Velotour Tibet


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October 27th 2023
Published: October 28th 2023
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16. – 25.10.

Was soll ich sagen: es war ein Krampf, ein Kampf, ein Pedale gegen den Wind, ein Erstrampeln von gefühlt hunderten Haarnadelkurven, es war kalt und hart und ungemütlich und trotzdem ein unvergessliches Erlebnis, und wir möchten keinen Moment missen! Jeder Tag bot wieder eine neue Facette dieses unbeschreiblichen Tibet: Steppe, Wüste, Felder, Gärten, Hügel, Schneeberge, Seen. Hirten mit ihren Schaf-, Ziegen und Rinderherden. Yaks, Hasen, Ziesel, Antilopen, Wildesel und sogar ein dreibeiniger Wolf! Zeltdörfer, Weiler, Städtchen, von China hingeklotzte Plattenbauten. Das versprochene Basecamp stellt sich als Fake heraus, es ist eher ein Mt. Everest-Aussichtspunkt, rund 8km vor dem Basecamp auf der tibetanischen Seite (das "echte Basecamp" ist jenes auf der nepalesischen Seite). Nichts desto trotz bietet es eine fantastische Aussicht, und dank des prächtigen Wetters verbringen wir ein paar Stunden da und betrachten einfach den berühmten Berg.

Ein typischer Tag: Tagwache um acht Uhr (China kennt nur eine Zeitzone, in Tibet wird es da aktuell gerade hell, bei rund -10°C), allen Mut zusammenfassen und aus dem kuscheligen Schlafsack kriechen, in die eiskalten Kleider schlüpfen. Frühstück im Dining-Zelt, es gibt Porridge, Roti und Omelette. Packen, dann Bidons mit kochendem Wasser füllen (in der Hoffnung, dass es bis Mittag nicht einfriert) und Zwischenverpflegung einpacken (Banane, Snickers und Fruchtsaft). Ca. 9.30h Abfahrt, wir starten gemeinsam, schon bald zieht es die Gruppe jeweils auseinander. Die beiden Holländer fahren voraus, Honor folgt und wir beiden machen das Schlusslicht: ich, weil ich schlicht langsamer bin als alle anderen, und Marco, weil er häufig anhält für Fotos. Achud, der Velo-Guide, sieht seine Aufgabe etwas anders als wir: seine Hauptpriorität gilt dem Fotografieren seines Bikes in möglichst spektakulären Settings und als Kameramann für die Social Media-Freaks unter uns. Er hat einfach Glück, dass nie jemand ein physisches, mentales oder mechanisches Problem hat und seine Hilfe benötigt. Es geht immer wieder bergauf - wir überqueren insgesamt elf Pässe, rund 11’000Hm. Mittags dreht der Wind jeweils: wir fahren etwa die Hälfte der 1100km gegen den Wind, was mit der Zeit echt auf den Keks geht. Der Wind beschert uns dafür auch jeden Tag Sonnenschein, da die Wolken alle weggeblasen werden. So um 13Uhr erwartet uns das Truckteam am Strassenrand, mit heissem Fruchtsaft (gewöhnungsbedürftig, aber hochwillkommen!) und frischgekochtem Lunch. Dann nochmals ein paar Stunden velöölen, meist erreichen wir das Camp so zwischen 16 und 17 Uhr. Erst mal Tee-Runde und kurze Regeneration, dann Katzenwäsche im Zelt, und alles anziehen was an Woll- und Daunenkleidung vorhanden ist. Pünktlich um 18.30Uhr gibt es Abendessen: Suppe (Reiswasser mit Knoblauch, schmeckt etwas eigenartig aber durchaus fein), danach dasselbe wie zum Lunch: abwechslungsweise Reis, Pasta oder Kartoffeln, dazu Gemüse, Dal, Yak- oder Hühnerfleisch oder Fisch aus der Dose. Zum Dessert Fruchtsalat aus der Büchse und/oder Custard. Etwas repetitiv, aber immer schmack- und nahrhaft und während der ganzen Zeit hat niemand von uns Probleme mit der Verdauung (das weiss ich, weil einem im Toilettenzelt nichts verborgen bleibt…). Nach dem Znacht stösst jeweils Chembal zu uns für ein Briefing zum nächsten Tag. Das tönt besser, als es ist: er weiss zwar viel über den Buddhismus und die Geschichte der Kloster, aber von den Bedürfnissen von Velofahrenden hat er leider keine Ahnung. So kann er kaum Auskunft geben über Distanzen, Zeiten oder Höhenprofile, unterwegs wartet er meist am falschen Ort (wir brauchen die Jacken oben auf dem Pass!), hat keinen Tee dabei usw. Aber er ist immer nett und freundlich und fragt regelmässig nach unserem Wohlbefinden. Ein paar Mal übernachten wir in Hotels, doch da ist es kaum wärmer als draussen: die Fenster stehen Tag und Nacht offen, es gibt keine Heizung, die ersehnten Duschen liefern jeweils nur knapp lauwarmes Wasser und auch die Türen der Restaurants sind nur mit alten Jute-Säcken behangen (von da her kommt wohl auch unsere Redewendung bezüglich offengelassener Türen!) und man verbringt das Abendessen in Daunenjacke.

Besondere Erwähnung verdient der letzte Tag: die Grenzüberquerung von Tibet nach Nepal. Er beginnt fantastisch mit einer zweistündigen Abfahrt (bereits die beiden letzten Tage ging es mehrheitlich bergab, von 5200m auf nun 620m, von -10° auf 26°C – wir ziehen Schicht um Schicht aus, bis wir in kurzen Hosen und T-Shirt den Hang runterflitzen), von schneebedeckten Gipfeln über Alpweiden in den Dschungel, einmal mehr auf einwandfrei asphaltierter und mit Leitplanken gesicherter Strasse bis zum Grenzübergang. Auf tibetischer Seite steht ein imposanter Bau im chinesisch-monströsen Stil. Wir werden nochmals genau überprüft, unsere Pässe und Visas werden buchstäblich unter die Lupe genommen, bevor wir unter Verdacht entlassen werden. Wir verabschieden uns von Chembal und dem Truckfahrer, sie kehren nach Lhasa zurück, während Achud und die beiden Köche mit uns bis Kathmandu reisen. Wir überqueren die Brücke über den Grenzfluss und werden auf der nepalesischen Seite in eine Baracke geführt, wo man einen Bodycheck durchführt und unsere Passnummern aufschreibt. Unser Gepäck sowie die ganze Zelt-Ausrüstung, heisst es, wird von Trägerinnen herübergebracht. Bei einem Blick zurück stellen wir jedoch fest, dass alles im Niemandsland deponiert wurde, beide Gatter werden geschlossen, angeblich wegen der Mittagspause (Nepal-Zeit ist 2 ¼ Std zurück, deshalb ist es unmöglich herauszufinden, welche Mittagszeit da gilt). Ab hier sind wir froh, dass wir Mountainbikes fahren (bisher dachten wir immer, man hätte die Tour auch mit Rennrädern bestreiten können): ungeteert, mit Schlaglöchern in der Grösse von Suppenschüsseln, gespickt mit zahlreichen Steinen – Erinnerungen an den Leh-Manali – Highway kommen hoch. Im nächsten Dorf werden wir nochmals angehalten, hier befindet sich in einem Kiosk-artigen Gebäude das Immigration-Office. Dort werden wir informiert, dass für Leute aus Switzerland kein «on-arrival-visum» möglich ist. Grosse Konsternation, wir haben doch das zuhause noch abgeklärt? Was sollen wir jetzt tun? 15 Tage zurück nach Lhasa radeln? Wir diskutieren mit dem Zollbeamten und lassen uns die «black list» zeigen. Und siehe da: da steht «Swaziland», nicht «Switzerland». Glück gehabt. Doch das nächste Problem folgt sogleich: unsere nigelnagelneue Hundertdollar-Note passt dem Herrn am Schalter nicht. Es gibt keine Diskussion, sie wird nicht akzeptiert. René wechselt uns zwei alte 50er Noten, und die sind dann genehm. Nun haben wir Visum und Stempel im Pass, es kann nichts mehr schief gehen, denken wir. Wir essen in einer Kneipe am Strassenrand Zmittag, es gibt Dal Bhat, die nepalesische Version von Reis, Linsen und Gemüse. Dann fahren wir weiter, eine super MTB-Abfahrt, es schüttelt und rüttelt, dass es eine Gaudi ist. Schliesslich haben wir die Talsohle erreicht, ab hier geht es wieder bergauf, deshalb warten wir auf unseren neuen, nepalesischen Truck. Als das Fahrzeug nach rund einer Stunde endlich aufkreuzt, ist es kein Truck, sondern ein Bus. Und der ist bereits sehr gut besetzt, mit unserem Gepäck, das es offenbar aus dem Niemandsland herausgeschafft hat, einigen Einheimischen und einer Gruppe Chinesen. Unsere Räder werden auf dem Dach festgezurrt (wir wollen die dann noch zu einem guten Preis verkaufen?!), wir werden in die letzten paar Sitze gepfercht. Die Beinfreiheit ist dermassen eingeschränkt, dass wir nur schräg sitzend, mit den Beinen angewinkelt unter dem Sitz verstaut oder mit auf Brusthöhe in die Vorderlehne gedrückten Knien Platz finden. Bequem ist anders. Die Reise dauere rund fünf Stunden, informiert man uns, das kann ja heiter werden… Die Fahrt entspricht in etwa den YouTube-Videos «die schlimmsten Strassen der Welt», mit schwindelerregenden Abgründen, Steinschlägen und überschwemmten Passagen. Nach ein paar Stunden wird es dunkel, wir sind uns nicht sicher, ob dies eine Erleichterung ist oder nicht. Plötzlich hält der Bus an, der Fahrer und die einheimischen Reisenden springen raus, kauern im Halbkreis um einen Reifen herum und ratiburgern: der Reifen ist platt. Dank Doppelbereifung geht es dennoch weiter, gaanz langsam. In einem Dorf halten wir bei einer Werkstatt, dort wird der Schaden behoben. Wir erhalten derweil vom Koch einen Tee spendiert - wir haben weder Snacks noch Wasser dabei und auch kein nepalesisches Geld, Chembal hat vergessen, uns über diese Busfahrt zu informieren, so dass wir völlig unvorbereitet sind. Rund eine Stunde später halten wir wieder, einer der Scheinwerfer ist defekt. Es wird geschraubt und gehämmert und diskutiert, aber diesmal hilft nichts. So fahren wir halbblind weiter, wieder gaanz langsam. Es ist nun bereits 21h nepalesische Zeit (für uns 23.15h), wir haben langsam richtig Hunger. Offenbar geht es nicht nur uns so, wir stoppen nochmals, diesmal bei einem Essensstand . Man bestellt Momos und Bier für alle, und die ganze Busgesellschaft isst in leidensgemeinschaftlicher Kameraderie gemeinsam Znacht. Danach geht es nochmals über einen Pass, es gibt nur noch einen kleinen Zwischenfall, als nämlich der Fahrer (er sieht knapp volljährig aus und trägt Flipflops) einschläft und in den Strassengraben fährt. Wir haben Glück, der Abgrund ist auf der anderen Seite, der Graben nicht allzu tief, wir können uns befreien und machen uns unbeschadet auf die verbleibenden paar Kilometer. Nach geschlagenen neun Stunden erreichen wir um 2.30h tibetanische Zeit Kathmandu. Dort erfahren wir, dass unser Hotel vollbesetzt ist und wir eine andere Bleibe suchen müssen. Wieder ist es der alte Koch, der uns hilft und uns in einem nahegelegenen Hotel unterbringt. Dort gibt es dafür tatsächlich eine heisse Dusche!

Nun verbringen wir ein paar Tage in Kathmandu und erholen uns von all den Strapazen. Die Stadt ist unglaublich bunt und laut und vielseitig. Hinduismus, Buddhismus und eine alte, tieropfernde Religion treffen hier aufeinander und haben sich für uns unkenntlich vermischt: Frauen in Saris mit Bindi (hinduistischem rotem Punkt auf der Stirn) drehen bei buddhistischen Tempeln, vor denen geköpfte Tierkadaver liegen, Gebetstrommeln, Ganesh-Statuen sind mit Gebetsfahnen geschmückt - es ist etwas verwirrlich. Das Gedränge in den Strassen ist unbeschreiblich, an jeder Ecke stehen Stupas, Tempel und Götterstatuen, dazwischen bieten Händlerinnen Lebensmittel und Waren feil, Kinder und Amputierte betteln, Hunde suchen nach den als Opfer ausgelegten Hühnerköpfen, Roller schlängeln sich hupend durch die Massen. Wir verbringen einen Nachmittag im Amt für irgendwas in der Schlange für das Permit in den Annapurna-Nationalpark, wo wir als nächstes trekken gehen wollen. Wir freuen uns auf dieses neue Abenteuer und melden uns danach wieder!


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