Nubra


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Asia » India
September 23rd 2023
Published: September 23rd 2023
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17.9.

Am Morgen treffen wir uns zum x-ten Mal mit Dorje vom Yak-Travel für ein letztes Update unserer geplanten Tour. Erst hiess es ja, es sei vielleicht bereits zu kalt für unseren gewünschten Trek, dann war dies laut Pferdeführer doch noch möglich. Dann fand Dorje keinen Guide, da dieser Trek nur von nepalesischen Guides durchgeführt wird, und die wollen nun alle nach Hause, da dort die Trekkingsaison startet. Kein Problem, sagten wir, wir brauchen keinen Guide, der uns beim Wandern begleitet, bloss jemand, der weiss, wo der Weg durchführt - und das kann der Pferdemann schliesslich auch. Ok, sagte Dorje, und besprach sich nochmals. Doch jetzt hat er schlechte Nachrichten für uns: der Pferdemann von Korzok, dem Ausgansort des Treks, will nun doch nicht mitkommen, er muss auf dem Feld arbeiten und braucht auch seine Pferde dazu. So disponieren wir kurzerhand um und buchen stattdessen eine Fünftages-Tour im Auto, ins Hinterland Ladakhs, in die Region Nubra, eingebettet ins Karakorum-Gebirge, mit anschliessendem Drop-off in Manali. Von dort aus kann man auch schöne Treks machen, vielleicht haben wir dann dort mehr Glück.

Kurz darauf geht es los, Ashok heisst unser Fahrer, er ist ein wortkarger, aber freundlicher junger Mann und er fährt ganz ordentlich. Erstes Highlight ist der Khardung La, mit 5602m der angeblich höchste befahrbare Pass. Dieser Superlativ reizt natürlich die Selfie-geilen indischen Touristen, sie drängen sich in Massen um das Schild oben und buhlen um einen Platz davor: Foto mit und ohne Mütze, mit Töff, mit Frau, mit Töff und Frau, und so weiter und so fort, es nimmt kein Ende. Wir kümmern uns mehr um die Aussicht, und die ist einmal mehr spektakulär. Es ist heute erstmals etwas bewölkt, doch das stört uns nicht, die Wolkenschatten verleihen den kantigen Felsen reizvolle Kontraste. Hinter dem Pass erwartet uns das Shyok-Tal, ein breiter, sandiger Talboden mit grünen Deltas bei jedem kleinen Seitental. Wir besuchen ein weiteres Kloster, Diskit, bekannt für seine 23m hohe, zur nahen pakistanischen Grenze ausgerichteten Buddhastatue, die den Frieden erhalten soll. Weiter geht es nach Hunder, wo Sanddünen die grosse Attraktion sind. Man kann hier Bogenschiessen, Kamelreiten, sich in Ladakhischer Tracht fotografieren lassen, Quadfahren, oder wie wir, gemütlich durch die Dünen spazieren und weidende Kamele streicheln. Immer wieder treffen wir die gleichen Touristengruppen an, da sind z.B. eine Busladung voller Spanier*innen, vier Australierinnen und mehrere Motorrad-Gruppen, Ladakh scheint ein Töff-Mekka zu sein.

Schliesslich bringt uns Ashok in ein Guesthouse, wo wir auf dem Balkon unseres Zimmers bis zum Znacht Chai trinken und einen Gruppen-Video-Call mit unseren Kindern abhalten.





18.9.

Eine zweistündige Fahrt weiter dem wunderbaren Shyok-Tal entlang bringt uns nach Turtuk, fast an der pakistanischen Grenze. Dieses Dorf ist in vielerlei Hinsicht aussergewöhnlich. Es markiert den Rand der Region Baltistan, die sich über das Grenzgebiet von Ladakh, Pakistan, Tibet und China erstreckt und Heimat der Ethnie der Balti ist. Die Balti leben immer noch sehr traditionell, haben eine eigene Sprache und eine Misch-Religion (Islam mit buddhistischen Einflüssen und alten Bön-Ritualen). Das Dorf liegt an der einen Talseite, die Gebäude aus Lehm und Holz, neuerdings auch aus selbstgegossenen Zementblöcken, sind sehr eng zusammengebaut, schmale Gassen mit Wassergräben schlängeln sich dazwischen durch. Zwischenräume werden genutzt als Gärten oder Weiden für Kühe und Esel, überall stehen hohe Nussbäume und spenden Schatten. Rund um das Dorf liegen Gersten-, Buchweizen- und Gemüsefelder mit Kabis, Mais, Tomaten, Paprika, Chili, Kartoffeln, Broccoli, Bohnen, Karotten, Zwiebeln und Erbsen sowie Minze und allerlei Gewürzpflanzen. Um die Felder herum stehen Aprikosen-, Apfel- und Mandelbäume. Auf den Hügeln oberhalb des Dorfes werden Schaf- und Ziegenherden geweidet.

Eines der Häuser dient als Museum, die Architektur ist äussert eindrücklich: das Gebäude ist dreistöckig, die unterste Etage, gut isoliert durch eine mit Lehm verputzte Steinwand, dient hauptsächlich als Stall, mittendrin ist jedoch ein abgetrennter Raum, der im Winter bewohnt wird - die rundherumstehenden Tiere spenden zusätzliche Wärme. Die mittlere Etage wird im Frühling und Herbst bewohnt, eine Küche-cum-Wohnraum sowie mehrere Schlaf- und Speicherräume sind um einen kleinen, bedeckten Innenhof gruppiert. Die oberste Etage ist eher eine Terrasse und wird in den heissen Sommerwochen bewohnt und zum Trocknen von Früchten und Getreide benutzt.

Eine weitere Besonderheit des Dorfes sind die an den Fels gebauten Kühlräume: dank eines unterirdischen Gletscherflusses und dadurch kühlen Luftströmen, die durch das poröse Gestein dringen, besteht in diesen Räumen ganzjährig eine konstante Temperatur von ca 10°C. So können verderbliche Lebensmittel oder auch Wolle ideal aufbewahrt werden.

Die Leute aus Turtuk teilen ihre Vorräte und Habseligkeiten je nach Bedarf. Lebensmittel und Saatgut werden in Form von zinslosen Darlehen so verteilt, dass alle genug haben. Einmal mehr sind wir beeindruckt – da kann unsere verwöhnte westliche Gesellschaft noch viel lernen. Natürlich hat die Erschliessung des Dorfes durch eine Strasse (einmal mehr dank der Armee, die auch hier Zugang zur pakistanischen Grenze braucht) und die dadurch ermöglichten Besuche durch Touristen ihre Spuren hinterlassen. Die Leute von Turtuk scheinen jedoch einen ganz pragmatischen Umgang mit den Touristen gefunden zu haben: es gibt einige Homestays und Restaurants (wo wir ein fantastisches veganes Balti-Zmittag geniessen) und sie verkaufen getrocknete Früchte und Mandelöl, davon abgesehen gehen sie ungestört ihren Arbeiten nach. So schauen wir ihnen etwa bei der Feldarbeit, beim Bau eines neuen Hauses oder beim Rösten von Gerstenkörnern über dem offenen Feuer zu. Sie grüssen freundlich und ignorieren uns dann weitgehend. Wir verbringen einige Stunden hier, einfach herumspazierend und staundend.

Während uns Ashok bei der Herfahrt mit dem «Om mani padme hum»- Mantra in Endlosschlaufe beglückt hat, spielt er nun auf der Rückfahrt Ludovico Einaudi ab – wir mögen diesen Typen! Im Guesthouse werden wir wiederum fürstlich bekocht, alles Gemüse stammt aus dem eigenen Garten, wie uns der Gastgeber stolz erklärt – und er bereitet uns sogar einen grünen Salat zu, da er weiss, dass die Europäer das mögen. «Cook it, peel it or forget it» hin oder her, den können wir unmöglich stehen lassen.



19.9.

Zum Zmorge gibt es Chole Puri, schaaarfe Kichererbsensuppe mit gepufftem Brot, für uns noch Toast und Omelette zum Abdämpfen. Wir fahren heute sechs Stunden auf holprigen Strassen den Shyok hinauf, dann durch ein Seitental hoch zum Tso Pangong, dem angeblich höchstgelegenen Salzsee der Welt, auf 4200m. Unterwegs mehr des gleichen, und doch wird es uns nicht langweilig die Berge, den Fluss und den Himmel zu betrachten. Immer wieder fahren wir an Baustellen vorbei, wo die Strasse ausgebessert wird oder Felsrutsche beseitigt werden – teils mit grosser Maschinerie, oft mit blossen Händen. Die Camps der Strassenarbeiter sind meist armselige Zeltdörfer, sie verbringen wohl den ganzen Sommer dort. Plötzlich hält Ashok an, springt aus dem Auto und rennt zu einem grossen Stein. Dort geht er in die Hocke und klatscht in die Hände. Neugierig folgen wir ihm: da sitzen zwei Murmeli und schnuppern an seinen Händen! Ashok, der Murmeliflüsterer. Die putzigen Tierchen hier sind deutlich grösser als diejenigen, die wir im Markha Valley gesehen haben, und sehen exakt aus wie die zuhause.

Der Pangong-See ist ein Juwel: das Wasser leuchtet in allen möglichen Blautönen, rundherum die Wüste und im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel. Ashok kennt alle guten Fotospots und wir knipsen uns die Finger wund.

Wir steigen in einem einfachen Guesthouse ab, mit Blick auf den See. Das Essen ist auch hier scharf, aber fein, und wir versuchen, uns mit den andern – vorwiegend indischen - Touristen zu unterhalten, was je nach Akzent nicht ganz einfach ist.

20.9.

Die Fahrt zum Tso Moriri, einem weiteren, noch abgelegeneren See ist einmal mehr spektakulär. Die Strasse schraubt sich in unzähligen Haarnadelkurven über zwei Pässe, auch hier teilen wir sie mit Motorrad-Konvois und Bau-Lastwagen. Ashok meistert auch diese Aufgabe bravourös, er hat genau die richtige Balance drauf zwischen vorsichtigem Abwarten wo nötig und forschem Vorfahren wo möglich. Auch bei teilweise üblen Strassenverhältnissen mit haarsträubenden Abgründen fühlen wir uns in seiner Obhut immer sicher.

An dieser Stelle muss endlich mal was gesagt werden zu den originellen Strassenschildern der Border Road Organisation, kurz BRO. Mit viel Augenzwinkern und wortspielerischem Witz – wenigstens in der englischen Variante - werden die fast ausschliesslich männlichen Autofahrenden zur Vorsicht auf der Strasse gemahnt. Zusammen mit der Abkürzung ergibt das bisweilen amüsante Lektüre. Da steht z.B. «BRO: just feel the curves, don’t hug them”, “This is not a rally, please enjoy the valley”, “BRO: after whiskey, driving risky!” “BRO: please donate blood, but not on the road”, “Even normal speed will meet your need” oder “BRO: if you want to stay married, divorce speed”.

Den Tso Moriri kriegen wir gerade noch im Sonnenlicht vor die Linse und gelangen rechtzeitig nach Korzok, dem - Achtung Superlativ – höchstgelegenen ganzjährig bewohnten Dorf auf 4595m, bevor ein Sturm aufzieht, es in wilden Böen Staub aufwirbelt und wir sogar kurz in Schneegestöber gehüllt werden. Wir verziehen uns unter die warme Bettdecke bis der Spuk vorbei ist und vertreten uns dann noch etwas die Beine vor dem Znacht. Hier wollten wir unseren Trek starten. Wir sehen viele friedlich grasende Pferde, und auf den Feldern arbeitet niemand. Aber wir wollen niemandem etwas unterstellen.





21.9.

Heute sitzen wir geschlagene elf Stunden im Auto, Ashok fährt uns bis nach Manali im Bundesstaat Himachal Pradesh. Die Strasse heisst zwar «Leh-Manali-Highway», doch das ist etwas hoch gestochen: zwar gibt es immer wieder unvermittelt kurze Strecken, die einwandfrei befestigt und asphaltiert sind, der grösste Teil der Strasse ist jedoch in katastrophalem Zustand. So werden wir geschüttelt UND gerührt: geschüttelt durch die Schlaglöcher, gerührt durch Ashoks Bemühen, die Fahrt trotz allem so angenehm wie möglich zu gestalten, bei allzu harten Schlägen entschuldigt er sich jedes Mal, und bei besonders schönen Ausblicken – und davon gibt es zuhauf – hält er von sich aus an und fragt: «Foto?» Der Junge hat sich ein gutes Trinkgeld verdient! Wir überqueren mehrere Pässe, schliesslich geht es nur noch runter – Manali liegt gut 3000m tiefer als der Baralacha La, der letzte Pass. Es wird je länger je grüner und wärmer.

Es gibt einige Verwirrungen mit unserer Hotelreservation in Manali, zudem sind die Gassen derart eng und verwinkelt, dass sich Ashok nicht weiterzufahren getraut und uns mit offensichtlich schlechtem Gewissen schliesslich einem Tuktuk-Fahrer überantwortet. Kein Problem, danke trotzdem für alles!

22.9.

«Odyssee durch das indische Gesundheitswesen» – so lässt sich der heutige Tag umschreiben. Wir haben einen Gruppen-Trek gebucht über den Hampta-Pass, und die Organisation verlangt eine ärztliche Gesundheitsbescheinigung. Keine Beteuerungen unsererseits, dass wir fit seien und soeben einen Trek in grosser Höhe absolviert hätten erweicht sie dazu, uns davon zu dispensieren. Also fragen wir im Tourist-Office, wo wir ein solches Attest kriegen: im Civil Hospital. Dort registrieren wir uns (Vorname und Alter reichen), dann stehen wir in die Schlange. Weit vorne in einer kleinen Kammer sitzt ein Arzt, er fragt nach dem Gebrechen, misst Blutdruck, hört bei Bedarf die Lunge ab (beides über alle Kleidungsschichten hindurch) und verweist die Leute dann in andere Zimmer. Zwischendurch geht das Licht aus wegen eines Stromausfalls, einmal werden alle rausbefördert, weil wohl doch der Oberkörper entblösst werden muss, was wiederum vor der Tür zu Rangeleien führt, bis die vorherige Reihenfolge wiedergestellt ist. Kinder und alte Leute und solche, die bluten, dürfen die Reihe überspringen. Als wir endlich zuvorderst sind, schaut sich der Arzt das Formular an und verordnet dann zu unserem Erstaunen ein ausgedehntes Labor, ein EKG und ein Thorax-Röntgen. Also stellen wir uns erstmal in die Reihe vor dem Labor. Eine nette Schwangere erklärt uns, dass man die Verordnung draussen vor dem Spital fotokopieren, die Kopie im Labor abgeben und dann im Gang auf den Sesseln warten könne, bis man aufgerufen werde. Gesagt, getan. Als wir schliesslich im Labor sitzen und der jungen Frau erklären, wozu wir die Blutentnahme benötigen, meint sie, das mache doch keinen Sinn, das sei ja nur eine Formalität, und die Resultate bekämen wir sowieso erst morgen Mittag. Finden wir auch, aber was tun? Wir sollen uns besser direkt im Emergency Room melden und die Ärztin dort um eine Unterschrift bitten, rät sie uns. Das tun wir, doch die Ärztin verweist uns ins Zimmer 119 – zum ersten Arzt, den wir gesehen haben. Wir erklären ihm nochmals, dass wir nur eine Unterschrift und einen Stempel brauchen, doch er bleibt hart: wenn uns auf dem Trek etwas geschehe werde er verantwortlich gemacht und er verliere seinen Job. Er müsse beweisen können, dass wir weder Diabetes noch einen Herzschrittmacher hätten und unsere Leberwerte in Ordnung seien. Bei allem Verständnis, hier ist unsere Geduld am Ende (wir stehen notabene seit vier Stunden hier rum und sind noch keinen Schritt weiter). Wir entschliessen uns zu einem Strategie-Wechsel und versuchen unser Glück bei einer «Private Clinic». Das sind kleine Praxen, die (im Gegensatz zum für die Klientel kostenlosen Spital) ihre Dienste gegen Bares anbieten. Doch auch hier laufen wir auf. Drei Damen und Herren Doctores hintereinander verweigern ihre Unterschrift ohne vorangehende ausführliche Untersuchungen. Eigentlich bewundern wir ja den hochgehaltenen Standard, aber es ist trotzdem zum Verzweifeln! Der letzte Arzt hat uns immerhin einen Tipp: wir sollen es bei Dr. Rawat versuchen, der mache das. Und siehe da: Dr. Rawat fragt einfach: «do you have Diabetes? Do you have a pacemaker-implant? Any liver-problems?”, schreibt überall “no”, signiert und verlangt 200Rupien (gut zwei Franken).

Mittlerweile ist es Zeit fürs Znacht. Und wir sind um eine Erfahrung reicher.


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