Von Manali bis Delhi


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October 2nd 2023
Published: October 2nd 2023
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23.9.

Ich habe eine schlaflose Nacht hinter mir, mit Herzklopfen und Kopfschmerzen. Ja nu, wir wollen heute trekken gehen! Alle nötigen Dokumente im Sack, treffen wir etwas zu früh (Swiss time) respektive viel zu früh (Indian time) bei «Trek the Himalayas» ein, bereit für den Trek auf den Hampta-Pass. Erst werden alle Medical Forms geprüft, dann wird Blutdruck gemessen. Und da geschieht etwas Unerwartetes: wir haben beide einen hohen Blutdruck! Klar, das war es, was mich letzte Nacht geplagt hat! Es gibt scheinbar «reverse altitude sickness», vielleicht war es ja das? Wie auch immer, es gibt nichts zu rütteln, sie nehmen uns - und zwei weitere Trekker in spe, die die Blutdruckgrenze überschreiten - nicht mit. Sie hätten noch eine weitere Gruppe, die den Trek morgen startet, wir könnten es ja nochmals versuchen. Enttäuscht und auch etwas verärgert fahren wir zurück in die Stadt, quartieren uns nochmals in einem Hotel ein und verbringen den Rest des Tages mit einem Spaziergang durch Old Manali, dem Stadtteil beliebt bei jungen Backpacker, wo es überall Yogi-Tee gibt und nach Gras riecht. Wenn das nicht den Blutdruck senkt, was dann?!



24. -28.9.

Gesagt getan, wir versuchen es nochmals und haben nun beide einen akzeptablen Blutdruck, und die beiden andern von gestern ebenfalls, Freude herrscht!

Und so wandern wir die nächsten vier Tage durch das wunderbar grüne, zeitweise an die Alpen erinnernde Manali-Tal, überqueren am dritten Tag den Hampta-Pass auf 4270m und steigen dann hinab ins karge Spiti-Tal. Die Gruppe zählt 22 Personen (ausser uns alle aus Indien), begleitet von drei Guides und einem ganzen Tross aus Horsemen, Köchen und Helfern. Zelte, Küche und Lebensmittel sowie Offload-Gepäck (wahlweise gegen eine Zusatzgebühr abgegebene Rucksäcke - wir tragen natürlich unser Gepäck selbst) werden von den kräftigen Packponys und Maultieren transportiert, deren unglaubliche Wendigkeit und Trittsicherheit uns schon auf dem Markha-Trek verblüfft haben.

Wir übernachten in Zweierzelten, für die Mahlzeiten und «Briefings» wird ein grosses Tunnelzelt errichtet, und für die Notdurft WC-Zelte mit einem behelfsmässig gegrabenen Loch. Viele der Teilnehmenden sind «First-timers», das heisst sie sind noch nie gewandert, schon gar nicht in steilem Gelände oder grosser Höhe. Das bedeutet natürlich ganz unterschiedliche Wander-Tempi. Doch die Guides machen das gut: einer geht zügig voraus, wir beiden und ein paar andere geübte Hiker im Schlepptau (darunter auch die beiden andern mit initial zu hohem Blutdruck, wir nennen uns die «Blut-Gruppe»). Jeweils nach ungefähr einer halben Stunde machen wir Pause und warten auf den Rest, das dauert jeweils so zwischen 20 und 60 Minuten. (Am Schluss rechnen wir aus, dass man den Trek problemlos in zwei Tagen bewältigen könnte – aber wir haben ja Zeit und geniessen während der vielen Pausen das schöne Wetter und die prächtige Aussicht.) Mittags nochmals eine ausgedehnte Pause mit Zmittag aus der Lunchbox (wir haben uns auf dem Markt in Manali eine besorgt) und weiter bis zum Zeltlager. Dort gibt es erst Chai, dann einen Snack (z.B. Suppe und Popcorn, oder «Pani Puri», mit Sauce gefüllte, frittierte Teigbälle) und schliesslich ein feines Znacht (Reis und Dal und Gemüse, aber immer in unterschiedlichen Variationen). Wir bewundern den Einfallsreichtum und das Können der Köche, die auf zwei Gaskochern für so viele Leute so schmackhafte Gerichte zubereiten. Dass drei Personen der Gruppe, darunter Marco, während des Treks erbrechen müssen, wird nicht auf das Essen zurückgeführt.

Besonderen Unterhaltungswert bieten jeweils die Flussüberquerungen, die immer mit viel Drama und Gezeter vonstattengehen. Das Gletscherwasser scheint für die Wärme-verwöhnten Inder*innen lebensbedrohlich zu sein, auch wenn es maximal knietief ist. Da ausser uns noch andere Gruppen unterwegs sind, stauen sich bei diesen Überquerungen jeweils die Menschenmassen – etwa so stellt man es sich am Mount Everest vor.

Der Trek gibt uns auch einen Einblick in die Mentalität der Teilnehmenden: die zumeist jungen, gut gebildeten und -verdienenden Leute sind zwar vordergründig interessiert an einem Gespräch, dieses reicht jedoch kaum über das woher und wohin hinaus. Die Mahlzeiten sind chaotisch. Dass man sich nicht gesittet in eine Warteschlange einreihen kann, haben wir ja schon in der Metro und im Spital erlebt. Auch hier drängen sich sofort alle um die Töpfe, kaum werden diese hingestellt, und reissen sich fast die Löffel aus den Fingern. Wer kann, schöpft sich so schnell wie möglich so viel wie möglich, ungeachtet dessen, ob es für alle reicht (was es schlussendlich immer tut, manchmal muss man einfach etwas auf Nachschub warten). Sie scheuen sich auch nicht ein zweites Mal zuzugreifen, bevor sich überhaupt alle ein erstes Mal bedienen konnten. Das alles befremdet uns ein wenig, wir versuchen es aber mit Humor zu nehmen. Die Guides sprechen leider kaum Englisch, und so werden die stündigen Briefings für uns und den jungen Mann aus Chennai in Südindien, der ebenfalls kein Hindi spricht (sondern Tamil), am Abend jeweils etwas schwierig. Es fällt niemandem ein, wenigstens die wichtigsten Informationen kurz für uns zu übersetzen.

Am vierten Tag erreichen wir bereits am Mittag unser Zeltlager in der Nähe der Strasse. Dort warten Fahrzeuge, die uns ins Chandra-Tal bringen, zu einem kleinen See. Nach den beiden Tso in Ladakh ist dieser hier eher mickrig, aber für unsere Gruppengspänli ist das etwas ganz Neues und sie übertrumpfen sich gegenseitig mit originellen Selfie-Posen.

Noch eine Nacht im Zelt, eine ausgedehnte Zertifikat-Verleihungs-Zeremonie mit 22 Dankesreden, die Rückfahrt nach Manali, und schon heisst es Abschied nehmen. Team und Teilnehmende sind uns trotz allem ans Herz gewachsen, wir haben schliesslich ein paar intensive, unvergessliche und schöne Tage zusammen verbracht.



29.9.

Um 5.30Uhr ist Book-in für unseren Bus nach Shimla, was uns beiden eine unruhige Nacht voller Stress-Träume beschert hat (ich wartete verzweifelt auf das Hüeti-Mädchen, weil ich dringend an eine Sitzung der Kindergartenkommission Bethlehem musste und fand die nötigen Unterlagen nicht – 22 Jahre her, Marco kam zu spät in die Gewerbeschule und wusste nicht, welches Fach in welchem Zimmer unterrichtet wurde – 37 Jahre her…). Als wir uns trotzdem pünktlich am Schalter melden, heisst es: wait please. Der Bus, als er dann eine Stunde später losfährt, überrascht uns positiv. Auf dem Ticket hiess es «no AC, old», was uns das Schlimmste befürchten liess, doch die Sitze sind ganz bequem, es gibt genügend Beinfreiheit, und die Fenster lassen sich gut öffnen. Dies ist auch nötig, je südlicher wir fahren, desto wärmer wird es, und desto üppiger auch die Vegetation: man sieht Eukalyptusbäume und Papaya-Stauden, Hibiskus und Orchideen. Vielerorts ist die Strasse notdürftig geflickt, nachdem sie durch Felsrutsche und Überschwemmungen beschädigt oder ganz zerstört wurde. Exakt zur Halbzeit nach 5 Stunden gibt es Mittagsrast, wo alle in kürzester Zeit ihre Portion Reis und Dal reinschaufeln. Die Flüssigkeitszufuhr auf solchen Fahrten ist immer eine Gratwanderung: es gilt sowohl Dehydrierung wie auch eine volle Blase zu vermeiden.

In Shimla angekommen erleben wir einen unserer «Geiz-Anfälle», wie unsere Kinder auf früheren Reisen dieses Phänomen zu nennen pflegten: Der Taxifahrer, der uns vom Busbahnhof zum Guesthouse bringen soll, will partout nicht von seinem – unserer Meinung nach überhöhten – Preis abrücken. Oft geben wir dann nach, aber manchmal mag man sich einfach nicht übertölpeln lassen und es stellt auf stur, und so steigen wir mit Sack und Pack in den überfüllten Shuttlebus ins Zentrum. Es ist nicht klar, ob sich ein Unfall ereignet hat oder dies normale Rushhour ist, jedenfalls stehen wir eine Stunde im Stau – buchstäblich stehend, mit einem Rucksack am Rücken und einem am Bauch, vor Schweiss triefend. Vom Busstop zum Guesthouse sind es zwar nur noch 800 Meter, aber Shimla liegt an einem steilen Hang, und natürlich führt unser Weg direkt bergauf. Diese eingesparten 50 Rappen kommen uns teuer zu stehen.

Im «Shimla Brew House», wo es diverse hausgemachte Biere zu degustieren gibt, findet der Tag dann doch noch ein versöhnliches Ende. Hier reut uns das Geld nicht 😉.



30.9.

Ein gemütlicher Ausspann- und Organisationstag ist angesagt. Wir spazieren etwas in diesem hübschen Ferienort herum, den die Engländer zu Kolonialzeiten für sich entdeckt haben, um den heissen Sommermonaten in der Ebene zu entkommen. Viele gut erhaltene Bauten aus dieser Zeit, eine Shopping-Mall mit lauter kleinen, gedeckten Ständen, Spielplätze, Statuen und Cafés mit Spezialitäten aus aller Welt lassen fast ein wenig Europa-Park-Feeling aufkommen. Wir erklimmen den höchsten Punkt Shimlas, wo eine 33m hohe Statue des affengesichtigen Gottes Hanuman steht, und wo wir nebst diesem wieder mal gefragtestes Foto-Sujet sind. Schilder warnen vor den frechen Affen, die nicht nur die Lebensmittel klauen, die als Tempel-Gaben mitgebracht werden, sondern auch sonst alles, was nicht niet- und nagelfest ist. In einem gemütlichen «Teahouse», einem Pavillon aus kunstvoll geschmiedetem Eisengitter, organisieren wir die Weiterreise für morgen: es gibt eine kleine Eisenbahn, die «Himalayan Queen», die unsere nächste Etappe so angenehm wie möglich gestalten soll. Sie ist zwar schon voll besetzt, aber mit den Warteplätzen Nr 1 und 2 rechnen wir uns gute Chancen aus. Des Weiteren haben wir gute Neuigkeiten von Mohan, unserem Tour-Operator in Tibet, erhalten (wir wollen mit Mountainbikes von Lhasa nach Kathmandu fahren): unsere Visa sind da; und von der chinesischen Eisenbahn: unsere Tickets sind durchgehend von Chengdu bis Lhasa gebucht (was offensichtlich schwierig war, wie uns ein reger Mail-Verkehr mit Ms. Fu von der Agentur für ausländische Reisende erahnen lässt, wegen eines chinesischen Festtages, der landesweit für volle Züge sorge. So werden wir nun zweimal umsteigen müssen, und kommen in den Genuss von Steh-, Sitz- und Liegeplätzen. Spannend.). So können wir nun alle unsere Buchungen stornieren für die fiktive Reise, die wir zur Erlangung des chinesischen Visums zusammengestellt haben (und die ihrerseits durchaus auch mal eine Reise wert ist!) und auch den Flug von Chengdu nach Lhasa, den wir vorsichtshalber prophylaktisch gebucht haben.



1.10.

Wir checken als erstes die Railway-App, und tatsächlich, wir haben Sitzplätze für die Himalayan Queen erhalten! Kurz darauf trifft wir jedoch eine Meldung ein, dass alle Züge des Tages ausfallen würden – wahrscheinlich ist das Geleise irgendwo verschüttet worden. Also marschieren wir wieder zum Busstop – diesmal geht es ja bergab – und erwischen auch gleich einen Bus nach Chandigarh. Heute erwischen wir wohl die Variante «no AC, very, very old» und pferchen uns in die engen Sitzreihen. Die Fahrt dauert glücklicherweise nur vier Stunden.

Als wir in Chandigarh ankommen, haben wir keine Internet-Verbindung. Wir befinden uns nun im Bundesstaat Punjab, offenbar hat unsere SimCard Mühe mit der Umstellung. Wir realisieren, wie stark wir vom Netz abhängig sind: wir können kein Hotel raussuchen (wir sind vom Vorausbuchen abgekommen, weil man immer mehr bezahlt, als wenn man einfach aufkreuzt), kein Uber buchen, nicht mal nachschauen, wie weit es ist vom Busbahnhof zum Hotel, um den KORREKTEN Taxi-Preis zu berechnen. Zum Glück haben wir noch eine Off-Line-Version des Reiseführers, dort blättern wir wie früher eine Weile rum, verhandeln dann halbherzig mit dem Tuktuk-Fahrer und machen uns schliesslich auf den Weg. Die Hotelsuche gestaltet sich schwierig, da morgen Gandhis Geburtstag gefeiert wird und deswegen alle frei und Zeit zum Reisen haben. Das erste ist voll, das zweite will keine ausländischen Touristen beherbergen (der administrative Aufwand ist etwas höher) und das dritte hat nur noch die teuerste Kategorie frei. Ja, klar. Aber wir wollen nochmal los, um etwas zu sehen von der Stadt, deshalb geben wir klein bei.

Chandigarh wurde 1950 nach der Unabhängigkeit als Verwaltungsstadt aus dem Boden gestampft, geplant von niemand geringerem als Monsieur le Corbusier lui-même. Die Strassen sind denn auch grosszügig ausgelegt, von Alleen gesäumt, und die Kreisel riesig – was das Chaos nur vergrössert, denn NIEMAND befährt hier einen Kreisel so, wie wir uns das gewohnt sind.

Wir besuchen den Rock-Garden, das angeblich absolute Highlight der Stadt. Ein einheimischer Künstler hat – als Gegensatz zu den schnurgeraden Strassen der Stadt – aus Steinen, Scherben und Topfpflanzen ein Labyrinth geschaffen, bestückt mit künstlichen Wasserfällen und Figuren aus Abfall, das die Besuchenden in eine Märchenwelt entführen soll. Leider sind so viele Leute gleichzeitig anwesend, dass es zu einem unglaublichen Gedränge in den engen Passagen kommt. Auch hier ist anstehen offenbar keine Option, alle drücken und drängeln und quetschen sich in jede kleinste Lücke. Wir lassen uns durch die Gänge schubsen und sind heilfroh, als wir wieder draussen sind.

Am See ist das Gedränge fast so schlimm, wir verweilen deshalb auch dort nicht lange.



2.10.

Wir haben nun herausgefunden, wie man Uber zum Voraus buchen kann, und das bestellte Auto bringt uns zur Bahnstation. Hier klappt wieder alles bestens und wir verbringen eine angenehme Reise nach Delhi. Unterwegs werden sogar Tee und Essen serviert.

Die Ankunft in der Villa 33 in Delhi fühlt sich fast ein wenig an wie nach Hause kommen. Eigentlich wollten wir heute endlich noch ins Red Fort, aber es ist ja wieder Montag… Also checken wir auf dem schattigen Balkon, umgeben von krächzenden Papageien, erst mal unsere Nachrichten. Und oh je: es gibt ein Problem mit unserem Tibet-Visum, da dieses Chengdu als Einsteigeort aufführt, wir aber ja jetzt noch umsteigen. Es folgt ein hin und her an Whatsapps, Mails und Telefonaten, ein wildes Umbuchen und Annullieren, bis wir schliesslich Tickets haben für einen direkten Zug von Chengdu nach Lhasa, allerdings einen Tag später als geplant. Da jedoch in Lhasa drei Puffer-Tage eingeplant sind zum Akklimatisieren, und wir dies nicht mehr ganz so nötig haben wie die direkt aus Europa eintreffenden Tour-Mitglieder, hält sich der Schaden in Grenzen.

Mal schauen, ob es morgen doch noch klappt mit dem Red Fort. Am Abend fliegen wir dann nach China. Je nach Internet-Verbindung dort und auch in Tibet dauert es vielleicht ein paar Wochen, bis wir uns wieder melden. Bis dann.


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