Auf der Suche nach den Wurzeln


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Russia's flag
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October 24th 2006
Published: October 24th 2006
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Kaliningrad 1Kaliningrad 1Kaliningrad 1

Das erste Bild - was auch sonst - der Bahnhof!
Privet!

Ich bin wieder zurück in Moskau nachdem ich einen Wochenendausflug nach Koenigsberg gemacht habe. Was kann ich sagen, über diese russische Insel in Europa? Nun, es ist nicht wirklich Russland. Wenn ich durch das deutsche Viertel gehe, so erinnert mich das an verschiedene DDR Kleinstädte. Man sieht auf jeden Fall das diese Stadt einmal wirklich angenehm war. Viel Platz, Grünanlagen, und irgendwie ein angenehmes Flair. Doch mit dem Krieg wurde dort alles platt gemacht, und was noch übrig war ist nach dem Krieg irgendwie Opfer der Zeit geworden. Heute ist dort alles verrussischt, nur noch an wenigen Plätzen sieht man, bei genauerem Hinsehen, ein deutsches Schild. Zum Beispiel ist am Bahnhof noch das Schild (sogar erneuert) „Bahnhofdienstleiter“

Doch am gravierendsten ist der Unterschied der Menschen. Es gibt dort nicht diese Zurückhaltung wie in Moskau, die Menschen sind aufgeschlossen und redselig. Wenn man in Moskau nach dem Weg fragt, wird stumm in eine Richtung gewiesen und weitergegangen. Es kommt nicht wirklich eine Unterhaltung zu Stande. Selbst wenn in der Metro der Platz für eine ältere Dame freigemacht wird (was ziemlich häufig vorkommt), so geschieht das ohne Worte. Eine zurückhaltende Höflichkeit.
In Kaliningrad ist dies anders. Die Menschen sind hilfsbereit
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Super Wetter...
und nett, und sie haben Spass an der Unterhaltung. Das Leben ist nicht ganz so hektisch wie in Moskau, was vielleicht auch ein Grund für das angenehme Ambiente ist. Es wird geholfen und wenn man lächelt wird man nicht gleich als Tourist erkannt.

Doch zum Ablauf, der Flieger war 30 min zu spät. Ist eigentlich nicht erwähnenswert, wenn er nicht wegen mir zu spät wäre. Ich kam am Flughafen Sheremetevo an, war alles knapp kalkuliert aber ohne Probleme. Doch ca. 40 Leute hinter mir in der Schlange standen noch zwei Deutsche aus Dresden (Erwin und Markus, Erwin war schon sehr alt, aus Kaliningrad ursprünglich und will die Heimat besuchen, Markus war die jugendliche Unterstützung). Beide konnten kein Wort Russisch und es wäre sicherlich ganz schön eng geworden, wenn ich (ohhhhh ja, ich heiliger Samariter!) nicht auf das Flugpersonal eingeredet hätte das noch zwei in der Schlange stehen und wir warten müssen. Die hätten das eigentlich wissen müssen, aber aus irgendeinem Grund waren die Plätze doppelt belegt. Ich sage also zur Stewardess: „da kommen noch zwei!“ Sie schaut mich an: „Auf meiner Liste ist nur einer!“ „Aber die sind wirklich zu zweit“ „Aber auf meiner Liste ist nur einer“, usw.
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...Super Stimmung!
Die beiden kommen endlich um die Ecke, sie schaut ihre Nachbarin an: „da kommen noch zwei“ „Aber auf der Liste...“ Endlose unverständliche Diskussion und am Ende alle im Flugzeug.

Am Ende war dies total undurchsichtig, aber wir haben es geschafft. Sie sind sicher gelandet und ich habe Sie noch im Bus in die Stadt begleitet. Ich kenne ja die Situation wenn man irgendwo neu ist, grad angekommen, vielleicht noch Sprachprobleme, da ist man für jede Hilfe unglaublich dankbar. Und ich mach ja so etwas gern, ist eigentlich ein Riesenspass! Besonders mit dem Flieger das war schon wieder so eine Geschichte wie im Comic. Doch wir sind schließlich alle sicher angekommen und ich hoffe Erwin hatte eine angenehme Zeit in der Heimat.

Ich hatte ja ebenfalls wieder alle Hilfen in Anspruch genommen und versucht herauszufinden wo genau denn meine Wurzeln in Kaliningrad liegen. Am Ende hat mir aber die Zeit und die Entfernung einen Strich durch die Rechnung gemacht, an einem Wochenende hat man einfach nicht genug Zeit um in die entlegeneren Regionen zu reisen. Also verschoben - die Frage ob die Überreste von damals so interessant sind verbleibt im Raum.


Also alles reibungslos verlaufen, keine besonderen Vorkommnisse.

Bis auf einen kleinen Zusammenprall mit der russischen Staatsgewalt. Ich komme Sonntag Abend in Moskau aus dem Flieger - in gewohnter Manier mit Mantel und rotem Schal - und ich werde am Arm gefasst, soll mich ausweisen. Also, ich bin total erschöpft, nachdem man zwei Tage verreist war und dann um 2300 Uhr kommt die Miliz auf die Idee mich irgendwie abzuzocken. Ich war schon ein wenig genervt, nicht wirklich von dem Aufwand, aber ich war müde und wollte einfach nur sitzen.
Der Kerl guckt sich meinen Pass an, legt die Stirn in Falten und murmelt etwas von einem großen Problem. Natuerlich, was auch sonst! Unglücklicherweise ist meine Registrierung zwar von einem Hotel und nicht von meiner Wohnung, aber sonst ist alles in Ordnung. Es kommt ein zweiter hinzu, sie murmeln etwas von bolschaja problema! und nehmen mich mit. Ich werde in einen kleinen Raum ohne Fenster geführt, dort befindet sich ein Sofa und ein Tisch. Er setzt sich an den Tisch und man versucht mir zu erklären, dass es ein riesiges Problem gibt, ich nach Deutschland abgeschoben werde und es keine andere Möglichkeit gäbe. Nun, natuerlich wird dieses Problem nicht näher erklärt, obwohl ich mehrmals nachfrage.
Also nehme ich erst mal Platz auf dem Sofa, somit ist mein Hauptanliegen geklärt und ich kann mich dem eigentlichen Problem widmen.
Ich spiele den Dummkopf, verstehe kein Wort in Russisch und habe überhaupt keine Ahnung was sie von mir wollen. Die beiden unterhalten sich über meine Registrierung, „Seine Registrierung ist einwandfrei, aber hier ist etwas falsch ausgefüllt“ „Da lässt sich etwas machen...“ usw. Die Details verstehe ich natürlich nicht, aber es geht darum mir irgendetwas anzuhängen um mich abzuzocken.
Das Gespräch geht mittlerweile schon 25 Minuten, doch meine Stimmung ist sehr gut, ich habe kein Geld mit mir was mir abgenommen werden könnte, ich habe Zeit und ich sitze auf einem bequemen Sofa. Die beiden diskutieren mit mir und ihnen wird immer mehr klar das ich wirklich kein Geld habe. Sie sagen immer wieder das ein Protokoll gemacht wird und das ich dann abgeschoben werde. Ist natürlich Humbug, aber ich bin mir dennoch bewusst das die beiden mir zumindest eine recht anstrengende Nacht auf irgendeiner Polizeistation besorgen könnten. Also spiele ich den Dummen, verstehe gerade genug russisch um sie nicht zu sehr zu nerven und ich bemerke das ihnen ein wenig die Zeit davon rennt. Es ist wohl ein anderer Flieger ebenfalls gelandet und man hatte nicht geplant soviel Zeit mit mir zu verplempern. Also frage ich: „Was machen wir jetzt“, Er sagt: „Wir lösen das Problem“ und dabei lächelt er mich an. Ich frage: „Und wie“ und er erklärt es mir. Aber ich frage erneut (ich habe natürlich schon lange verstanden das es um Geld geht, aber die Höhe ist jetzt wichtig und da muss er schon konkret werden). Ich spiele als ob ich nichts verstehe, und er nimmt meinen Pass, tippt auf mein Geburtsdatum und sagt: „Du bist doch schlau“, danach erklärt er mir wie einem fünfjährigen das er essen muss hier und so weiter. Ich sage viel zu laut: „Ihr wollt also Geld? Nun, über wie viel reden wir denn hier?“ Dabei öffne ich mein Portmonaie und zeige ihm meine 230 Rubel welche ich noch habe. Dies sind ca. 6€, viel viel zu wenig für eine Bestechung. Er winkt ab, ist ein wenig irritiert von meiner Lautstärke, (der Raum hat zwar keine Fenster, die Wände gehen nicht bis zur Decke, so das meine Worte auf jeden Fall auch ausserhalb zu hören waren). Er fragt mich nach Euro, und ich finde einen 5€ schein im Portmonaie ganz unten.
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so who is that ;)

Es sind schon fast 40 Minuten vergangen, ich habe meinen Mantel abgelegt und wirklich gezeigt das ich mich darauf eingestellt habe länger dort zu bleiben. Die Polizisten sehen ihre möglichen weiteren Einkünfte davonschwimmen als der Ansager im Flughafen die nächsten Flugzeuge ankündigt. Er zeit mir drei Finger, ich schaue ihn an und frage wieder viel zu laut: „3000?, das sind 100$, das ist unmöglich, dann machen wir das Protokoll“ Er knickt einen Finger ein, schaut mich an, und knickt einen weiteren ein. Also 1000Rubel, knapp 30€. Ich sage ihm das ich das Geld nicht habe, ich zu einem Bankautomaten muss. Alles ganz ruhig, die Zeit ist zum ersten Mal in Russland mein Verbündeter. Er schaut mich an, mittlerweile haben wir ein wenig small talk über das Leben in Russland betrieben und die Stimmung ist nicht mehr so aggressiv, besonders nachdem der andere Polizist den Raum verlassen hat und draussen neue Opfer sucht. Er schaut mich an, will mich nicht zum Bankautomaten gehen lassen und sagt schließlich: „Diese fünf Euro, wie viel sind das eigentlich in Rubel?“ „Ich übertreibe gnadenlos und sage: „Kommt auf den Kurs an, aber man kann schon 600 Rubel dafür bekommen, vielleicht ein wenig mehr“. Wie gesagt, ist schon eine sehr optimistische Schätzung, ehrlich gesagt wird es wohl in ganz Russland keine Wechselstube geben die ihm mehr als 200 Rubel gibt, realistisch wären 180Rubel. Aber gut, dafür ist er halt nur irgendsoein Hilfsgrenzbeamter geworden. (Ist nicht nett was ich hier sage, aber hey, wenn er mich in Devisen abzocken will dann muss er wenigstens die groben Wechselkurse kennen!) Dazu biete ich ihm meine 230 Rubel an, und sage das es ja jetzt insgesamt fast tausend sind. Er schaut mich an, lächelt. Nimmt das Geld. Ich erkläre ihm, das ich für den Bus bis in die Stadt aber noch 30Rubel brauche, und nehme mir diese wieder. Und ich bin frei, nehme die Beine in die Hand und entferne mich mit Würde und einem Ego was fast nicht durch die Tür gepasst hätte...

Wir haben in der Uni immer gelernt das bei Verhandlungen wichtig ist, dass beide Parteien davon überzeugt werden sie hätten ein gutes Geschäft gemacht. Er freut sich, das er mich nach einer Stunde wieder losgeworden ist und 800 Rubel für nichts bekommen hat. Ich hingegen freue mich das ich für diese Allgegenwärtigkeit in Russland diesmal nur 11€ gezahlt habe (380 Rubel).

Was lernen wir daraus:

1.Blickkontakt vermeiden um Konfliktsituationen aus dem Weg zu gehen. Solange man niemand anschaut ist man irgendwer in der grauen Masse, aber sobald ich dem Polizisten in die Augen geschaut hatte war ich allein, quasi jemand und nicht mehr irgendwer.
2.niemals hohe Summen mit sich herumschleppen
3.trotzdem immer irgendwo 5€ einstecken haben (vielleicht auch 10, je nachdem wie viel Zeit man hat)
4.Wenn der Schlaue sich dumm stellt kann es klappen, andersherum geht es immer schief...
5.Geduld (welche ich ja nicht immer habe) zahlt sich am Ende meist aus.
6.Es geht in Russland nicht ohne Bestechung, egal wann, wo und wie. Zum Glück haben die Brüder mich nicht am Anfang erwischt als ich so lange ohne Registrierung war...

Ich will hier auch nicht zu cool erscheinen und schreiben das ich in Russland die Polizisten über das Ohr haue, so etwas ist immer abhängig von der Situation. Es gibt immer diese Momente wenn man einfach merkt das etwas möglich ist und es gibt Momente wenn man besser still hält und zahlt. Hängt von der Situation ab. Und von der Fähigkeit diese einzuschätzen.

Was gibt es sonst noch aussergewöhnliches? Die WG war letztes Wochenende in der Sauna. Sieben Leute, Engländerin, Engländer, Österreicher, Deutscher, Inder, Türke und eine Amerikanerin. Zwei Stunden, es wurde sich natürlich auch mit diesen ominösen Zweigen verprügelt. Danach hatte ich sogar leichte Spuren auf dem Rücken. Am folgenden Montag in der Botschaft wurde ich darauf angesprochen, nun, wie erklärt man das?
Wir hatten auch verschiedene Russen gefragt (meist weiblicher Natur), doch uns wollte niemand begleiten. War ja zu erwarten, wenn man sich schon wegen einer Unterhose aufregt...
Ist auf jeden Fall ein Erlebnis, und ich freue mich schon wieder hinzugehen. Daneben gab es immer wieder viel Bambule, z.B. hat der Inder gekocht und wir schauten alle einen indischen Film, dazu verschiedene Wetten und sonstige Blödeleien.

Ach ja, und ich besuche jetzt auch einen Russischkurs. Beim Einstellungstest hab ich mich total blamiert, an gibt mir einen einfachen Test, ich mache die Hälfte und danach frage ich nach einem schwierigeren. Den schließe ich ab und auch gar nicht so schlecht. Es wird also alles beredet und am Ende kommt irgendwie das Gespräch auf den nicht abgegebenen ersten Test, und der ist natürlich fast komplett falsch. Ohhhhh man, wie gesagt, ich komme super zurecht, in der Firma und so weiter. Habe mittlerweile ein ganz ansehnliches Repertoire an Worten
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das deutsche Viertel, koennte auch in Poessneck sein, oder?
und werde auch recht gut verstanden, doch die Grammatik steckt immer noch in den Kinderschuhen. Wird aber noch, für Konversationen mit Polizisten reicht es immerhin 😊 Also, Mittwoch ist mein erster Kurs - schaun wir einmal!

Noch eine Anmerkung zum Essen: Diesmal etwas aussergewöhnlicher. Es gibt in Russland so kleine Schoko-Joghurt-Riegel, diese nennen sich syroki und sind ein Überbleibsel aus Sowjet Zeiten. Ich bin immer total heiss auf die gewesen, und neulich habe ich im Supermarkt die Dinger für den Schleuderpreis überhaupt gesehen und ca. 30 gekauft. Zuhaus habe ich dann bemerkt das der Grund für den Preis im Verfallsdatum lag. Sie liefen am selben Tag ab. Was macht man also als Betriebswirt? Natürlich, man ist so schnell wie möglich so viele wie nur irgendwie machbar! Ich habe in den ersten drei Stunden ungefähr 20 geschafft. Mehr ging nicht. In den folgenden drei Stunden hatte ich ein komisches Gefühl und die folgenden zwei Tage hatte ich Durchfall. Aber es geht mir wieder besser. Und was lernt man daraus?

Liegt jawohl auf der Hand: Man sollte nicht 30 Riegel kaufen wenn man nur 20 schafft😊

die restlichen Riegel haben die WG Mitglieder sehr vorsichtig aber dennoch energisch verzehrt.

Und soeben bin ich nachhaus gekommen und habe von meiner Mitbewohnerin kurz vorher eine SMS bekommen das wir heute nur franzoesisch reden muessen und dies irgendwie wichtig fuer ihren job ist da sie Gaeste hat. Nun, ich weiss das ihr franzoesisch genauso schlecht ist wie meines, also habe ich mich zu einer begruesung und verabschiedung hinreissen lassen und bin ins Internet Cafe.
Eigenartig, hoert sich fast so an als koennte da eine interessante Geschichte fuer den naechsten Blog draus werden...

Bis dahin,

Au Revoir!

Martin
















Streiflicht



Wenn man in der Elektritschka(Vorortzug) sitzt so ist das schon eigenartig, alles schlaeft und ich habe mir angewoehnt auf der Rueckfahrt in Moskau (Endstation) zumindest meinen Nachbarn leicht anzutippen damit dieser aufwacht und nicht wieder in die entgegengesetzte Richtung faehrt. Das habe ich immer mit ein wenig Mitleid getan, vielleicht nicht wirklich Mitleid sondern eher aus Hilfsbereitschaft. Heute auf dem Heimweg bin ich selbst eingenickt ueber dem Russischbuch. Es war so warm und dieses tuckern (wie in der Transsib), da wird man schlaefrig...
Ich wurde ebenso von meiner Banknachbarin angetippt. Danke!





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24th October 2006

Hey Martin, schoen mal wieder was von dir zu hoeren und lesen zu koennen, dass es dir anscheinend richtig gut geht und richtig gut gefaellt. Klingt als haettest du eine Menge Spass. liebe Gruesse, anja
28th October 2006

biste halt der der typ der de immer schon warst. wirst halt nur erwachsen. gruesse dann mal von mir und auch von jack. hab den jetzt hier an der UIBE getroffen, und er ist ja jetzt noch hellauf begeistert von dir. tja, da hats halt einer drauf...

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