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Published: September 26th 2009
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Atyrau, 7. September 2009
Nach zwei Wochen verlasse ich Almaty mit einem Zug nach Turkistan, wo ich das Mausoleum von Khoja Ahmad Yasavi besuche, das bei weitem architektonisch bedeutendste Monument Kasachstans. Ich unternehme auch einen Ausflug zum Fluss Syrdarja, der im kleinen Aralsee muendet. Junge Kasachen ueberreden mich zu einem erfrischendem Bad. Dies ist einer der raren Schwimmerlebnisse dieses Sommers, da meine Reise mich in erster Linie durch trockene Gegenden fuehrt. Es bleiben mir aber Zweifel was die Sauberkeit des Wassers anbelangt. Die Sowjets benutzten frueher das giftige Pestizid "Agent Orange" in der Region, um die Baumwollplantagen zu entlauben. Reste dieses Gifts koennen immernoch im Boden, im Wasser und in der Nahrung der Menschen in der Region nachgewiesen werden. Die Kindersterblichkeitsrate und die Zahl der Krebserkrankungen sind rund um den Aralsee einiges hoeher als in vergleichbaren Regionen Zentralasiens.
Trotz diesen giftigen Prognosen reise ich mit dem Zug weiter ueber Kyzylorda nach Aralsk. Die Landschaft ist eintoenig braun und flach. Ein Haus bringt Abwechslung, Strommasten, Kamele, Pferde, ein Bahnuebergang, ein Friedhof. Ansonsten sieht man vom Zugfenster waehrend Stunden nur das gleiche braune Gras.
Aralsk wurde erst vor etwas mehr als 100 Jahren mit dem Bau der Eisenbahnlinie nach Tashkent
gegruendet. Sie lebte von der Fischerei und vom Handel an ihrem Hafen. Nun sind es aber bald 40 Jahre her, seit das Meer vom Hafenbecken verschwunden ist. Geblieben sind rostige Lastkraene, leere Fabrikhallen sowie die rostigen Schiffe auf dem trockenen Meeresboden. Selbst sie sind am verschwinden, da die Einwohner angefangen haben deren Altmetall nach China zu verkaufen.
Malik (Name geaendert) arbeitet fuer die NGO Aral Tenizi, die sich fuer eine nachhaltige Fischerei im Aralsee einsetzt. Zusammen mit zwei Deutschen und einem belgischen Fahrradfahrer faehrt er uns in einem Gelaendewagen auf eine Tour durch den ausgetrockneten Meeresboden zum Schiffsfriedhof und zum momentanen Ufer des Kleinen Aralsees. Die Weltbank hat 2003 einen Staudamm mit einem Kredit finanziert, der seit 2005 das Wasser des Syrdarja Fluss im noerdlichen kleinen Teil des Aralsees staut. Damit konnte immerhin ein Teil dieses Sees gerettet werden, der frueher mit 68'000 Quadratkilometern der viertgroesste See der Erde war. Erstaunlich ist, dass Kasachstan fuer den Bau eines solchen Damms einen Kredit der Weltbank benoetigt. Das Land hat riesige Oelreserven und verdient durch dessen Export viel Geld. Fuer Malik ist dies eine Folge der latenten Korruption, die ueberall im Land grassiert. Universitaetsdiplome koennen erkauft werden und fuer eine Stelle
beim Staat ist es nicht erstaunlich, wenn man die verantwortliche Person mit dem equivalent von zehn Monatsloehnen schmieren muss. Seine NGO wartet auf eine Spende der staatlichen japanischen Entwicklungshilfe. Das Geld ist laengst in Kasachstan eingetroffen. Auf dem Weg zum Aralsee ist es aber in der Hauptstadt Astana steckengeblieben. Seit Januar warten nun die Angestellten der NGO auf ihren Lohn. In einem zweiten Schritt moechte die kasachische Regierung mit einem zusaetlichen Damm erreichen, dass wieder Wasser im Hafen von Aralsk liegt. Technisch sowie finanziell scheint dies moeglich. Malik ist dennoch skeptisch, ob dies jemals zustande kommt. Nichtsdestotrotz gibt es am noerdlichen Aralsee wieder Hoffnung. Der Seepegel scheint halbwegs stabil und es gibt Menschen, die von der Fischerei leben. Suedlich des Damms bleibt von dem, was man vorhin den "Grossen Aralsee" nannte, nur ein kleiner Streifen im Westen uebrig. Es bleibt aber darauf hinzuweisen, dass der See wegen seiner niedrigen Tiefe vermutlich schon frueher seine Groesse veraenderte. Malik meint, vor kurzem sei auf dem ausgetrockneten Meeresboden des suedlichen Teils die Reste einer Siedlung entdeckt worden, die aus dem 12. Jahrhundert stammen soll. Dies wuerde heissen, dass der See damals kleiner war als zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
In einem Coupe
Abteil, der 1. Klasse in den Zuegen der Ex-Sowjetunion, erreiche ich einige hundert Kilometer weiter westlich Atyrau. Waehrend Aralsks Reichtum Vergangenheit ist und die Stadt heute ein heruntergekommenes Bild praesentiert, hat Atyrau seinen Reichtum erst gerade entdeckt. Das Tengiz Oelfeld 350km suedlich von Atyrau im Kaspischen Meer ist nach Schaetzungen das sechstgroesste Oelfeld der Erde. Das amerikanisch-kasachisch-russische Konsortium Tengizchevroil beutet die Ressourcen aus. Die Stadt hat das hoechste Lohnniveau Kasachstans, aber abgesehen davon wenig zu bieten. Eine der wenigen Attraktionen ist der Uralfluss, der den Ort in eine asiatische und eine europaeische Haelfte teilt. Erfreut ueber meine Ankunft auf dem alten Kontinent ueberquere ich in einer Marschrutka die Bruecke nach Europa.
Einer der im Oelsektor eine lukrative Stelle gefunden hat ist Serik. Gulnara, die ich in Almaty kennenlernte, hat mich mit ihm in Verbindung gesetzt. Er absolviert eine zweijaehrige bezahlte Ausbildung bei einer Tochterfirma der italienischen Erdoelfirma Eni/Agip. Beim genauen Hinschauen bemerkt man in Serik's Gesichtzuegen, dass er nur zu einem Viertel Kasache ist. Der andere Teil stammt aus Korea. Immer wieder treffe ich seit meiner Abreise aus Seoul auf Koreaner. In Dandong und Shenyang bildeten sie noch eine regelrechte ethnische Minderheit in der Bevoelkerung. In Peking und Urumqi
entdeckte ich ihre Restaurants. In Hohhot und Dunhuang traff ich auf Touristen aus Suedkorea. Serik's Herkunft ist aber speziell, da seine Vorfahren Teil einer grossen Gruppe von Koreanern waren, die damals nicht freiwillig nach Zentralasien kam. Diese Koreaner stammen aus der Region von Wladiwostok, wohin zu Beginn des 20. Jahrhundert viele unter Einfluss der japanischen Kolonialherrschaft emigrierten. 1937 waren sie die erste ethnische Minderheit der Sowjetunion, die als Ganzes eine Deportation erfahren mussten. Schaetzungsweise 172'000 Menschen wurden damals mit der Eisenbahn in die Region des heutigen Kasachstan und Usbekistan gebracht. Die Sprache konnte anscheinend bei den meisten nicht von einer Generation zur naechsten weitergegeben werden. Serik erzaehlt mir, dass schon seine Eltern nicht mehr Koreanisch sprechen koennen. Seine Mutter versteht die Sprache aber noch. Von den Koreanern, die ich auf meiner Reise durch Kasachstan antreffe, spricht nur einer etwas Koreanisch. Viele heiraten hingegen immernoch untereinander und das Kimchi ist fester Bestandteil der Kueche geblieben, erklaert er mir. Die kulinarische Tradition scheint tatsaechlich gut erhalten geblieben zu sein. In Almaty besuche ich ein koreanisches Restaurant, dessen Essen sehr authentisch schmeckt, was nicht immer der Fall ist. Selbst in Aralsk existiert ein von Koreanern gefuehrtes Gasthaus.
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