Babuschkas


Advertisement
Russia's flag
Europe » Russia » Northwest » Moscow
October 13th 2006
Published: October 13th 2006
Edit Blog Post

Hallo Leute,

Alles im Lot, der Kerl hat das Leben so weit es geht unter Kontrolle und die Details werden Stück für Stück besiegt.
Weshalb ich so selten schreibe? Nun, es ist schwer euch immer etwas neues aufzutischen, wo ich doch nun schon seit einiger Zeit hier bin. Wenn man darüber nachdenkt, Chelyabinsk war vor einem Jahr im Oktober. Man hat sich daran gewöhnt in diesem schwierigen Land zu leben und das exotische ist dem Alltag gewichen. Dennoch bin ich immer wieder (meist positiv) überrascht und beeindruckt. Mein Leben hier ist ausgefüllt, (vielleicht wäre angefüllt das bessere Wort), ich bin meist gegen 2000 Uhr zu Haus und nach den Alltagsgeschäften (Kochen, Einkaufen, Abwaschen) geht meist nicht mehr viel. Einmal die Woche gehen wir aus, Montag Fussball in der Botschaft, Sonntag Badminton ebenso dort, dazwischen so viel Russisch reden wie nur irgend möglich, und halbwegs auf das Geld achten.

Sonst steht auf dem Plan: Kino (auf russich - zumindest meistens), einmal die Woche (+ Wochenende) richtig fett weggehen, und Alltag. Wir versuchen zum Beispiel schon seit dem Einzug das Bad zu reparieren (der Wasserhahn funktioniert nicht, wir haben nur den Duschkopf). Die anderen interessiert das weniger, aber Peter und ich (in großdeutscher Manier) haben schon so einiges Versucht. Angefangen bei Schraubenschlüsseln, Klebeband und neulich hatten wir eine Konstruktion mit einer Gabel (zum Essen). Hatte zwei Nachteile, wir hatten nicht mehr genug Gabeln in der Küche und richtig funktioniert hat es auch nicht. Zur Zeit wird nicht wirklich viel zur Problemlösung unternommen, aber wir haben auch nicht aufgegeben. Man hat sich den russischen Geflogenheiten angepasst. Es wurde vertagt. Und in zehn Wochen ziehe ich ja auch schon wieder aus 😉

Und natürlich immer wieder Gäste, wir hatten in der letzten Woche - eine Türkin für eine Nacht zu Gast (sie hat meine Stelle in St. Petersburg bekommen nachdem ich dort abgesagt hatte), einen Extra-Inder und seit Dienstag noch mal einen Türken. Superinternational!!! Wir sind also durchschnittlich sechs Personen in drei Zimmern, und da ich ein wirklich kleines Zimmer habe durfte ich allein bleiben. Sehr angenehm. Ist mir sowieso mehr oder weniger egal wie viele Gäste jeder mitbringt, solange die sich nicht in meinem Bett wiederfinden...
Kleines Problem hatten wir dennoch, wir haben nur vier Stühle, wenn wir also zusammen Essen oder Gäste haben so wird meist bei den Nachbarn kurz ein oder zwei Stühle geliehen. Die sind super nett, zwei alte Babuschkas. Ist schon gut, wenn die Nachbarn in Ordnung sind. So dass nicht bei jeder Feier nach zehn Minuten die Milizia vor der Tür steht 😉

Es macht zwar Spass in dieser WG zusammen zu wohnen, aber wenn so viele Menschen auf einem kleinen Fleck zusammen sind, entstehen natürlich auch Reibungspunkte. Telefon ist ein Kampfpunkt, was auch sonst bei sechs Ausländern und einem Telefon, wobei man auch noch über die gleiche Leitung ins Internet geht. Aber das wird alles gelöst. Wenn nur überall auf der Welt Konflikte so einfach gelöst werden würden.
Dennoch bemerkt man einen großen Unterschied zwischen den Ansichten der einzelnen Bewohner. Ich bin zum Beispiel ab und zu in Unterhose unterwegs, besonders nach der Dusche, oder auch schon mal in der Küche. Hätte auch kein Problem wenn andere das machen. Ist doch unsere Wohnung. Doch eine Mitbewohnerin hat mich neulich richtig angefahren, das wäre unhöflich und sie würde keinen Ton mehr mit mir reden wenn ich mir nichts überziehe. So etwas von spießig. Die soll mal klarkommen mit ihren neunzehn Jahren, das erste Mal von zu haus weg und mir erzählen was unhöflich ist. Also arbeite ich an ihrer Erziehung und genieße die Ruhe...

Es wird jetzt auch ab und zu in der WG ferngesehen. Eine amerikanische Serie, Lost, und wir schauen diese auf Russisch. Die gesamte WG, ausser Masha. Das waere ja auch zu langweilig. So ist es viel interessanter, da keiner genug versteht und die Spekulationen herrlich sind. Super Erfahrung, ich bin ja eigentlich gegen Serien, aber so macht das Fernsehen spass.

Ich habe mittlerweile sogar Nachrichtenzugang. Zumindest alles was Russland betrifft bin ich auf dem neuesten Stand. Was mich aber nicht unbedingt fröhlich stimmt. Wenn man sich einmal die letzten zwei Wochen anschaut, so hatten wir eine Menge schlechte Nachrichten. Ich war ja immer ein (kritischer) Befürworter des Präsidenten, doch was hier grad politisch entschieden wurde ist eher grenzwertig. Wenn man den Georgiern, nur weil sie vier (vermeintliche) Agenten verhaftet und ausgewiesen haben, die Verkehrswege, den Postverkehr und den Zahlungsverkehr sperrt, so ist das schon mehr als übertrieben. Zumal die politischen Aktionen auch andere Folgen hatten, es werden georgische Geschäfte boykottiert und in verschiedenen Regionen wurden neulich Schüler mit georgischen Nachnahmen nach haus gebracht und die Registrierung der Eltern überprüft. Wie gesagt, es ist legal dies zu tun, wenn man aber als erkennbarer Nichtrusse von der Miliz 16 Mal häufiger kontrolliert wird als ein Russe, so ist das schon Schikane.
Ich will hier keine Meinungen beeinflussen, nur so etwas beschäftigt mich schon, besonders da dies eine generelle Einstellung zu sein scheint. Dies ist ein Vielvölkerstaat (91 Völker), doch die nationalistische Einstellung der Russen ist hoch. Als Standardeuropäer ist das nicht so schlimm, besonders als Deutscher wird man überall hoch angesehen, der Respekt für die deutsche Kultur war schon immer da. Der Krieg wird quasi als Ausrutscher bezeichnet, außerdem hat man den ja gewonnen. Doch wenn der Inder bei uns erzählt das er unter anderem schon mal fünf Stunden auf einer Polizeiwache festgehalten (richtig eingesperrt) wurde, und dann der Türke (welcher zur Zeit bei uns zu Gast ist) sagt das er ebenfalls einmal sieben Stunden in so einer Zelle verbracht hat, so gibt mir das schon zu denken. Ich bin nicht betroffen, und beide hatten damals auch ihren Pass vergessen (den sollte man IMMER!!! Dabeihaben), dennoch ist die Stimmung eher kritisch gegen allem Fremden. Es sind natürlich nicht alle so, die Stundenten und die Mittelklasse sind von solchen Vorurteilen meist ausgenommen, doch sie bilden in Russland eher den leisen Anteil.
Man kann also dem Präsidenten nicht wirklich einen Vorwurf machen, denn er handelt schon sehr demokratisch und dem Mehrheitswillen nach. Da lob ich mir unsere Wohnungsnachbarn, super nett...

Mhm, wenn ich das so schreibe, so denke ich es reicht mit schlechten Nachrichten über Russland, ich werde also hier nicht näher auf die Morde von der Journalistin und dem Vertreter der Zentralbank eingehen. Nur ganz kurz eine Anmerkung: Als ich in der Botschaft war, habe ich in der Wirtschaftsabteilung mit einem Mann zusammengearbeitet, welcher dem (jetzt toten) russischen Zentralbankvertreter zugearbeitet hat. Für euch sicherlich weniger aufregend, aber für mich schon irgendwie ein Denkanstoß. Wir sollten nicht denken, nur weil es in Russland wirtschaftlich bergauf geht, tut es dass auch in anderer Hinsicht.
Aber man kann auch bequem leben ohne davon betroffen zu werden. Ich hatte noch niemals Probleme, zähle nicht wirklich zur Zielgruppe.

Ich denke dadurch entsteht auch manchmal in Russland ein falsches Bild, weil die Mentalität doch eher zurückhaltend ist, somit gibt es - wie so oft - wenige laute Stimmen welche den die Musik machen. Also, macht euch keine Sorgen um mich.


Euer martinowitsch



Streiflicht


Wenn das Leben umstaendlich ist, so sucht man sich immer kleine Dinge welche dich wieder aufleben lassen. So kaufe ich jeden frueh bei einer Babuschka an der Elektritschka (Vorortzug) mein Mittag. Sie kennt mich, mittlerweile begruesst sie mich schon von weitem mit „Sonze Majò“(meine Sonne???), was nicht wirklich typisch in Moskau ist. Aber das Essen schmeckt gut, der Preis ist fair und ich habe irgendwie ein gutes Gefuehl bei der Sache. Was wuerde Russland wohl sein ohne die Babuschkas welche alles am Leben halten, sie sorgen fuer Ordnung in der Transsib, sie verkaufen Tickets und Blumen, oder halt selbstgebackene Sachen am Strassenrand. Wenn ich dann zahle und sie mir mit einem Laecheln das Essen gibt - ein schoener Teil des Alltags!


Advertisement



13th October 2006

sonze majo,
bewundere wie schön und richtig du immer über alles schreibst. das pflanzending, dass du mitgebracht hast, hat wurzeln und werde es nun auf baumgrösse züchten. rock on. ich glaube die 19jährige iss verliebt in dich, schliesslich siehst du doch klasse aus in unterhosen!frag noch mal.

Tot: 0.221s; Tpl: 0.019s; cc: 9; qc: 46; dbt: 0.0811s; 1; m:domysql w:travelblog (10.17.0.13); sld: 1; ; mem: 1.1mb