von einer Stadt zur andern


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Asia » India » Goa
January 10th 2024
Published: January 10th 2024
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22.12.23 – 10.1.24

Im letzten Blogeintrag haben wir den Text zu Jaipur unterschlagen: zwischen Agra und Pushkar liegt die «Pink City», so genannt wegen der lachsfarbenen Fassaden in der Innenstadt. Verwinkelte Gassen, laubenartige Märkte, Tempel und Paläste gibt es zu erkunden, und natürlich das majestätische Amber Fort etwas ausserhalb der Stadt. Beim Lunch im Restaurant nebenan werden wir Zeugen eines Bollywood-Drehs, respektive der x-fachen Aufnahme einer einzigen Szene, in der sich ein Paar fetzt, was das Zeug hält. Äusserst amüsant.

Auch Jodhpur ziert ein grosses Fort auf einem Hügel, inklusive beliebtem «Sunset-Spot», wo man allerdings vor lauter Fotografierenden die Sonne kaum mehr sieht. Einmal mehr sind wir beeindruckt von der prächtigen Architektur und den prunkvollen Innenräumen der ausladenden Palastanlagen. Ein weiterer Höhepunkt ist der Ausflug in die Umgebung der Stadt, in die Bishnoi-Dörfer. Dort lebt seit 500 Jahren eine Bevölkerungsgruppe, die einer hinduistischen Sekte angehört, die sich ganz dem Schutz von Tieren und Pflanzen verschrieben hat. Berühmt ist ein Ereignis im 18.Jhd, als sich mehr als 300 Personen geopfert haben, um die Rodung einiger alter Bäume zu verhindern. Die Bäume stehen heute noch. Weil auch die Arbeit in der Landwirtschaft das aktive «Töten» von Pflanzen beinhaltet, leben die Leute seit jeher von Kunsthandwerken wie Töpfern, Weben und Stoff-Färben. Wir besichtigen verschiedene Werkstätten und dürfen auch selbst Hand anlegen. Ein älterer Herr führt uns zudem ein Ritual vor, wo ein opiumhaltiges Getränk hergestellt wird. Ein Teil davon wird den Göttern geopfert, ein Teil wird konsumiert (wir verzichten dankend).

Weihnachten verbringen wir in Udaipur, der «weissen Stadt am See». Wir haben Mühe eine Unterkunft zu finden, indische Touristen fluten die Stadt, die Ferienzeit über Weihnachten und Neujahr ist ein Überbleibsel der britischen Herrschaft. Von Weihnachten merkt man allerdings nicht viel, und es herrscht Partylärm bis weit in die Nacht hinein (unsere Lärmtoleranz ist zum Glück mittlerweile recht hoch). Tagsüber schleusen wir uns in die Reihen der Palastbesichtigenden und Bootfahrenden, das Beobachten der vielen Leute rund herum hat immer auch seinen Reiz. Der Besuch einer Tanz-, Musik- und Marionettenvorführung begeistert uns, die künstlerischen Darbietungen sind zirkusreif und voller Poesie.

In Ahmedabad verbringen wir einen ganzen Tag im Gandhi-Museum. In seinem Ashram am Fluss, eingebettet zwischen Gefängnis und Friedhof (was Gandhi selbstironisch als idealen Standort bezeichnete, da seine Anhänger zwangsläufig im einen oder anderen Ort enden würden) lernen wir viel Interessantes und Inspirierendes über Leben und Wirken dieses Staatsmannes, Philosophen, Asketen und Gurus. Wir kommen zur ernüchternden Erkenntnis, dass ausgenommen der Unabhängigkeit keines seiner Anliegen (Abschaffung der Kaste der Unberührbaren, Frauenrechte, Umweltschutz, Bildung und medizinische Versorgung für alle, Gleichheit der Religionen) bisher umgesetzt wurden, und es sind auch keine nennenswerten Bestrebungen zur Erreichung dieser Ziele im Gang.

Aurangabad ist Ausgangspunkt zu zwei Unesco Weltkulturstätten, es gibt dort eine Reihe an Tempeln zu besichtigen, die aus dem Fels gehauen wurden. Es ist kaum vorstellbar, wie hunderte von Tonnen an Fels mit Hammer und Meissel entfernt wurden, um riesige Kammern, Türme und Statuen zu gestalten. In Ajanta werden die Tempel auf 200v.Chr bis 600n.Chr. datiert und dem Buddhismus zugeordnet, die Grösse der Anlagen und die Kunstfertigkeit sind ungemein imposant. In Ellora stehen buddhistische, hindhuistische und Jain-Tempel aus dem 7. bis 15. Jhd alle auf demselben Gelände, sie wurden auch gleichzeitig genutzt. Im Reiseführer steht, man solle Wochenenden und Ferienzeiten vermeiden – heute ist beides…

Eine lange Busfahrt bringt uns nach Nashik. Die Felder in dieser Gegend leuchten in sattem Dunkelbraun anstelle der sonst vorherrschenden Rot- und Ockertöne. Es wird denn auch kein Reis angepflanzt, sondern Getreide, Mais, Baumwolle und – Reben. Nashik ist die Weinhochburg Indiens. Der Alkoholkonsum findet in Indien eher im Versteckten statt, vielen ist er ein Dorn im Auge, in einigen Staaten gilt sogar die Prohibition. Die jüngere Generation trinkt aber gerne Bier, und auch harte Getränke, allen voran Whisky. Doch der Wein holt auf, Quantität und Qualität der Produktion wird von Jahr zu Jahr gesteigert. Das wollen wir uns ansehen und besuchen zwei Weingüter. Wir werden herumgeführt – der Prozess von der Traube zur Flasche ist derselbe wie überall - und degustieren diverse Weiss-, Rot- und Dessertweine. Unser erster Wein seit vier Monaten, er mundet uns immer noch.

Mumbai: mit gemischten Gefühlen erkunden wir diese Mega-Stadt und werden positiv überrascht. Wunderbare, gut erhaltene Gebäude aus der Kolonialzeit, viel Grün, trotz der massiven Verkehrsüberlastung ein funktionierendes Transportwesen, moderne Infrastrukturen und dennoch viel indischer Charme, so erleben wir diese Metropole. Die Stadt ist zurzeit eine einzige grosse Baustelle, da die Metro ausgebaut wird (die bestehenden drei Linien sollen in den nächsten zwei Jahren mit neun weiteren ergänzt werden), aber noch so gelingt es uns, binnen nützlicher Frist alle nennenswerten Sehenswürdigkeiten abzuklappern.

Und so bleibt noch ein letztes Ziel: Goa, 700km oder neun Stunden Zugfahrt südlich von Mumbai. Geprägt von 400 Jahren portugiesischer Herrschaft, mit traumhaften tropischen Sandstränden. Der Hippie-Geheimtipp der Siebziger hat sich zur Feriendestination für alle Geschmäcker und Budgets entwickelt, zu unserer Freude ganz ohne fette Resorts. Lange Strandspaziergänge, Sonnenbad und (kaum) Abkühlung in den Wellen des Arabischen Meeres, gemütliche Beizen mit feinen Meeresfrüchten im Angebot – wir geniessen ein paar Tage dolce far niente. Das Reisen hat ein Ende, jetzt machen wir Ferien.

Bald reisen wir noch an unsere letzte Destination und treffen auf den Malediven unsere Kinder. Gemeinsam werden wir die letzten zwei Wochen unseres Urlaubs verbringen, wir freuen uns bereits ungemein auf das Wiedersehen. Wir melden uns von dort nochmals.



Es bleibt noch Fazit zu ziehen aus unserer Zeit in Indien.

Was wir besonders ins Herz geschlossen haben:

Die Frauen. Egal ob im Sari oder Salwar Kameez (Hose/Bluse/Schal-Ensemble), die Frauen sind immer eine Augenweide. Mit ihrem stolzen, aufrechten Gang, antrainiert von Kind an durch das Tragen von Körben, Bündeln und Töpfen auf dem Kopf, bewegen sie sich mit einer Grazie, von der wir Westlerinnen nur träumen können. Die Kleidung - egal ob aus Seide, mit Metallfäden durchwirkt und mit BlingBling verziert oder aus einfacher Baumwolle - wirkt stets anmutig, und der Schal, dezent über den Kopf drapiert oder elegant um die Schultern geworfen, sieht chic aus und ist praktisch zugleich (er dient oft auch als Serviette, Nastuch oder Sitzunterlage). Und der Schmuck erst! Von der Haarspange, dem Ohren- und Nasenschmuck zu den Halsketten, Armreifen und Fingerringen bis hinunter zu den Fusskettchen, es glänzt und glitzert prachtvoll.

Das Essen. Die Vielfalt an Gerichten ist einfach unvergleichlich. Wir haben Früchte-, Gemüse-, Getreide- und Bohnensorten gekostet, von deren Existenz wir bisher nichts geahnt haben. Die Gewürzpalette ist riesig und wird gekonnt gemischt und kombiniert. Jede Region hat ihre eigenen Spezialitäten, es gibt immer wieder etwas Neues auszuprobieren. Wir haben ganz selten einmal Huhn bestellt, oder in an Gewässern gelegenen Orten lokalen Fisch, ansonsten haben wir uns ausschliesslich vegetarisch ernährt, und nichts vermisst. Der Chili jagt uns zwar manchmal immer noch die Tränen in die Augen, aber unsere Schärfe-Toleranz ist ziemlich gestiegen. Auch Kartoffel-Brot-Fladen mit Curry zum Frühstück stören uns mittlerweile nicht mehr (obwohl wir ein Müesli mit Früchten oder Omelette mit Toast immer noch vorziehen, wenn erhältlich ;-).

Die Vielfalt. Landschaft, Vegetation, Fauna, Menschentypen, Kultur, Folklore, Sprache, Architektur - es gibt nicht DAS Indien. Dies macht das Reisen spannend und abwechslungsreich, wir hatten nie das Gefühl, wir hätten nun alles gesehen.

Woran wir uns gewöhnt haben:

Tee trinken. Falls überhaupt Kaffee angeboten wird, ist es meist eine unsägliche Instant-Mischung aus Milchpulver, Zucker und ein paar Körnchen Kaffee. Können wir ein «black coffee» bestellen, ist er in der Regel so dünn, dass man ebenfalls kaum Kaffee-Aroma erkennen kann. Den Chai Masala (Gewürztee) hingegen gibt es immer und überall zu kaufen, meist in kleinen Pappbechern, in ländlichen Gebieten oft auch in ungebrannten Tonbechern (die sich dann am Strassenrand im nächsten Monsun einfach wieder auflösen) oder in Gläsern direkt am Stand. Er besteht aus Schwarztee und Milch, gemischt mit Gewürzen wie Zimt und Kardamom und wird immer heiss und süss serviert. Die Zubereitung ist eine Kunst, da wird gerührt und umgeschüttet, gesiebt und gemischt in einem Tempo, dass einem beim Zuschauen fast schwindlig wird.

Kalt duschen. Warmwasser ist Glückssache, auch in besseren Hotels. Mal gibt es gar keines, mal nur am Nachmittag oder meist nur am Morgen. So sind wir denn notgedrungen zu unerschrockenen Kaltduschern geworden.

Die Kontaktfreude. Zwar erklären wir manchmal bis zum Überdruss woher und wohin, und manchmal möchten wir lieber in Ruhe gelassen werden. Doch dieses Interesse an uns Fremden, die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, der wir täglich begegnen, ist berührend und bewundernswert.

Bus fahren. Wir ziehen zwar immer noch den Zug vor, aber Busreisen haben doch auch ihren eigenen Reiz. Man kann die Leute noch besser beobachten und kriegt so einiges mit von den Sitten und Bräuchen dieses Landes. Da ist zum Beispiel die Solidarität unter Reisenden: die Busse sind meist heillos überfüllt, stehen muss trotzdem fast nie jemand. Kinder und unverstaubare Gepäckstücke werden auf fremde Knie verteilt, es wird zusammengerutscht, bis alle zumindest mit einer Pobacke irgendwo Platz finden, sonst setzt man sich auf den Boden. Essen und Wasser wird geteilt, fürs Nickerchen lehnt man sich an die Schulter der Person nebenan. Es wird geschwatzt und gelacht, wir staunen immer wieder über den freundlichen Umgang der Leute miteinander. Ganz selten werden wir Zeugen einer Auseinandersetzung (ausschliesslich unter Männern), mit aggressivem und lautem Schimpfen und Gestikulieren. Aber da sind dann alle rundherum schockiert, stehen auf und starren die Übeltäter an, und es wird sofort geschlichtet. Für Überraschungen sorgt immer wieder die Lüftung: meist gibt es keine und Temperaturanpassungen geschehen durch die Regulation des Durchzugs, mal ist sie kaputt und es wird unangenehm heiss, mal ist sie kaputt und es wird unangenehm kalt, mal fehlt die Windschutzscheibe und das ist dann ganz blöd. Es ist wie es ist, man nimmt es hin, es beklagt sich nie jemand.

Was uns immer noch Mühe macht:

Der Müll. Jegliche Abfälle werden achtlos zu Boden geworfen. Es besteht nicht das geringste Bewusstsein für ökologische, hygienische und ästhetische Auswirkungen von Littering. Wir sahen Gassen und ganze Felder, wo Müll deponiert wird und liegenbleibt, bevölkert von Hunden, Kühen und Ratten. In den Städten wird zwar immer frühmorgens gewischt, es brennen dann überall kleine Abfallfeuerchen, an denen Obdachlose sich die Füsse wärmen. Im Laufe des Tages wird dann aber wieder alles am Boden entsorgt, egal ob Essensreste, Plastikflaschen oder Snackverpackungen. Sogenannte «Ragpickers» durchwühlen die grösseren Haufen auf der Suche nach Verwertbarem. Auch Kehrrichtabfuhr-Wagen gibt es, sie fahren langsam durch die Strassen, mit laut dröhnender Musik, die Leute laufen dann aus ihren Häusern und bringen ihren Unrat. Was dann damit geschieht wissen wir nicht, wir haben nie etwas gesehen, das wir als Abfallverbrennungsanlage erkannt hätten.

Die Slums. An den Rändern eines jeden grösseren Ortes, entlang grosser Strassen und rund um Bahnhöfe stehen die Behausungen der Ärmsten. Sie sind zusammengebastelt aus Stofffetzen, Pappe und Plastikplanen, eng und schmutzig und ohne die geringsten sanitären Anlagen. Wir haben uns sagen lassen, dass dies zu Karma und Kastenwesen gehöre, die Betroffenen ihr Schicksal als gottgegeben anerkennen und akzeptieren. Der Anblick der mageren Männer, verhärmten Frauen und zerzausten Kinder, der Alten und Verstümmelten beelendet uns dennoch. Wie kann es sein, dass solches Elend Tür an Tür mit «Normalität», mit Konsum und Reichtum existiert und nichts dagegen unternommen wird?!

Das Vordrängeln. Egal ob im Strassenverkehr, beim Einsteigen in den Bus oder Anstehen an der Kasse, dieser skrupellose Drang sich vor die anderen zu quetschen ist uns immer noch ein Rätsel. Es passt einfach irgendwie auch nicht ins Bild, das wir sonst von den Leuten erhalten haben - vielleicht ist es Dichtestress, der zu diesem Verhalten führt.

Alles in allem aber haben wir unsere Wahl der Reiseziele nie bereut. Alle drei Destinationen, Indien, Nepal und Tibet, hatten ihren Reiz und wir haben erneut viel über fremde Kulturen und auch über uns selbst gelernt. Wir sind unendlich dankbar, dass diese Auszeit möglich war.


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