Curiquingue, Haengematte...


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South America
November 11th 2009
Published: November 11th 2009
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10.11.2009
20:00



Falta la luz...


Das Radio dudelt immer die gleichen Folklore-Hits, in der Haengematte neben mir liegt Oswaldo und singt laut mit: der Empfang ist erstaunlich gut heute, und: es gibt Strom. Das ist hier derzeit keine Selbstverstaendlichkeit, denn in Ecuador wird der Loewenanteil an Energie aus Wasserkraft gewonnen, und wir erleben das trockenste Jahr seit 4 Jahrzehnten. Selbst hier im Regenwald warten wir sehnsuechtig auf Niederschlag, die Dusche funktioniert bereits nicht mehr, wir waschen uns im Fluss, und so langsam wird auch das Wasser knapp, das wir fuer die Toilettenspuelung schoepfen. Seit ueber einer Woche wird der Strom rationiert und tagsueber im ganzen Land stundenlang abgeschaltet, manche Staedte wie auch die Hafenstadt Guayaquil mit seinen 2,8 Millionen Einwohnern sind bereits seit Tagen ohne Elektrizitaet. Die Bevoelkerung wurde nicht informiert, bevor das erste Mal der Schalter umgelegt wurde, aber die Bevoelkerung reagiert, an Kummer gewoehnt, zumindest hier in Tena und Umgebung erstaunlich gelassen.
Ist der ausbleibende Regen ein erstes Zeichen des globalen Klimawandels? Moeglich.
Ziemlich sicher jedoch ist er eine Folge der lokalen Regenwaldabholzung, und vermutlich wird sich Ecuador in Zukunft auf weitere Trockenheitsperioden einstellen muessen.

Die Hitze ist erdrueckend. Wir fruehstuecken um 07:00 und beginnen direkt anschliessend mit der Arbeit, um die kuehleren Morgenstunden auszunutzen. (Definition von "kuehler": im T-Shirt beim Stillsitzen nicht sofort nassgeschwitzt sein.)
Waehrend der letzten 10 Tage haben wir unsere cabañas gestrichen, um sie so weit wie moeglich vor den Heerscharen von Termiten zu schuetzen, die in kuerzester Zeit eine Holzhuette zu vernichten, zentimeterdicke Kotstreifen aus Lignin hinterlassend, das sie wieder ausscheiden, waehrend sie die Zellulose verdauen. Ein typisches Holzhaus mit einem Dach aus den Blaettern der Palma Paja haelt etwa 5 Jahre, dann ist ein Neubau faellig.

Einen Neubau haben wir seit gestern in Angriff genommen: eine weitere cabaña, fuer deren Fundament wir Steine aus dem Fluss und die noch verwertbaren Reste eines aufgegebenen Hauses im Wald geholt haben. Skurril: Da steht mitten im Regenwald ein einsames Klo herum, und ich finde mich dabei wieder, wie ich mit einem Waschbecken unter dem Arm oder einem grob zusammengezimmerten Tisch ueber der Schulter durch die feucht-heisse Wildnis schnaufe, umschwirrt von unzaehligen mir voellig unbekannten Insekten und bunt schillernden Schmetterlingen, und frage mich, in welchen Film ich ploetzlich geraten bin.
Nachmittags sollte eigentlich Arbeit an den letzten Informationstafeln fuer den Oekologie-Lehrpfad auf der Tagesordnung stehen, doch die Stromausfaelle machen den PC platt, und die Hitze uns, und zwar physisch wie geistig. Die Mittagshitze laesst sich eigentlich nur traege in der Haengematte liegend aushalten, jede Bewegung sorgt fuer einen weiteren Schweissausbruch, jeder Schweissausbruch hat eine weitere Attacke von fremdartigen Insekten zur Folge. Die Hitze scheint mein Hirn auf Walnussgroesse zusammenzubrutzeln - selbst das Denken faellt schwer.
Abends, wenn es ein wenig abkuehlt, lasse ich mir von zwei weiteren - mit wahrer Engelsgeduld gesegneten - Praktikanten bei einer Flasche Bier Skat beibringen. Mal schauen, ob ich es noch schaffe, ihre Geduld auszureizen: Reizen immerhin kann ich ja mittlerweile.

Die Tage vergehen erstaunlich schnell. Ich habe mein Zeitgefuehl verloren. 12 Stunden hell, 12 Stunden dunkel - knapp suedlich des Aequators herrscht ein anderer Rhythmus als im hektischen Deutschland. Die permanente Geraeuschkulisse unzaehliger Tiere begleitet uns, gelegentlich verirrt sich ein Skorpion oder eine Schlange auf unser Stationsgelaende, letztens sogar eine Korallenschlange. Gerade komme ich von der Toilette: an der Wand eine Vogelspinne, auf der Klopapierrolle ein grosses verwelktes Blatt mit Beinen und Fuehlern: eine perfekt getarnte Heuschrecke. Meistens nehme ich unsere Haustiere mittlerweile halbwegs gelassen hin, immer gelingt es mir noch nicht.
Rund um die Toilette arbeiten unermuedliche Blattschneiderameisen, die die Baeume entlauben, die Blaetter kleinschneiden, in ihr Nest unterhalb unseres Klos tragen und dort mit Hilfe des Laubes eine Pilzkultur anlegen, von der sie sich wiederum ernaehren. Gestern fanden wir die Toilettenschuessel gefuellt mit ihren Koeniginnen vor, die einmal im Jahr alle zugleich schluepfen, ausschwaermen und einen neuen Staat gruenden, so sie denn ueberleben: sie gelten bei den Einheimischen als Delikatesse.
Zum Glueck verzichtet unsere Koechin bislang auf solche heimische Spezialitaeten und serviert uns umso mehr Huhn, Reis, Yuca, Kochbananen und Bohnen, geeigneter fuer europaeische Maegen als Insekten, Maden, wenn ich auch hin und wieder von einer deftigen Scheibe Vollkornbrot mit Leberwurst traeume.
Vielleicht wird ja doch noch das im Hochland gern verspeiste Meerschweinchen vom Drehspiess zum Ersatz: bislang habe ich mich noch nicht rangetraut, obwohl: schoen knusprig sehen sie ja aus...

Neue Fotos auf:
http://www.facebook.com/album.php?aid=2026010&id=1461556997&l=1c668a7e4e

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13th November 2009

:-)
Faszinierend was du alles erlebst und ich bewundere auch die Art und Weise wie du es schreibst! Machs gut! Pass auf dich auf! Liebe Grüße auch von Pitri, Polly und Lilly :-D

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