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Published: October 13th 2012
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Während der letzten fünf Wochen in Israel hatte mein Bauch das Privileg an insgesamt drei jüdischen Feiertagen/-wochen teilzuhaben. Rosh Ha Shana, Jom Kippur und Sukkot, welcher vor zwei Tagen endete.
Somit sollten nun wohl auch die Bedenken meiner Freundin Lior, ich esse zu wenig (????), (ich fand sie nach meiner Ankunft entsetzt am Fleisch meiner Zweigärmchen zupfend) zerstreut sein.
Rosh Ha Shana ist das jüdische Neujahrsfest. Es begann am Abend des 16. Septembers und endete am Abend des 18. Die wörtliche Übersetzung ist "Kopf des Jahres", worauf sich wohl auch die Speisenauswahl auf vielen Familientafeln beruft. "Im Prinzip ist es ein Teller gefüllt mit den widerwärtigsten Dingen, die du dir vorstellen kannst." Maya hatte es wirklich drauf, mich in Festtagslaune zu heben. Fisch- und Schafsköpfe kommen auf einen traditionellen Rosh Ha Shana Tisch - damit man selbst zum Kopf und nicht zum Schwanz werden möge. Fisch- und Schafsköpfe fanden sich auf den Tellern von Noams Großeltern und tagsdarauf denen seiner Tante glücklicherweise nicht. Alles war köstlich und, wie immer, mehr als reichlich. Nirgends fehlen dürfen in Honig getunkte Apfelschnitze - "Shana tova u metuka" - "Ein gutes und süßes neues Jahr." Reihum sagt ein jeder was er seiner Familie
für das neue Jahr wünscht. Das finde ich nett. Dann wird gesungen und gegessen. Später liege ich, gleich Max und Moritz, mit meinem Blähbauchflach. Ein süßer Apfelschnitz ragt aus meinem Mund und wartet, anstelle des Hühnerbeins, noch auf Platz zum Nachrutschen.
Jom Kippur folgt zehn Tage nach dem Neujahrsfest. Für die Juden ist dies der höchste aller Feiertage - der Tag der Versöhnung. Die Bibel spricht: „Am zehnten Tage des siebenten Monats sollt ihr fasten und keine Arbeit tun, weder ein Einheimischer noch ein Fremdling unter euch. Denn an diesem Tage geschieht eure Entsühnung, dass ihr gereinigt werdet; von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn.“ In Tel Aviv muss dieser Tag magisch sein, wird mir später von Neta erzählt. Kein Auto, kein Bus, kein Lärm. Menschen laufen auf den Straßen. Alles ist still, ausgestorben, magisch, ungewohnt. Ich war zu dieser Zeit nicht in Tel Aviv, aber auch in Sde Nehemiya war es merkbar ruhiger als sonst. Das Fasten dauert 25 Stunden, von Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang und schließt sowohl Essen als auch Trinken mit ein. Bevor das Fasten beginnt wird aber selbstverständlich wieder königlich gespeist. Eingepegelt in israelische Pünktlichkeit schafft es unsere "Kommuna" natürlich nicht ihr Mahl
vor Sonnenuntergang zu verspeisen, geschweige denn überhaupt fertig gekocht zu haben. Theoretisch macht also auch das Fasten nun kaum Sinn für uns. Und so wird gegessen, gegessen und gegessen. Um uns jedoch wenigstens ein wenig vom Geist dieses Tages mitzugeben hat Rotem Gedichte, Lieder, Spiele und Denkanstöße zusammengetragen und so wurde zur Abwechslung einmal angenehm ernsthaft über das Leben, die Veränderungen darin und Selbstbestimmung diskutiert. Als wir alle so im Kerzenschein beisammen saßen, kam dann doch fast eine weihnachtliche Stimmung in mir auf. Eine wirklich schöne Tradition an Jom Kippur ist das Beten um Vergebung. Bevor das letzte Sonnenlicht erloschen ist, klingeln in allen Häusern die Telefone und klopft es an den Türen. Man entschuldigt sich bei den Menschen, die einem wichtig sind für die Dinge, mit denen man sie im vergangenen Jahr verletzt haben könnte und beginnt damit gleichzeitig einen gemeinsamen Neuanfang. Mit den Kindern aus dem Kibbuz-Hort sind wir einen Tag vor Jom Kippur an den Fluss. Dort hat ein jeder die Dinge auf einen Stein oder ein Blatt geschrieben, für die er sich entschuldigen möchte und anschließend der Strömung übergeben. Tamars religiöse Nachbarn sieht man an Jom Kippur nur selten. Sie verbringen fast den ganzen Tag in
der Beit Knesseth (Synagoge) um Schriften aus der Tora zu lesen und zu beten. Wir verbringen unseren Tag auf dem Sofa drinnen mit Filmen, auf dem Sofa draußen mit Kaffee und Jonglierbällen und auf der Slackline über der Grünfläche. Vor Sonnenuntergang gehe ich mit Tamar und Rotem in die Synagoge, besser das Synagogen-Haus im Kibbuz. Der Raum ist gestopft voll mit Jung und Alt und Männlein und Weiblein die beten und zuhören und singen. Irgendwann dreht sich alles mit dem Gesicht zur Wand (gen Jerusalem) und verfällt für 10 Minuten in wiegendes Schweigen und Lesen. Da ich in Hebräisch für gewöhnlich nichts anderes lese als Busfahrpläne und Gewürzetiketten, lege ich meine Thora nach fünf Minuten heuchlerischen Hineinstarrens beiseite und wiege mich einfach ohne mit den anderen mit. Mit dem ersten Stern am Himmel wird das Fasten gebrochen. Der Rabbi bekommt Applaus.
Sukkot heftet sich direkt an Jom Kippurs Fersen. Tamars Nachbarn stellen im Garten eine Sukkha auf. Vier Zeltwände abgedeckt mit Palmzweigen sollen an den Auszug der Juden aus Ägypten erinnern, die damals auch nur in provisorischen Behausungen gewohnt haben. Für die gesamte Zeit des 7-tägigen Fests wird in der Sukkha gekocht und gegessen, die ganz Religiösen nutzen sie
sogar zum Schlafen. Zum Sukkot-Essen wurde ich von Netas Familie, nahe Tel Aviv, eingeladen. Mit Kitsch-Girlanden, Lametta und Luftballons, dekorieren wir die Markiese über dem Esstisch zu unserer eigenen provisorischen Sukkha. Dann wird mal wieder mehr gegessen, als sich verdauen lässt.
Ich war mal wieder überwältigt von der Gastfreundschaft mit der ich in, inzwischen nicht mehr ganz so fremde, Familien aufgenommen wurde. Doch nach gut zwei Wochen abartigster Völlerei, hab ich von Festmählern die Nase nun gestrichen voll!
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