Von Palästen, Tempeln und Grabstätten


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December 23rd 2023
Published: December 23rd 2023
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6. – 21.12.



Von Varanasi reisen wir nach Khajuraho, einem abgelegenen Dorf, berühmt wegen seiner Tempelanlagen aus dem 10. Jhd. Es sind knapp 400km dorthin, aber es gibt keinen einfachen Reiseweg – Zug, Bus, shared Taxi - auf alle Fälle muss man mehrmals umsteigen und es dauert lange. Wir fahren erst mal nach Prayagraj, einer trostlosen Stadt, von wo aus wir den Zug zu nehmen gedenken. Irgendwie klappt es aber mit der Online-Ticket – App nicht, am Schalter ist niemand dazu zu bewegen uns ein Billett zu verkaufen, und ein netter junger Mann, der uns am Ticketautomat eines lösen will (ausländische Kreditkarten funktionieren da nicht), kann nur noch Stehplätze auswählen. So quartieren wir uns im nächsten Hotel ein, für das alleinig die Nähe zum Bahnhof spricht, und besuchen die einzige Sehenswürdigkeit hier, eine Grabanlage eines muslimischen Herrschers aus dem 14. Jhd. Es gelingt uns schliesslich, Zugtickets für morgen früh zu lösen, zum Glück merken wir noch, dass dieser von einem Bahnhof 12km ausserhalb der Stadt fährt. Am nächsten Tag geht es weiter mit Pleiten, Pech und Pannen: der bestellte Uber kommt nicht, der zweite ebenfalls nicht, und so machen wir uns auf die Such nach einem Taxi, was um sechs Uhr morgens schwierig zu sein scheint. Schliesslich finden wir ein «Auto» (Tuktuk) und versuchen unser Glück, rechnen aber schon nicht mehr damit, dass es noch auf den Zug reicht. Der Fahrer drückt jedoch mächtig auf die Tube und es klappt schliesslich doch noch. Der Zug hält zwar immer wieder auf offener Strecke an und wir benötigen schliesslich sieben Stunden bis nach Khajuraho, aber wir haben bequeme Sitze, können uns die Beine vertreten und jederzeit trinken, da wir ja zur Toilette gehen können wann immer wir wollen - alles grosse Vorteile gegenüber einer Busfahrt.

Die Tempel von Khajuraho sind einzigartig in Indien: die Sandsteinfassaden sind über und über mit detaillierten Figuren verziert, viele davon aus unerklärten Gründen in erotischen (um nicht zu sagen pornografischen) Positionen. Zu Fuss und mit Velos erkunden wir die vielen Tempel im Dorf und in der Umgebung. Ein platter Pneu bereitet uns kurz Sorgen, doch wir werden schon bald von einer Schar Kinder in eine Werkstatt gelotst, wo man den Schaden umgehend für ein Entgelt von 15 Rappen beheben kann.

Die Attraktion der Tempel hat auch Infrastruktur für Touristen mit sich gebracht, und wir machen eine beglückende Entdeckung: zum ersten Mal in Indien finden wir ein Restaurant, das Bohnenkaffee aus der Maschine anbietet – wie das duftet, wie das Schäumchen sanft die Lippen benetzt, wie die samtige Bitterkeit der Zunge schmeichelt – aaahh! Zudem steht Müesli mit Joghurt und Früchten auf der Speisekarte, somit ist klar, wo wir morgen frühstücken werden…

Wir beschliessen, einen weiteren Tag zu bleiben – die Reisetage sind jeweils anstrengend, wir merken, dass wir die Kadenz etwas senken wollen. Nach dem Müesli-und Kaffee-Zmorge (himmlisch), bringt uns ein Besuch im historischen Museum interessantes Hintergrundwissen zu den Tempeln. Ein weiterer Coiffeur-Besuch führt uns vor Augen, dass wir nun doch schon eine Weile unterwegs sind. Wir erkunden den alten Teil des Dorfes, der bereits zur Zeit der Tempel bewohnt wurde. Sadish, ein junger Mann, der dort lebt, bietet uns seine Dienste als Guide an und wir akzeptieren ausnahmsweise. Und es zahlt sich aus: er bringt uns zu sich nach Hause, wo uns seine Mutter Chai Masala (Gewürztee) zubereitet und wir Einblick erhalten in die einfache Lebensweise der Dorfbevölkerung. Er zeigt uns die nach Kasten aufgeteilten Quartiere, Altare, Brunnen, enge Gassen und bunte Häuser, die wir alleine bestimmt nicht gefunden hätten. Mit seiner Vermittlung getrauen wir uns auch die Leute zu fotografieren, und sie posieren gerne. Ein Hochzeitsumzug mit lauter Musik zieht durch die Strassen und löst sich kurzzeitig in heller Aufregung auf, als sich ein Bulle mit gesenkten Hörnern in die Masse drängt. Schliesslich zeigt uns Sadish seine alte Schule. Sein Lehrer ist immer noch dort und führt uns herum. Mit Unterstützung einer Stiftung lehrt und füttert er hier 250 Kinder aus dem Dorf und der Umgebung, die sonst keinen Zugang zu Schulbildung hätten. Wir sind tief beeindruckt. Wir schenken ihm schon mal die Farbstifte und Kugelschreiber, die wir von zuhause mitgebracht und bisher nicht verteilt haben, und versprechen weitere Unterstützung.

Wir reisen weiter ins nahe gelegene Panna Tiger Reserve. Wir buchen eine Abend- und eine Morgensafari im Jeep – und haben tatsächlich Glück: ein zweijähriges Tiger-Paar kreuzt am kurz nach Sonnenaufgang unseren Weg und wir können die majestätischen Tiere bei ihrem gemächlichen Streifzug durch das hohe Gras bewundern. Daneben gibt es auch viele andere Tiere zu beobachten: Chital- und Sambar-Hirsche, Nilgai-Antilopen, Langur-Affen sowie verschiedene Vogelarten.

Nach dieser Verschnaufpause im Grünen geht es zurück in die Städte. Orchha ist berühmt für seine Paläste, Tempel und Grabanlagen aus dem 16. Jhd. Wir legen einige Kilometer zurück auf unserem Sightseeing-Bummel, mit krönender Abendstimmung bei einem prächtigen Sonnenuntergang.

In Gwalior gibt es ein berühmtes Fort aus dem 15. Jhd, doch weil unser Zug wieder einmal Verspätung hatte, erreichen wir dieses erst am späteren Nachmittag Dann lösen wir erst noch ein falsches Ticket und erhalten nur Zugang zu einem Nebenpalast, und für den Rest reicht die Zeit nicht mehr. Aber schon die Anlage selbst, drei Kilometer lang auf einem Hügelzug über der Stadt thronend, ist den Ausflug wert, und die Fassade war einst reich mit bunten Keramikplatten geschmückt, die an einigen Stellen noch gut zu erkennen sind.

Auch der Zug nach Agra braucht länger als geplant. Unser Homestay wird von einem jungen Paar betrieben und ist sehr gemütlich eingerichtet. Die Frau stammt aus Bolivien und spricht weder Englisch noch Hindi, wir können uns kaum vorstellen, wie sie das Leben hier meistert. Sie wirkt jedoch zufrieden und bekocht uns mit Geschick und Hingabe.

Das Ticket für den Eintritt zum Taj Mahal kostet für ausländische Touristen wie üblich rund zwanzigmal mehr als für Einheimische, dafür müsse man beim Eingang nicht anstehen, heisst es. Weil aber offenbar alle Westler wie wir bei Sonnenaufgang rein möchten, warten wir dennoch eine ganze Weile bei der Sicherheitskontrolle, müssen dann aus unerfindlichen Gründen noch unsere Biscuits abgeben, und schliesslich nochmals anstehen, bis das Gerät zur elektronischen Entwertung des Tickets geflickt ist… unsere Geduld wird wieder einmal arg strapaziert. Die Sonne wäre längst über dem Horizont, als wir endlich vor dem erhabenen Gebäude stehen, doch dieses ist in dichten Nebel gehüllt und die Sonne nur zu erahnen - es herrscht eine wunderbar friedliche, mystische Stimmung, und wir sind sofort wieder mit Indien versöhnt. Der Taj Mahal - «eine Träne auf dem Antlitz der Ewigkeit» - wurde im 17. Jhd vom Grossmogul Shah Jahan errichtet als Grabstätte seiner Frau Mumtaz Mahal, die bei der Geburt ihres 14. Kindes verstarb. 10'000 Personen besuchen diesen Ort täglich, und gefühlt so oft posieren wir für Selfies. Es ist uns immer noch rätselhaft, warum die Leute so versessen sind auf ein Foto mit wildfremden Menschen.

Wir verbringen einen Pausentag auf dem Balkon im Homestay – zum allerersten Mal auf der Reise haben wir Magen-Darm-Probleme. Danach geht es weiter nach Jaipur, das seiner lachsfarbenen Fassaden wegen den Übernamen «Pink City» trägt. Auch diese Stadt ist vollgespickt mit historischen Gebäuden, die wir getreulich alle abklappern. Langsam stellt sich allerdings eine gewisse Sigtseeing-Sättigung ein, auch der ohrenbetäubende Lärm setzt uns zu, wie auch die dauernden dringlichen «Anfragen» der Händlerinnen und Ladenbesitzer, Guides, Englisch-Übenden, Selfie-Jägerinnen und Autoriksha-Fahrer (wir wollen einmal zählen, wie oft wir an einem Tag angesprochen werden - bei 30 hören wir auf zu zählen. Das ist noch vor dem Mittagessen). Wir haben das Bedürfnis, dem Rummel zu entliehen.

So fahren wir nach Pushkar, einem kleinen Städtchen mit einem heiligen See, wo hinduistische Pilgernde sich wie im Ganges in Ritualbädern von schlechtem Karma reinwaschen. Wir verbringen zwei gemütliche Tage mit Spaziergängen, am-See-sitzen-und-Leute-beobachten und lesen, und belegen einen Kochkurs, wo wir ein leckeres Mittagessen zubereiten. Unsere Lehrerin stammt aus einem kleinen Dorf ausserhalb von Pushkar und bringt von dort auch eine Vielzahl an Päckchen mit Gewürzen zum Verkauf mit. Sie kann so etwas Geld verdienen, was in ländlichen Gebieten für Frauen immer noch schwierig ist. Meena, Managerin unseres Homestays, erzählt uns, dass sie selbst von ihrem Mann verlassen wurde, weil sie ihm «nur» eine Tochter geboren hatte. Frauen werden generell kaum angestellt, und so sind alleinstehende Frauen auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen und werden oft als Magd behandelt. Ihr Vater, der das Hotel gegründet habe, sei jedoch sehr fortschrittlich gewesen und habe das Hotel ausdrücklich ihr und ihrem Bruder gemeinsam vererbt. So hat sie nun nicht nur ein Auskommen, sie unterstützt auch andere Frauen, indem sie sie im Hotel Koch-, Ajurveda- und Yogakurse anbieten lässt.

Wir wollten eigentlich durch ganz Indien bis hinunter nach Kerala im Süden reisen, doch ein Blick auf die Karte zeigt, dass wir immer noch ziemlich hoch im Norden stecken. Es gibt noch so viel zu sehen und zu entdecken, und die Zeit wird schon langsam knapp. Aber genau diese Freiheit, zu tun was uns beliebt, keine vorgegebenen Pläne erfüllen zu müssen und einfach vorwegzuschauen, ist Teil des Reizes dieser Auszeit. So machen wir uns keine Gedanken – wir reisen einfach, soweit es reicht, für den Rest kommen wir eben ein andermal wieder. Weihnachten steht vor der Tür, wir merken nichts davon, und es ist uns merkwürdigerweise ziemlich egal. Dennoch wünschen wir euch allen frohe Weihnachtstage und einen guten Jahreswechsel! Ihr hört bald wieder von uns.


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