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Published: August 28th 2009
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So meine Lieben,
übermorgen geht mein Flieger zurück nach Hause - 3,5 Monate Bolivien sind vorbei…irgendwie ist es doch schnell vergangen und trotzdem kommt es mir so vor, als wär ich schon ewig hier…
In meinen letzten Wochen war ich noch ziemlich unterwegs, war zum Beispiel am Dienstagsmarkt in Punata - hab mich natürlich gleich auf den ersten Metern verlaufen, bin dann meloneessend von Autoreifen zu Unterhosen, weiter zu Hüten, Kochtöpfen, Röcken und piepsenden Kücken gestolpert. Irgendwann bin ich zwischen Kartoffeln und Bohnen stecken geblieben und hab von weitem eine Kuh erblickt - der Viehmarkt war der Burner! Mitten in der Stadt standen plötzlich Kühe, Esel, Schweine und Schafe herum…
Außerdem hab ich noch das Sozialprojekt von Alans Frau, Niki in Uspha Uspha besucht. Uspha Uspha ist ein Vorort von Cochabamba. Sie arbeitet dort in einem Kindergarten und einer Schule, zudem haben sie auch noch ein großes medizinisches Zentrum aufgebaut, haben mit den Frauen dort eine Bäckerei sowie einen Handwerksbetrieb eröffnet. Das Projekt fasziniert mich wirklich. Auch wenn es noch viele Probleme gibt, scheint es im Großen und Ganzen ganz gut zu laufen. Als ich dort bin, um mir das Projekt anzusehen, ist gerade der Präsident der Fundación
Sinfonía da. Er will mit den Kindern des Kindergartens und der Schule ein Orchester gründen. Die Pläne von ihm und Niki sind unglaublich spannend.
Ansonsten hab ich noch einige Interviews für meine Arbeit durchgeführt, mir Bücher kopiert und versucht, alles so gut wie möglich zu vervollständigen. Natürlich hab ichs mir auch gut gehen lassen, hab das volle „Schönheitsprogramm“ durchgezogen:
- waren bei der Kosmetikerin, das war eher eine Tortour als sonst was…die haben mich so malträtiert, dass mir die Tränen nur so heruntergekullert sind und haben mir zum krönenden Abschluss noch Elektroschocks verpasst…von wegen man gönnt sich ja sonst nichts…
- hab auch versucht, mich ein bisschen zu bräunen, das ist leider total in die Hose gegangen, hab den ärgsten Sonnenbrand meines Lebens ausgefasst und 5 Tage lang einen schmerzenden, roten, schräg verlaufenden Streifen am Bauch gehabt…
- beim Frisör wars der Hammer - Haar kurz nass gespritzt, zack einmal gerade untenherum geschnitten, dann noch einmal oben, damit der Schnitt auch eine Stufe hat, keine 15 Minuten, zack, fertig, 2 Euro - der schnellste und billigste Haarschnitt, den ich je hatte!
- die Pediküre war aber super!!!
- und mein Sportprogramm hat mich auch
motiviert - bin einige Male frühmorgens die tausendundirgendwas Stufen zum Christo raufgehechelt und hab mich von anfänglichen 30 Minuten auf sportliche 15 Minuten gesteigert
Von den bolivianischen kulinarischen Genüssen hab ich jetzt endgültig genug:
Am Geburtstag meines Chefs geh ich mit Jeronimo und Jamilia Mittagessen und komm dort versehentlich in den Genuss eines Hühnerherzes…
Als wir dann zu Alans Geburtstagsfeier gehen, kocht seine Mama typisch bolivianisch. Wir bekommen einen Riesenteller mit allen möglichen Kartoffelsorten und einem Fleischhaufen mit Sauce. Ich denk mir nicht viel, aber beim Kauen bekomm ich ein mulmiges Gefühl, irgendwas stimmt hier nicht…als Thomas, der deutsche Volontär mir gegenüber angeekelt das Gesicht verzieht und meint: „Ähm, Zunge ist echt nicht so meins…“ wird mir schlagartig schlecht…ich muss an „Komm süßer Tod“ denken und frag mich echt, ob ich auf der Kuhzunge, oder die Kuhzunge auf mir herumlutscht…
Da die ganze Familie von Alan anwesend ist, will ich nicht unhöflich sein, spül die Zunge mit viel Cola hinunter. Aber ich schaffs echt nicht, auch nur ein winziges Stück mehr von der Zunge zu essen. Also widme ich mich dem anderen Stück Fleisch auf meinem Teller, um wenigstens das aufzuessen…blöderweise wieder ohne vorher zu fragen…großer Fehler…
Es
Café Paris - Crepé puré de manzana...
...Palatschinken mit Apfelmus :) das hab ich mir nach Zunge, Schwanz, Herz und Euter echt verdient... schmeckt auch sehr seltsam, ich frag sicherheitshalber Jeronimo…er meint es sei Schwanz…von einer Kuh oder so…na Mahlzeit (Als ich ein paar Tage später versehentlich auch noch Euter koste, reichts mir wirklich!)…
Ich bin echt nicht mehr zimperlich, esse Fischsuppe mit Fischaugen und gegrillte Jochi mit Borsten zum Frühstück, aber das alles an einem Tag ist mir echt zu viel!
Zum Glück gibt’s im Anschluss Chicha und bolivianischen Weinschnaps!
Trotzdem komm ich zu dem Schluss, dass ich wahrscheinlich vor ein paar Monaten alles wieder ausgespuckt hätte - nicht nur in Bezug auf Essen und nicht-zimperlich-Sein hab ich in den letzten 3,5 Monaten viel gelernt…die bolivianische Unkompliziertheit und Lockerheit hat mir sicher auch gut getan…
Zudem hätte ich mir nie hätte ich mir gedacht, dass mir eine so laute, dreckige und anstrengende Stadt wie Cochabamba, mir all seinen schreienden Marktfrauen, hupenden Autos und Bettlern so ans Herz wachsen kann…
Was ich vermissen werd:
- die freundlichen, positiven, spontanen und unkomplizierten Menschen
- den Blick auf den Christo von jedem kleinen Gässchen in Cochabamba aus
- bolivianische Suppe
- Plátanos
- Fruchtsalat vom mercado
- den Sternenhimmel von Sanandita
- das Zirpen der Grillen und Quaken der Kröten
wenn es in Sanandita dunkel wird
- zu 11 im Taxi zu fahren
- das Fahren mit den Mikros und das „Voy a bajar!“ schreien, wenn ich aussteigen will
- extrem fein und lecker mit Vorspeise, Suppe, Hauptspeise, Nachspeise UND Wein um 1,90 Euro Mittagessen gehen
- die Jugos mit agua oder leche - Frucht- und Milchshakes
- Spanisch sprechen
- die Schneiderei gleich um die Ecke, bei dem ich mit meiner kaputten Hose Dauergast bin
- auf der Cancha einzukaufen
- an jeder Ecke telefonieren zu können
- dass jeden Tag mein Zimmer geputzt und mir Frühstück gemacht wird
- den täglichen Sonnenschein
- das Café Paris
- die hübschen und vor allem braven Kinder, die mich mit ihren großen dunklen Augen ansehen, als würd ich vom Mond kommen
- die dicken, aber trotzdem eleganten Frauen mit ihren ausladenden Röcken, langen, schwarzen Zöpfen und den hübschen blumenbesetzten Hüten
- mein Zimmer im Hostel
- Cochabamba
Was ich eher nicht vermissen werde:
- das Hinterhergepfeife, -gehupe und -geschreie
- den Dreck und Müll auf den Straßen, neben den Straßen, in den Flüssen, auf den Wiesen, etc.
- die (fast) tägliche Fleischration (inklusive Herz, Zunge, Schwanz und Euter)
-
die kalt bis lauwarmen Duschen
- die Magenprobleme
- nervige, ignorante Backpacker
- die Straßenköter (einer hat mich nämlich in den Knöchel gebissen…)
- …viel mehr fällt mir aber nicht ein…
Bei meinem letzten Besuch beim Christo, hab ich einen kleinen Spielplatz entdeckt. Ich denke über die wunderschönen, aufregenden, ereignisreichen, lustigen, abenteuerlichen, spannenden, bewegenden, manchmal auch kraftraubenden und anstrengenden, aber in jeder Hinsicht lehrreichen und bereichernden 3,5 Monate nach und schaukle mit dem Christo im Rücken in den strahlend blauen Himmel…
Danke Bolivia, für die unglaublich schöne Zeit...
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