Tibet


Advertisement
China's flag
Asia » China » Tibet
October 14th 2023
Published: October 14th 2023
Edit Blog Post

3.10.

Wir stehen früh auf und fahren zum Qutub Minar, einer Moschee mit schön verziertem Minarett aus dem 13.Jhd. Wir sind gleich bei Kassenöffnung da, und teilen den Komplex für die erste Stunde nur mit den Streifenhörnchen und Papageien. Das schöne Morgenlicht und die friedliche Stimmung, zusammen mit dem baldigen Abschied von Indien, stimmen uns ein wenig wehmütig. Dieses Land hat uns überrascht, erstaunt und manchmal auch verunsichert, aber wir haben uns hier wohl gefühlt. Das Reisen ist einfach, die Kommunikation mehrheitlich auch, das Essen schmackhaft und gesund, die Leute gastfreundlich und herzlich, nicht ein einziges Mal wurden wir bedroht oder hatten das Gefühl, man wolle uns reinlegen oder bestehlen. Wir freuen uns, dass wir in ein paar Wochen wieder zurückkehren dürfen und sind gespannt, wie es uns dann weiter im Süden ergehen wird.

Für die heissen Mittagsstunden suchen wir gekühlte Gebäude auf: wir besorgen eine neue Kamera, um die Defekte zu ersetzen, suchen erneut den Airtel-Laden auf, um die Bezahlung der weiteren Monate zu regeln, und essen Lunch.

Den Nachmittag verbringen wir schliesslich doch noch im Red Fort. Wie es der Name suggeriert, sind Mauern und Gebäude aus rotem Sandstein gebaut, mit einer grosszügigen Parkanlage im Inneren und einem verzweigten Bewässerungs- und Brunnensystem, das seinerzeit vom nahen Fluss gespeist wurde. Der Fluss hat jedoch seinen Lauf schon vor Jahrhunderten geändert, so dass die Kanäle und Becken trocken liegen. Verschiedene Herrscher – und auch eine Sultanin, die sich allen Regeln widersetzt hat, ihrem Mann nach dessen Tod auf den Thron gefolgt und fortan in Männerkleidern aufgetreten ist - haben Gebäude ergänzt und hinzugefügt, bis schliesslich die Engländer einen Teil davon leider wieder abgerissen und durch Militärbaracken ersetzt haben. Dennoch lässt es sich gut unter den riesigen Ficus-Bäumen in den Anlagen flanieren, was denn nebst uns auch hunderte andere tun.

Am Abend spät fliegen wir nach Hongkong und weiter nach Chengdu. Nun beginnt der zweite Teil unserer Reise.

4.-6.10.

Wir waren vor 25 Jahren bereits in Chengdu und haben die Stadt als schmutzig, kaputt und trostlos in Erinnerung. Seither ist offenbar viel geschehen: alles ist neu, blitzblank und funktionstüchtig, moderne Leuchtschriften blinken von den Wolkenkratzern herab, die Trottoirs sind tatsächlich begehbar, auf der Strasse halten sich alle an die Regeln. Nichts geht mehr ohne Handy: Identitätskontrolle, Kommunikation, Tickets beziehen, Bezahlung – alles online. Niemand spricht englisch, und wenn die Leute merken, dass wir sie nicht verstehen, schreiben sie ihre Frage auf – in chinesischen Schriftzeichen (das wenigstens ist uns schon damals passiert). Essen bestellen ist schwierig, manchmal gibt es Bilder, auf die man deuten kann, manchmal funktioniert die App, mit der man die Karte abfotografieren kann und die dann eine skurrile Übersetzung liefert, und sonst versucht man einfach sein Glück und zeigt auf irgendeine Zeile auf der Karte. Nur in der Metro ist alles zweisprachig angeschrieben und wir finden unsere Ziele problemlos.

So zum Beispiel das Panda- Forschungs- und Zuchtzentrum. Auch hier waren wir bei unserem letzten Besuch bereits, damals bestehend aus ein paar traurigen Betonkäfigen mit verwahrlosten, apathischen Tieren. Auch hier hat es sich zum Guten gewendet: eine moderne Anlage führt die Besuchermassen durch einen Bambusgarten, vorbei an – soweit wir das beurteilen können – tiergerechten Gehegen, wo die Pandas viel Platz, Beschäftigungs- und Rückzugsmöglichkeiten haben. Die neue Kamera kommt ein erstes Mal zum Einsatz und wir sind froh um das starke Zoom.

Wir besichtigen auch ein Kloster: es sieht genau aus wie in den Kungfu-Filmen, wo die Helden jeweils mit grossen Sprüngen auf die Dächer hüpfen und von Baum zu Baum fliegen. Wir sitzen lange in einer Ecke und beobachten die Leute.

Dies tun wir auch auf dem grossen Platz beim Mao-Denkmal und staunen insbesondere ob den vielen verkleideten Leuten. Manchmal einzeln, oft in Gruppen, sind sie fantastisch gekleidet und geschminkt, wir vermuten gemäss irgendwelchen Comicfiguren. Auch sonst sind die Leute meist sehr gepflegt und schön gekleidet unterwegs, man könnte denken sie wären alle unterwegs in die Oper.

Spannend ist auch Marcos Coiffeur-Besuch: vor 25 Jahren gab er dem Coiffeur hier mit Daumen und Zeigefinger zu verstehen, er möge ungefähr zwei Zentimeter kürzen. Dieser hat dann zwei Zentimeter stehen lassen. Diesmal zeigt Marco auf ein Bild mit passender Frisur an der Wand, das funktioniert problemlos. Er kriegt sogar zweimal Haarewaschen, eine Kopfmassage und zum Schluss eine Wolke Haarspray dazu.

Am Abend des 6. besteigen wir schliesslich den Zug nach Lhasa – nachdem sie uns unser praktisches und oft benutztes Multi-Tool abgeknöpft haben, die Klinge des Messers sei zu lang, heisst es. Wir finden unsere Kabine und belegen zwei freie Plätze. Dies führt kurz darauf zu wildem Gestikulieren und einem Wortschwall des Kondukteurs: auf dem Ticket steht offenbar schliesslich deutlich (in chinesisch), dass wir die beiden mittleren Betten gebucht haben! Tut uns leid, wir lachen und wechseln sofort und alle rundherum lachen erleichtert mit. Als schliesslich alle ihre Plätze bezogen haben geht das Licht aus: Nachtruhe.

7.10.

Von Ruhe konnte man nicht wirklich reden: die Betten waren zwar recht bequem, aber an Schlaf war nur begrenzt zu denken. Das war ein Geschnarche und Gehuste, ein Geschmatze, Gerülpse und Zähneknirschen, dass wir es bitter bereuten, die Ohropax unzugänglich im Rucksack vergessen zu haben. Tagsüber überwiegt dann die olfaktorische Belastung: abgehende Winde, freigelegte Füsse und andere unvermeidbare Körpergerüche, wie sie entstehen, wenn viele Leute viele Stunden ohne sich zu waschen zusammengepfercht verbringen, akzentuiert durch allerlei Snacks wie frittierten Hühnerfüssen und eingelegtem Fisch, dazwischen Zigarettenrauch, wenn sich mal wieder jemand nicht an das Rauchverbot halten kann, und ein Gestank vom WC, wenn die Tür offen stehen bleibt. Und keine Möglichkeit zu Lüften.

Die beiden Herren, die die untersten Betten belegen, welche eigentlich tagsüber für alle sechs Personen des Abteils als Sitze zur Verfügung stehen sollten, geben die Plätze nur beschränkt frei, und so sitzen wir meist auf kleinen Hockern im Gang. Von dort hat man aber gute Sicht durch die Fenster, und wir bestaunen stundenlang die vorbeiziehende Landschaft. Felder und Wiesen, Flüsse und Seen, und immer wieder Berge, gegen Abend sogar schneebedeckte Gipfel.

Wir haben uns mit genügend Proviant eingedeckt und stellen uns zu den Essenszeiten mit den andern Passagieren in die Schlange, um heisses Wasser zum Anrühren der Nudelsuppen oder für Tee zu beziehen. Wir sind perplex, als unser Mitpassagier zum Rüsten seines Apfels ein Klappmesser zückt, dessen Klinge mindestens so lang ist wie unsere es war… Ab und zu hält der Zug und alle steigen kurz aus, um sich die Füsse zu vertreten. Und es reicht auch noch für einige Kapitel unserer Lektüren, bevor bereits wieder Zeit fürs Lichterlöschen ist.

Video folgt (aktuell kein Zugriff auf Youtube)

8.10.

Die zweite Nacht im Zug ging besser, man gewöhnt sich offenbar schnell an gewisse Umstände. Draussen war es lange Zeit schneebedeckt, wir waren schliesslich auf 5000m, aber als wir am Morgen früh, nach 3070km und 32 Stunden, in Lhasa ankommen, liegt da kein Schnee.

Chembal, unser Guide von der Organisation, die unsere Tibet Reise durchführt, holt uns ab und fährt uns zum Hotel. Dort warten bereits die anderen unserer Gruppe: Rini und René aus Holland (etwas älter als wir) und Honorata, genannt Honor, aus Polen (deutlich jünger als wir) sind unsere Reisegefährten. Wir besichtigen gemeinsam den Potala-Palast, die berühmte buddhistische Anlage mit Regierungs-, Kloster- und Tempelteilen. Chembal weiss viel zu erklären und zu erzählen, und wir sind von den vielen Eindrücken komplett überfordert und überwältigt. Vieles haben wir in ähnlicher Art bereits in Ladakh gesehen, und doch ist es hier anders. So viele Farben, Formen und Gerüche, die Geschichte des Ortes und das Bewusstsein, wie bedeutungsvoll er für so viele Menschen ist, die wohl nie die Gelegenheit haben werden, ihn zu besuchen, lassen uns ganz ehrfürchtig werden.

Am Nachmittag besuchen wir einen weiteren Tempel mitten in der Stadt, dort bewundern wir vor allem die vielen einheimischen Gläubigen in ihrer traditionellen Kleidung. Zu unserem Bedauern tragen immer noch viele Leute Gesichtsmasken, was das Bild etwas trübt und auf den Fotos stört.

Danach verbringen wir ein paar Stunden mit dem Kauf unserer Mountainbikes. Wir finden schliesslich einigermassen passende chinesische Modelle und hoffen, dass sie die kommenden drei Wochen halten werden. Der Plan ist, sie nach Gebrauch in Kathmandu zur Hälfte des Preises wieder zu verkaufen.

9.10.

Eine erste kurze Velotour zum Drepung-Kloster ausserhalb Lhasas lassen Zweifel aufkommen sowohl bezüglich der Qualität unserer Velos (Marcos Wechsler funktioniert mehr schlecht als recht und mein Lenker bewegt sich dauernd), als auch bezüglich unserer Akklimatisierung, kommen wir doch bei der Steigung arg ins Keuchen. So statten wir dem Veloverkäufer nochmals einen Besuch ab, der schraubt eine Weile an den Vehikeln rum und versichert uns dann, es sei nun alles tipptopp funktionstüchtig. Eine kurze Probefahrt scheint dies zu bestätigen – wir sind ja mal gespannt, wie weit wir kommen…

Wir spazieren noch eine Weile in Lhasa herum, man kann sich kaum sattsehen an den bunten Gebäuden und schönen Trachtenleuten. Die Gruppe trifft sich zum gemeinsamen Znacht, wir bestellen diverse tibetische Spezialitäten und Lhasa-Bier und verstehen uns bereits prima.

10.10.

Heute geht es los: Wir fünf, begleitet vom ehemaligen nepalesischen Fahrradprofi Achud als Guide, pedalen bei strahlendem Wetter und warmer Temperatur dem Lhasa-River und später dem Tsangpo entlang. Die anderen drei sind eingefleischte Rennrad-Freaks und schlagen auf der flachen Strecke ein hohes Tempo an, wir halten mit so gut wir können.

Chembal fährt mit dem Auto mit, er wartet ab und zu am Strassenrand, falls Probleme auftauchen sollten. Daneben werden wir vom «Truck-Team» begleitet: drei Sherpas (sie möchten so angesprochen werden), die unser Gepäck transportieren, das Zeltlager errichten und uns bekochen.

11.10.

Wir haben am Fuss des Kamba-Passes campiert und so geht es heute von Anfang an bergauf - hier sind wir nun gegenüber den Flachländern etwas im Vorteil. 1300m Steigung gilt es zu bewältigen, bis auf 4800m hoch. Wir werden immer wieder von vorbeifahrenden Autos mit Gehupe und Gewinke angefeuert, vielleicht wundert man sich auch einfach, warum wir uns das antun. Das fragen wir uns bisweilen auch… Die Aussicht vom Pass auf den türkisblauen Yamdruk-See und die anschliessende Abfahrt entschädigen uns allerdings für die Strapazen. Dann fahren wir stundenlang dem See entlang, und irgendwann schlägt das Wetter um: heftiger Gegenwind und Nieselregen gestalten die Fahrt eher unangenehm. Zum Glück steht bei Ankunft im Lager bereits eine heisse Suppe bereit.

12.10.

Das Wetter hatte sich zwar in der Nacht gebessert, aber als wir losfahren schneit es wieder und windet von allen Seiten. So fahren wir schweigend in Einerkolonne, eingehüllt in alles, was wir an Schutzkleidung dabeihaben. Das Truck-Team erwartet uns kurz vor dem Pass zum Lunch, sie haben den Ladebereich des Lasters freigeräumt und dort Tisch und Stühle aufgebaut, so dass wir wettergeschützt essen und uns aufwärmen können. Fabelhaft!

Auf dem Karo-Pass auf 5030m lichtet sich gerade rechtzeitig der Wolkenschleier, es gibt sogar ein sonniges Gipfelfoto. Die Sonne bleibt zwar, aber die Temperatur ist nahe am Nullpunkt, und die Abfahrt deshalb nur mässig vergnüglich. Als wir am heutigen Ziel ankommen erwartet uns das Truck-Team mit schlechten Nachrichten: es hat zu viel Schnee, sie können die Zelte nicht aufbauen. Sie schlagen vor, dass wir die morgige Etappe gleich anhängen, bis nach Gyantse, wo die Übernachtung im Hotel vorgesehen ist. Die Aussicht auf eine heisse Dusche lässt uns einstimmig einwilligen, und so machen wir uns nochmals auf den Weg. Es geht mehrheitlich bergab, und abgesehen von einer kurzen Sequenz mit heftigem Gegenwind hält sich das Wetter. Dennoch erreichen wir Gyantse erschöpft und durchgefroren. Da erwartet uns die grosse Enttäuschung: keine heisse Dusche möglich! Ein Rinnsal kalten Wassers muss reichen, ein schnelles Znacht, und ab ins Bett.

13.10.

Die Wolken sind weg, der Wind hat sich gelegt, die Etappe ist flach und wir kommen gut voran. Wir erreichen Shigatse, die zweitgrösste Stadt Tibets, im Verlauf des Nachmittags und quartieren uns erneut in einem Hotel ein. Hier gibt es eine immerhin lauwarme Dusche. Danach ein Spaziergang durch den Park, ein Bier am See und ein feines Znacht im Restaurant und wir sind wieder versöhnt mit der Welt.

14.10.

Da wir ja vorgestern eine Doppel-Etappe absolviert haben, gibt es heute einen Ruhetag. Wir besichtigen das Tashi Lhun Po-Kloster, eine grosse Anlage mit vielen Mönchen und wiederum massenhaft einheimischen Besuchenden. Wir können etwa hundert Mönche beobachten, die sich in der grossen Halle versammelt haben und singen und Gebete murmeln, eine eindrückliche Szene. Leider sind jegliche Aufnahmen im Innern der Gebäude verboten.

Den Nachmittag nutzen wir zum Herumschlendern durch den Markt und zum Ausruhen – die letzten Tage waren körperlich intensiv, doch nun sind wir gerüstet für den Rest der Tour. Es erwarten uns noch elf weitere abenteuerliche Velotage, über diverse Pässe, hinauf zum Everest-Base Camp und dann nach Kathmandu. Wir freuen uns!


Additional photos below
Photos: 64, Displayed: 30


Advertisement



Tot: 0.046s; Tpl: 0.016s; cc: 9; qc: 24; dbt: 0.0216s; 1; m:domysql w:travelblog (10.17.0.13); sld: 1; ; mem: 1.1mb