickup mit Fahrer und Bergfuehrer fuer 4 Tage auch
in Peru nicht ganz billig! Der Ampato ist technisch auch nicht schwierig, und dass der Kanadier in der Deutschen Bundesliga Eishockey gespielt hatte, hat mich schlussendlich von seiner Fittnes ueberzeugt.
Der einzige Schwachpunkt schien mir Spencers Akklimatisation. Nach laengerer Zeit auf Meereshoehe, wird er nur zwei Naechte auf 2500 Metern verbracht haben, bevor uns der Pickup in kuerzester Zeit auf fast 5000 Meter katapultieren wuerde. Das koennte schon funktionieren, hatte der Bergfuehrer Carlos Zarate uns in seinem Buero erzaehlt, schliesslich hatten wir vier Tage fuer die Besteigung eingeplant, anstatt deren drei, wie sonst ueblich. Sicherheitshalber hatte er aber schon mal die kleine Dose mit Diamox, einem Medikament, das die Anpassung an die Hoehe erleichtert, aus einer Werkzeugkiste in seinem Buero geholt, damit er es seinem Cousin Johann, der uns fuehren sollte, mitgeben koenne. Ich hatte eben mehrere Tage auf ueber 4000 Meter verbracht, in Bolivien und waehrend der Besteigung eines 5000ers mit Birgit in Chile. Ich fuehlte mich gut vorbereitet fuer diese kleine Expedition.
Das Diamox hilft Spencer im Moment leider nichts. Sein Koerper kann es nicht aufnehmen, weil er sich wieder uebergeben muss. Als wir um vier Uhr abends im Camp angekommen waren, ging es im gut
Johann und Spencer
Im Basislager auf ca. 4900 Meter. und wir hatten uns darueber gefreut. Nur Johann hatte gemahnt, dass wir erst nach sechs Stunden sagen koennen, wie wir alle die Hoehe ertragen. Weniger als eine Stunde hat es gedauert, bevor Spencer sich ueber Magenbeschwerden beklagt hat. Nur ein paar Minuten nach dem Gang hinter den grossen Stein, einem verstaendnislosen Achselzucken und dem Kommentar ‘solid’, hat er sich das erste Mal uebergeben muessen.
Fuer sich und mich kocht Johann um fuenf Uhr abends Suppe, Teigwaren und Cocatee. Spencer hat keinen Appetit. Nach dem Essen, um halb sechs, gibt es dann nichts anderes zu tun, als in den Schlafsack zu kriechen und den Morgen abzuwarten, weil wir uns auf der Ostseite des Berges befinden und die Sonne kurz nach dem Abendessen hinter dem Ampato verschwindet und die Temperatur kurz danach um die Null Grad ist.
Endlich, um 7 Uhr, waermt die Sonne das Zelt und zeigt an, dass es Zeit ist aufzustehen. Die Nacht schien mir unendlich lang. Mein Schlafsack ist fuer minus zehn Grad Celcius ausgelegt und trotzdem war mir kalt. Nebst der ungewoehnten Hoehe waren ausserdem auch Spencers regelmaessige Wuerggeraeusche (richtig erbrechen konnte er unterdessen mit leerem Magen nicht mehr) an meiner Schlaflosigkeit schuld. Sein Zustand
Bei der velassenen Hacienda
Spencer kann mir beim Aufstellen der Zelte kaum helfen... hat sich ausserdem erheblich verschlechtert. Er ist kaum ansprechbar und voellig ohne Motivation, sich nach ueber 12 Stunden auch nur aus dem Zelt zu begeben. Trotzdem schaffen wir es irgendwie, ihn zu bewegen, uns ins Hochlager auf ca. 5500 Meter zu begleiten, wo wir Essen und Material deponieren wollen, fuer die uebernaechste Nacht. Fuer den Weg, der sonst etwa drei Stunden in gemuetlichem Tempo dauert, brauchen wir deren viereinhalb! Alle 15 Minuten setzt sich Spencer hin und ist danach kaum noch zu bewegen, weiterzugehen. Einmal schlaeft er sogar ein, einfach so, auf einem Stein! Wir schaffen es, ihn zu etwas Traubenzucker und einem Getreideriegel zu ueberreden. Wasser scheint sein Magen im Moment auch zu akzeptieren.
Den Rueckweg schaffen wir in ca. einer Stunde. Bergab geht es schneller aber auch nicht ohne Zwischenfaelle. Der fast zwei Meter grosse Kanadier wankt unterdessen beim Gehen wie das Empire State Building im Sturm! Die Schuhspitzen schleift er nur noch in der staubigen Vulkanasche und natuerlich faellt er ein paar mal hin, voellig ohne Kontrolle, wie ein Besoffener. Am Abend beklagt er sich auch ueber Kopfschmerzen, die er "wie ein Ring aus Eisen um den Schaedel" beschreibt. Mir ist es an dem Tag recht
gut gegangen und ich bin ueberzeugt, dass ich am naechsten Tag die Besteigung in Angriff nehmen koennte, wenn sich Spencers Zustand nur bessern wuerde.
Und es besteht Hoffnung! Am Abend uebergibt er sich zwar noch einmal (Wasser mit Getreideriegel unverdaut), sagt aber dann, jetzt sei der Pfropfen in seinem Hals verschwunden und endlich koenne er frei atmen. Und tatsaechlich, da ist er wieder, der alte Spencer! Wie ein umgedrehter Handschuh, 100% gebessert. Wir koennen uns unterhalten wie wir es im Bus getan hatten, er isst mit uns zu Abend und ist motiviert fuer den naechsten Tag.
Die Nacht war natuerlich wieder gleich muehsam wie die vorherige, allerdings schliefen wir alle etwas besser. Am Morgen ist Spencer wieder apathisch, wie am Tag zuvor. Sein Zustand hat sich eher verschlechtert. Er schafft es fast nicht aus dem Zelt, bewegt sich nur langsam und will kaum essen. Johann beschliesst, das Spencer zu der 600 Meter tiefergelegenen, (fast) verlassenen Hacienda absteigen muss. In einem Raum der vier Gebaeude lebt ein Ehepaar, das hier ganz alleine draussen in der Pampa Lamas und Schafe huetet. Bei denen solle er sich melden, damit sie ein Auge auf ihn werfen koennen. Wir haben ihm ein Zelt
mitgegeben und etwas zu essen. Wenn er es alleine in ca. zwei Stunden zu der Hacienda schaffen wuerde, dann koennten Johann und ich in das zweite Lager aufsteigen und es wuerde zumindest fuer uns Hoffnung bestehen, den Gipfel des Ampato doch noch zu erreichen.
Als wir dastehen und Spencer zuschauen, wie er absteigt, trifft Johann die harte Entscheidung: ich muss Spencer begleiten. Mit dem Rucksack kann er kaum noch gehen und wir wissen, wenn er das erste Mal hinfaellt, bleibt er liegen, weil er alleine die Motivation nicht finden wuerde, weiter abzusteigen. Schweren Herzens packe ich meine Sachen zusammen und eile der Zickzack-Spur hinterher. In zweieinhalb Stunden schaffen wir es zu der Hacienda. Spencer war wie erwartet ein paar Mal hingefallen und war jeweils kaum noch zu bewegen, weiterzugehen.
Weiter absteigen koennen wir nicht, denn von diesem Tal muessten wir wieder hoch, ueber einen 5000 Meter hohen Pass, um schlussendlich auf der anderen Seite in tiefere Lagen zu gelangen. Unseren Transport koennen wir von hier aus nicht benachrichtigen. Zu abgelegen fuer Mobiltelefone und Funkgeraete. Es bleibt uns nichts anderes uebrig, als noch eine Nacht auf ueber 4000 Meter zu zelten und auf unseren Transport am naechsten Tag zu warten. Als ich die Zelte aufbaue, kommt auch Johann an, der unterdessen noch das Material im Lager Zwei eingesammelt hatte.
Bei der Rueckfahrt ins Tal am naechsten Tag merke ich, wie es Spencer besser geht mit jedem Meter Hoehe, den wir verlieren. Langsam faengt er wieder an zu reden und hat auch Hunger.
Die Heimfahrt wird noch verzoegert durch einen Unfall zwischen einem Viehtransporter und einem Personenwagen. Zwei Menschen sollen um ihr Leben gekommen sein (ich schaue nicht hin) und auf der Strasse liegen tote Kuehe herum. Alte Frauen rennen aufgeregt schwatzend die Strasse rauf und runter. Manche Maenner helfen, die Kuehe und den Lastwagen aus dem Weg zu schaffen, andere stehen nur da und schauen zu.
Natuerlich bin ich enttaeuscht, dass ich den Ampato nicht gepackt habe. Seien wir froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist! Das naechste mal vielleicht...
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