Erhoehter Grundumsatz


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Published: June 12th 2007
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Schoenen guten Morgen (respektive Nachmittag)!

Nach zwei doch eher intensiven Wochen in den Bergen konnte ich mich gerade endlich mal wieder motivieren, mich an den Computer zu hocken und was zu schreiben. Eigentlich sind wir naemlich gerade damit beschaeftigt, jegliche Form von Kalorien in fluessiger oder fester Form in uns reinzustopfen und zu -schuetten. Laut unseren zwei Medizinern Markus & Christoph geht es dabei um den "erhoehten Grundumsatz", weshalb unser Tagesablauf uns eigentlich nur noch von Kneipe zu Kneipe fuehrt. Huehnchen, Brot, Obst, Reis mit Bohnen, Hamburger, Pfannkuchen, Steak, Apfelkuchen, Kaffee, Pizza, Bier und eine Flasche Rotwein. So hat gestern unser Menue ausgeschaut. Heute wird bestimmt auch wieder gut.
Wie auch immer: Nachdem wir vom Hippiestrand am Tittikakkasee wieder hier in La Paz angekommen sind, haben wir uns auf die Socken gemacht und sind erstmal zum Instituto Geografico Militar gefahren, um uns dort hochqualifiziertes Kartenmaterial zu besorgen. Es war sehr lustig, mal in einer bolivianischen Militaereinrichtung rumzueiern (kein Wunder, das die bisher jeden Krieg verloren haben, den sie angefangen haben), aber die "Karten" waren halt nur Schwarz-Weiss-Kopien, auf denen man eigentlich nix erkennen konnte, abgesehen davon, dass die Namen fuer die Berge ueberhaupt nicht gestimmt haben. Dann noch kurz Essen eingekauft und der uebliche Ablauf ist wieder losgegangen.
Morgens um fuenf hat uns unser Taxista Fernando abgeholt, wir haben unser ganzes Geraffel im, auf und am Taxi verstaut und sind bei Arscheskaelte von La Paz in Richtung der Condoriri-Gruppe losgegurkt.
Von einem kleinen Kaff namens Tuni. wo gerade die Lamas aus ihren Staellen gekommen sind, sind wir relativ gemuetlich bis ins Condoriri-Basecamp gehatscht. Die Rucksaecke zwar wieder schlecht fuer die Bandscheiben, dafuer diesmal nicht so viele Hoehenmeter zum hochstieren. Das Lager hat sich dann als eines der Besten entpuppt, die ich bisher gesehen habe. Unglaubliche Berge aussenrum, an der Laguna Chiarkhota, einem tuerkisgruenen Bergsee, mit einer Trinkwasserquelle, Steinklos und einem alten, zahnlosen Campesino, der das ganze Ding managed und auf die Zelte aufpasst (und natuerlich gute Geschaefte macht). Aus dem Zelt ein Blick auf den Cabeza de Condor (5648m), das "Matterhorn Boliviens", einen absolut hammermaessigen Berg (laut Christoph viel zu schwer fuer uns).
Die Jungs wollten sich eigentlich ja erstmal akklimatisieren und auf ein paar Schutthuegel am Taleingang hatschen, aber angesichts des Panoramas waren sie dann doch schnell ueberzeugt, auf gescheite Berge zu steigen.
Am ersten Tag sind wir dementsprechend auf den Pequeño Alpamayo (5370m) gegangen. Eine wunderschoene Tour ueber einen luftigen Grat, der Berg selber eine perfekte Firnpyramide. Besser gehts kaum. Die Buben haben zwar alle geschnauft wie die Bueffel, aber alles palletti so weit.
Beim Abendessen in Form leggerer Nudeln schnell noch Plaene geschmiedet und ab in die Heia.
Am zweiten Tag haben wir uns dann an einer Ueberschreitung der Piramide Blanca (5230m) versucht. Dank des globalen Gletscherschwundes jetzt grossteils eher eine Piramide negra, aber wurscht. Da, wo wir eigentlich laut Bild ueber einfache Schneebaender hatschen sollten, gibts jetzt blankes Eis und Fels. Super. Erstmal sind wir in eine kleine Grotte geklettert, wo uns ein netter Vorgaenger einen geschlagenen Haken und eine gefrorene Wurst hinterlassen hat. Ab da ist dann der Martl (unser Mann ohne Nerven) weiter vorgestiegen. Der war dann recht schnell weg um die Ecke und nur noch der konstante Eisschlag von oben hat uns verraten, wo er gerade ungefaehr ist. "Scheisse, hier wirds richtig steil!" Super. In unserem Material-Minimalismus und angesichts der sowieso zu schweren Rucksaecke hatten wir gerade mal fuenf Eisschrauben und vier Estaccas (Aluplanken, die man in harten Schnee dengelt & hofft, dass sie halten koennten) mitgenommen, fuer uns vier Vollspacken. Unter uns ein wirklich fieser Abbruch bis auf den Gletscher. Der Martl hats auf jeden Fall irgendwie hingekriegt, die kritischen Seillaengen vorzusteigen, wofuer wir ihm alle echt dankbar waren (zumindest ich hatte im Nachstieg schon einen kleinen braunen Streifen im Hoeschen). Eisklettern auf 5000 Meter ist echt anstrengend, vor allem wenn man wie ich eine Scheisstechnik (bzw. gar keine) hat. Als ich mich dann ueber die letzte Waechte gewaelzt hab war mir speiuebel und die Wadeln waren auch fast am platzen. Aber Uebelkeit ist ja bekanntlich, was im Kopf passiert, sonst nix.
Der Rest der Tour war superschoen und relativ einfach, wieder ueber einen Grat und dann ueber eine Felsstufe zum Gipfel, wo wir erstmal gechillt haben und dann ueber den Normalweg wieder abgestiegen sind.
Am naechsten Tag erstmal Auspennen, viel Essen, Lesen, Sonnen (oder eher Winden) und nix machen.
Und irgendwie hat uns der Cabeza de Condor ("Matterhorn Boliviens", "schoenste Route Boliviens", usw.) doch ziemlich angemacht, so dass wir uns zuegig einig waren, dass zumindest ein Versuch drin sein muss.
Vier Buben auf der Jagd nach dem Superlativ hatschen also nachts um eins vom Basecamp los und roedeln erstmal eine niemals endende, superbeschissene Moraene voller losem Schutt und Dreck hoch, immer darum bemueht, sich nicht die Haxen zu brechen. Grosser Sport! Durch ein paar Schneegullies erreichen wir endlich den Gletscher, wecken versehentlich ein paar Russen, die da zelten und eiern weiter. Bloederweise erreichen wir den Einstieg zur Route viel zu frueh...4:30 Uhr, sackkalt und finsterste Nacht. Na gut, dann warten wir halt und essen noch lecker Wurstbrot. Mit Wurstbrot und ein paar froehlichen Schlagern auf den Lippen ("Russland, Russland, Russland ist ein schoenes Land") frieren wir noch ein Stuendchen, dann klettern wir los in die erste Schneerinne. Oben finden wir einen Standplatz an geschlagenen Haken, schon mal ganz gut. Der Rest der Route ist ein arschlochmaessig ausgesetzter Grat, wo man auf beiden Seiten richtig weit runterfallen kann. Wir sichern also das ganze Ding an unseren Estaccas, damit zumindest der Kopf ein bisschen ruhiger ist und kommen nach ein paar Stunden am Vorgipfel an. Ich bin total platt. Die anderen Jungs traversierten noch solo ueber den Verbindungsgrat zum ein paar Meter hoeheren Hauptgipfel. Eigentlich einfach, aber volle Kanne ausgesetzt. Mit wackeligen Knien geh ich noch ein Stueck, dann schickt mir mein Bauch die unmissverstaendliche Botschaft, dass ich platt bin, mich besser hinhock, auf den Hauptgipfel mal scheisse und ueberhaupt schauen sollte, das ganze Geraet wieder runterzukommen. Also halt nur der Vorgipfel. Eigentlich egal, aber ein bisschen tut das dem Ehrgeiz halt schon weh.
Der Abstieg war dann immer noch abenteuerlich & lang genug. Ein letztes Abendessen im Basecamp und schon war die Woche wieder rum.
Die naechste Frage: Kommen wir eigentlich wieder nach La Paz? Da wir nix ausgemacht hatten hab ich einfach einem der Guides, der nach La Paz zurueckgefahren ist, einen Zettel mit Telefonnummern und 20 Bolivianos in die Hand gedrueckt, damit er Fernando den Taximeister anruft und Zimmer in unserem Hostal reserviert. Grosse Zweifel!!!
Aber Fernando ist puenktlich um zwei Uhr nachmittags in einer Staubwolke angerast gekommen, wir haben noch ein Bierchen mit ihm gezischt, sind nach La Paz gekommen, die Zimmer waren reserviert und alles in Butter. Unglaublich.
Dem Zeitplan der Wunderloch-Brueder entsprechend bleibt uns ein Tag in La Paz, um stinkige Hoeschen zu waschen, Essensvorraete auf dem Markt aufzustocken, heiss zu duschen und ein paar Bier zu trinken, weil am Freitag morgens um fuenf wieder der Fernando vor der Tuer steht, um uns zum Huayna Potosi (6088m) zu bringen.
Der Potosi ist wohl der populaerste Berg hier, jede Reiseagentur bietet taeglich gefuehrte Touren auf dem Normalweg an, es gibt zwei Refugios, in denen man uebernachten kann und die Moraenen vor dem Gletscher sind so vollgeschissen, dass man es schon hundert Meter vorher riecht.
Wir sind bis zum Campo Argentino in einem flachen Gletscherbecken auf 5500 Meter aufgestiegen und haben dort mutterseelenallein (!) unsere Zelte aufgebaut. Ein superschoenes Plaetzla mit Blick auf die Ostwand des Huayna Potosi, wo wir am naechsten Morgen durchsteigenn wollten. Leider war ab 16:00 Uhr die Sonne weg und es ist dermassen saukalt eworden, dass es eigentlich nur im Schlafsack einigermassen ertraeglich war. Nachdem sich jeder noch mit Expeditionsnahrung aus der Alutuete vollgesabbert hat war also Schlafischlafi angesagt.
Morgens um vier ist es nicht wirklich waermer gewesen. Alles im Zelt gefroren, die reinste Schneehoehle und beim Versuch, sich in saemtliche Fleeceschichten zu schaelen rieselt einem der Reif in den Nacken. Kurz drauf hatschen wir in Daunenjacken los zum Einstieg des "Via de los Franceses" durch die Ostwand. Es ist mal richtig kalt, aber am Einstieg kommt die Sonne raus.
Vor uns in der Route klettern zwei Katalanen, die alles an Estaccas sichern und dementsprechend langsam unterwegs sind. Angesichts der guten Verhaeltnisse und der eher psychologischen Haltekraft von Estaccas in losem Schnee entscheiden wir uns dafuer, die Seile im Rucksack zu lassen. Wir eiern also los und nach 100 Metern reisst eine Drahtlasche an meinem Steigeisen ab. Spitze! Der Martl unter mir kriegts wieder hin und wir klettern weiter, staendig unter Schneeballbeschuss durch die Katalanen ueber uns. Die Route ist aber superschoen, 300 Meter steiler Schnee in der Morgensonne.
Wir steigen ueber einen Grat aus, queren zum Suedgipfel und schiessen erstmal ein paar Fotos. Dann steigen wir ueber eine Rinne wieder ein Stueck ab (Steigeisen geht im Blankeis wieder ab - also Abseilen ueber ein Felskoepfel) und gehen ueber einen wunderschoenen Grat zum Hauptgipfel. Neben uns staendig eine imposante Waechte, durch die man mit dem Eisgeraet Loecher stechen und 1000 Meter die Westwand runterschauen kann. Besser wie Fernsehen!
Auf dem Gipfel, einer grossen Schaumrolle auf 6088 Metern sind wir wieder ganz allein. Kein Pauschaltourist weit und breit. Supergeil! Wir sonnen uns, trinken was und schiessen ungefaehr 6723453 Fotos.
Dann laufen wir die Normalweg-Autobahn runter, wobei ich unfreiwillig ein gutes Stueck auf dem Arsch zuruecklege und endlich mal die Pickelbremse nach DAV Norm DIN6574 ausprobieren kann. Bei den Zelten sind wir dann doch recht platt, essen noch eine Suppe und hauen uns in die Schlafsaecke.
Am Sonntag sind wir dann gemuetlich ueber den flachen Gletscher und die Moraenen zurueckgewandert, wobei wir auch den ein oder anderen total fertigen, torkelnden Normalwegsaspiranten mit Guide getroffen haben. Gesund kann das nicht sein und Spass macht es wahrscheinlich auch nicht so wirklich, wenn man kotzend mit Kopfschmerzen von einem Guide am kurzen Seil auf einen 6000er geschleift wird. Erstaunlich, dass es da nicht mehr Unfaelle gibt.
Naja, wir hatten auf jeden Fall einen Haufen Spass, sind in ganzen Stuecken und ohne erfrorene Zehen nach La Paz zurueckgekommen.
Mehr gibts grad nicht zu schreiben, ausserdem reicht das ja wohl erstmal. Der erhoehte Grundumsatz fordert seinen Tribut und wir gehen jetzt in unser favorisiertes Kaffee (mit echtem Kaffee - nicht Nescafe mit Milchpulver).

Liebe Gruesse an alle, geniesst den Sommer & lassts Euch gut gehen!
Saludos.
Flo.




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