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Published: February 23rd 2012
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Die Faszination Indien! Ich hatte viel gelesen und gehört, doch erst das Da-Sein zeigt die wahre Gestalt. Ich lande in Delhi, bin vom modernen Flughafen begeistert.
Auf der Fahrt im Taxi vom Flughafen sehe ich eine baufällige, ungeordnete Stadt. Ziemlich schnell wird klar, dass der pflegliche Umgang mit Dingen aller Art - Gebäude, Autos, Straßen und letztlich auch mit Menschen - nicht die erste Priorität hat. Das Taxi fällt fast auseinander, und ... Sitzgurte? Der Fahrer lacht und sagt "
no no no". Stimmt, wie dumm von mir, die zu erwarten... 😉 Das gewohnte Denken bekommt den ersten Dämpfer. Gut so!
Dicht an dicht der Verkehr, Platz ist hier nicht. Man fährt vorwärts, wer zuerst fährt, ist vorne, manchmal zählt nur ein Millimeter. Der vielbesungene italienische Fahrstil ist dagegen äußerst zurückhaltend! Und das hier sind Künstler! Denn auf der 20 km langen Fahrt kracht es nicht ein einziges Mal. Außer in meinen Ohren, der Lärm und das Dauergehupe sollen auch den ganzen Tag nicht aufhören.
Ich gucke parallel auf den Stadtplan und das, was da so klar hingezeichnet ist, ist in der Realität kaum wieder zu erkennen. Selbst die vom Reiseführer als "breite Prachtstraßen des Regierungsviertels" bezeichneten Marghs sind
nun nicht wirklich "prächtig". Hinter den hohen Mauern vermutlich schon. Davor aber sitzen oder schlafen Menschen auf dem Boden, liegt Müll herum. Gewöhnungsbedürftig, und ich fang ja grad erst an.
Main Bazar, Pahar Ganj Der Main Bazar, wo mein Guest House ist, sieht auf dem Plan aus wie eine gerade Straße, hat aber in Wirklichkeit durch all die kleinen Geschäfte, Straßenstände und Müllhaufen eine Schlangenform. Sie ist ein komplettes, stinkendes Chaos, gilt aber als In-Viertel.
Ohne den Taxifahrer hätte ich das Hare Krishna Guest House wohl nie gefunden: im Schildergewühl fällt das Schild kaum auf. Durch einen dunklen schmalen Hauseingang, nicht besonders einladend, und am Ende stehen zwei dickliche Herren, ihre Begrüßung ist mittelfreundlich. Für 200 rupees mehr darf ich schon zwei Stunden früher ins Zimmer. Deal, dann kann ich ein paar Stunden Schlaf nachholen (im Flugzeug hatte ich kaum die Augen zugemacht und durch die Zeitverschiebung die Nacht verloren).
Das Zimmer hat kein Fenster, ist aber erstaunlicherweise halbwegs sauber. Ich schlafe trotzdem lieber im Schlafsack als im Bettzeug und bin nach zwei Stunden wieder wach, weil ich friere. Also, auf ins Getümmel, ich bin ja nur einen Tag hier.
An der Rezeption organisiere ich
erstmal meine Weiterfahrt nach Vrindavan, einen kleinen Ort 120 km südlich von Delhi. Jaja, das sei ganz einfach, 500 rupees, Bus um 6 Uhr morgens, "
dropoff Vrindavan". Oha, das ist früh... ich bestelle einen Weckruf.
Und finde die Aussicht aufs Busfahren gar nicht so unlustig! Ich sehe schon ein altes klappriges Gestell mit Rädern vor mir und denke, das gehört schon dazu. Indien ist nur original mit Klapperbus, aufgetürmtem Gepäck und Reifenpanne, denke ich so in mich hineinwitzelnd...
Old Delhi Dann fahre ich mit der Metro nach Old Delhi. Geschäftiger Alltag in den Zügen, das ist okay. Die Stationen recht übersichtlich und mit Sicherheitskontrolle, passt. Kaum steige ich aus, empfängt mich die delh'sche Geruchswolke.
Ich wähne mich überempfindlich, stelle aber bald fest: Es ist wirklich furchtbar, wenn sich in Hauseingängen der Müll stapelt und die Männer und Kinder darauf urinieren. Delhi und ich werden sicher keine Freunde. Aber, ich bin ja nicht hier, um die Stadtreinigung (gibt es eine?) zu verunglimpfen, sondern um Urlaub zu machen.
Ich geb mir die volle Dröhnung, und will zu Fuß von der Old Delhi Railway Station zum roten Fort gehen. Das scheint auf dem Stadtplan machbar. Der historische Bahnhof
sieht imposant aus, ob er wohl in alten Zeiten mehr Charme hatte? Denn heute lädt er nicht zum Verweilen ein, die Bahnhofsumgebung ist eine Geruchshölle aus Müll, Urin und sonstigen lieber nicht näher untersuchten Quellen... Schnell durch!
Chandi Chowk Meine in Europa bevorzugte Reisementalität - freundlich lächeln, neugierig sein, mit Leuten sprechen - wandelt sich hier in kürzester Zeit zu einer Abwehrstrategie. Jedesmal wenn ich stehen bleibe, spricht mich jemand an, will mich eine Rikscha mitnehmen, will jemand Geld oder mir etwas verkaufen.
Selbst im Gehen animiert eine freundliche Mine Menschen, mir zu folgen und ihr Angebot zu formulieren - nicht immer nur Geschäftlich, die Männer hier lassen nichts anbrennen. Sie stellen die beliebteste Eingangsfrage: "
where you come from", die beantworte ich hier noch mit Germany, später wechsele ich auf Europe, und irgendwann, weil es eh nur ein Vorwand für den Beginn eines Balztanzes ist, auf den ich keine Lust habe, sage ich nur noch "
from outer space". Ich glaube, nicht einer hat den Witz verstanden. Die Frage "
what is your good name" beantworte ich bald nur bei offiziellen Gegenübers mit Nicole, für alle anderen bin ich das, was mir grad einfällt, z.B. Magda oder Kolumbine.
So wechselt mein Gesichtsausdruck schnell zur Sprichmichnichtanhackfresse. Mit ihr wehre ich die gefühlten tausend Rikschafahrer ab. In der ewig langen Einkaufsstraße Chandi Chowk kaufe ich nichts, denn das ist ja nicht H&M-Bummelshopping, sondern eine Aneinanderreihung kleiner Geschäftchen mit mehr oder weniger brauchbaren Sachen. Ich will aber weder etwas für mein mobile phone, noch einen repair service noch will ich fetttriefende Teigwaren essen oder Plastikeimer kaufen. Nein, schöne bunte Zöpfe auch nicht.
Fast jeder Geschäftsinhaber spricht mich an, an fast jedem Geschäft sage ich zweimal nein und finde es bald weniger anstrengend, auf der Straße zwischen Rikschas und Tuktuks zu gehen, die wegen des dicken Verkehrs hier eh nur Schrittgeschwindigkeit fahren.
Ich bin damit beschäftigt, in dem Moloch ein paar schöne Dinge zu entdecken. Hier ein Tempel, da eine goldene Inschrift, und eigentlich ist da viel Schräges, was ein Foto wert wäre. Das wirklich einzufangen gelingt mir noch selten, das muss ich noch üben - Fotografieren und Abwehren gleichzeitig. Not easy...
Red Fort Beim roten Fort eine Art Durchatmen nach der Sicherheitsschranke (wobei mich meine Lunge bittet, das trotzdem lieber nicht zu tun). Jedenfalls keine Tuktuks und Rikschas. Mir fallen die Augen fast im Stehen zu
und mein Kopf dröhnt, daher beschließe ich, vorm Abflug nochmal herzukommen und ins Museum zu gehen.
Also rocke ich die riesige Festung nur schnell von außen ab, bleibe ich noch kurz in der Sonne sitzen, bis die ersten Kerle kommen und mich ansprechen.
Ich nehme eine Fahrradrikscha zur nächsten Metrostation, Bahnfahren ist einfach. Ich muss schlafen, ich bin zu geschafft, um heute noch in Urlaubsfeeling zu kommen und irgendwie reicht das für den Anfang.
DAGL Ich entfliehe auf die Dachterrasse meines guesthouses, ins rooftop terrace restaurant. So richtig ruhig ist das auch nicht, bis hier rauf dröhnt das Dauerhupen, aber besser.
Die Störenfriede sind etwas weiter weg. Ich nenne sie fortan wie einen kurzbeinigen Hund, einen treuen Begleiter DAGL: Dreck, Aufdringlichkeit, Gestank, Lärm. Das Essen ist gut, der Chai Tea toll und ich bilde mir jetzt ein, hier oben sei die Luft ein wenig klarer. Es kommt nur ab und zu eine Bö undefinierbaren Geruchs vorbei, der aber von meinem Curry eigentlich überlagert wird. Und ich muss keine aufdringlichen Inder mehr abwehren.
Trotzdem, ich bin froh, direkt hier weg zu fahren, wenn auch schon um sechs Uhr früh per Bus.
Alles wird irgendwie
gut, das stelle ich mir immer noch lustig vor und ich sehe mehr vom Land. Ich wollte das so und das ist wohl der berühmte Holzhammer mit dem Indien jeden am Anfang trifft.
Wobei ich Beschreibungen wie "anders, unglaublich, faszinierend, intensiv" schon jetzt völlig unzureichend finde. Wie wäre es mit dreckig, furchtbar, laut, stinkend, aufdringlich, hektisch? Das wäre ehrlicher, auch wenn das Ausmaß tatsächlich erst vom Reisenden vor Ort erfasst werden kann. Aber so weiß ich jetzt schon, was ich an meinem Zuhause habe. Ich bin kein Stadtkind und Delhi ist kein Wohlfühlort für mich - wie auch! Vermutlich will es das auch gar nicht sein.
Die nächste Station Vrindavan klingt für mich wie ein Paradies, immerhin erwartet mich eine heilige Stadt, in der ich ein bisschen meditieren will (dafür braucht man bekanntlich einen störungsfreien Ort). Nach dem heutigen Tag begegne ich auch dem erstmal vorsichtig äugend...
Ich hege den leisen Verdacht, dass der DAGL grundsätzlich bei mir bleibt.
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