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Published: September 7th 2009
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Urumqi, 6. August 2009
Am Abend setze ich mich an einer zentralen Kreuzung in Jiayuguan auf einer Terrasse mit Plastikstuehlen nieder und trinke ein Bier. Ein Junge schaut neugierig auf meinen Reisefuehrer: “ Can I be your friend?” Huangli redet ein gebrochenes Englisch. Die jungen Chinesen lesen und schreiben oft besser Englisch, als dass sie die Sprache reden koennen. Wir verstaendigen uns indem wir Saetze auf ein Blatt Papier schreiben. Er moechte mich zu sich nach Hause zum Essen einladen. Ich habe an diesem Abend aber eher Lust alleine zu sein. Anderseits habe ich noch nicht zu Abend gegessen. Nach einem zweiten Bier willige ich schliesslich ein. Von der Hauptstrasse biegen wir in einen staubigen Hof ein, der von einstoeckigen Backsteinhaeusern umgeben ist. Sein Zuhause hat nur ein Zimmer von der Groesse eines schweizer Kinderzimmers. Darin kochen, essen und schlafen drei Personen. Huangli serviert mir Nudelsuppe und Gurkensalat. Das Essen schmeckt gut. Auf der einen Seite des Raumes steht ein kleiner buddhistischer Altar, auf der anderen eine alte Stereoanlage und ein Fernseher. An den durch den Russ der Kueche geschwaerzten Waenden haengen zwei Karten, eine Chinas und eine andere der Provinz Gansu. Wie viele Chinesen enden die geographischen Kenntnisse von
Huangli und seinen Eltern an der chinesischen Landesgrenze. Sie haben keine Ahnung wo Europa, Amerika geschweige denn die Schweiz liegen. Am naechsten Tag bringe ich ihnen eine Weltkarte vorbei.
In einem muffigen Bus fahre ich von Jiayuguan weiter in die Wueste. Die Vegetation verschwindet fast vollstaendig. Sie wird von einer ganzen Reihe Windkraftwerken ersetzt, die entlang der modernen Autobahn installiert wurden. Die Berge noerdlich des Hexi-Korridors laufen in die Taklamakan Wueste aus und ich erreiche die Oasenstadt Dunhuang. Frueher verzweigte sich hier die Seidenstrasse in einen suedlichen und noerdlichen Zweig. Beide umringten die Taklamakan Wueste indem sie von Oasenstadt zu Oasenstadt fuehrten. Heute ist der Ort vor allem fuer seine riesigen Sandduenen und die buddhistischen Hoehlenmalereien in den Mogao Grotten bekannt. Fasziniert wandere ich am Abend barfuss durch den heissen Sand auf die hoechste Duene hinauf. Dahinter erstreckt sich ueber dutzende von Kilometern eine huegelige Sandlandschaft, von der untergehenden Sonne in rotes Licht getaucht. Der Blick auf die Oase Dunhuangs ruft mir in Erinnerung wie wichtig Wasser sein kann. Wie alle Siedlungen am suedlichen Rand der Taklamakan Wueste lebt Dunhuang vom Gletscherwasser, das vom tibetischen Hochland herunterfliesst. Wo sonst nur Sand und Steine sind, verwandelt es die Wueste in
eine gruene Insel. Es sind diese Oasen, die eine Verbindung zwischen China und Zentralasien ueber den Taklamakan ermoeglichten und die Seide in den Westen brachten.
Meine Reise verlaeuft weiter der noerdlichen Route der Seidenstrasse folgend in die Xinjiang Provinz. Hier verliere ich fuer rund zwei Wochen den Kontakt zur Aussenwelt. Nach den Unruhen vom 5. Juli in Urumqi hat Peking den Zugang zum Internet und den Versand von SMS blockiert. Internationale Telefongespraeche sind ebenfalls nicht moeglich. Die Isolation der Provinz mit ihren ueber acht Millionen Uiguren, wird mindestens bis am 1. Oktober 2009 bestehen bleiben. Dann moechte die Volksrepublik naehmlich in aller erzwungener Harmonie ihr 60 jaehriges Bestehen feiern.
Am Bahnhof von Urumqi empfangen Polizisten in Kampfmontur die Reisenden und fordern sie aus unerklaerlichen Gruenden auf, schnell das Bahnhofsgebaeude zu verlassen. Draussen warten Verwandte und Bekannte auf die Fahrgaeste. Der Platz vor dem Bahnhofsgebaeude wird von der Polizei kontrolliert. Wer ein Billet kaufen moechte wird am ganzen Koerper abgetastet und muss seinen Ausweis zeigen. An einer Ecke sind bewaffnete Soldaten postiert. Die Laeden haben aber wieder geoeffnet und die Menschen scheinen ihren alltaeglichen Geschaeften nachzugehen. Muede von der Reise begebe ich mich in eine von Chinesen gefuehrte Jugendherberge
und hole etwas Schlaf nach.
Um mein Visum zu verlaengern, begebe ich mich nach Turpan, zurueck in die Taklamakan Wueste. Der Ort liegt unter dem Meeresniveau und ist einer der heissesten Orte in der Xinjiang Provinz. Dort begegne ich den Uiguren. Ihre Gesichter unterscheiden sich deutlich von den Chinesen. Man erkennt gut ihre tuerkische Herkunft. Das Brot und Weizennudeln loesen nun den Reis als Grundnarungsmittel ab. Mit den fuer Zentralasien typischen runden Oefen backen die Uiguren ein rundes, flaches Brot, das den Europaeer an einen Pizzaboden erinnert.
Zurueck in Urumqi stosse ich nicht zum ersten Mal auf meiner Reise auf Taiwanesen. Obwohl sie den Grossteil ihrer Sprache und Kultur mit den Chinesen teilen distanzieren sie sich immer bewusst von den Einwohnern des Festlands. Sie sind stolz die originale Chinesische Schrift zu beherrschen und nicht nur die vereinfachte, neue Version, die in der Volksrepublik geschrieben wird. Wan-Ling, die sich in derselben Jugendherberge aufhaelt, sagt, sie habe viel Zeit in China verbracht und hier mehrere Reisen unternommen. Dies sei nun aber definitive das letzte Mal gewesen. Sie mag die Chinesen nicht. Sie berichtet von den Schikanen durch Beamte und die Kommentare der Menschen, die die staatliche Propaganda wiedergeben: “Jedes Mal
wenn ich sage, ich komme aus Taiwan, antworten sie mir, Taiwan sei ein integraler Bestandteil des chinesischen Territorium.” Taiwan muss auf jeden Fall unabhaenig bleiben meint sie. Es nervt sie, dass die Leute hier nicht diszipliniert in einer Reihe warten koennen und staendig auf den Boden spucken. Sie wollte von Urumqi in den Iran fliegen. Die chinesischen Immigrationsbeamten verweigerten ihr aber die Ausreise, da sie kein iranisches Visa hatte, nur eine Bestaetigung, ein solches beim Flughafen in Teheran problemslos bekommen zu koennen. Im Sueden Xinjiangs wurde sie von drei uigurischen Frauen zur Uebernachtung in deren Haus eingeladen. Die lokale chinesische Polizei verbot ihr aber dort zu schlafen und sie musste ein Zimmer in einem von Han Chinesen gefuehrten Hotel nehmen.
Wenn ich mit jungen Han Chinesen ueber Politik spreche, bin ich oft erstaunt, wie fest diese der staatlichen Propaganda glauben. Die von den westlichen Fernsehkanaelen gezeigten Bilder von umgebrachten Menschen in Tibet im vergangenen Jahr, seien in Tat und Wahrheit Bilder eines Verkehrsunfalls gewesen, meint ein junger Architekturstudent, der gut Englisch spricht und die ETH Zuerich kennt. Die Kommunistische Partei behauptet dasselbe. Er findet es unverschaemt, dass die Menschen in England es wagen, waehrend einem oeffentlichen Auftritt Hu Jintaos,
einen Schuh in Richtung Rednerpult zu werfen. Ich versuche ihm zusammen mit einem Briten zu erklaeren, dass sich dieser Akt gegen die chinesische Regierung und nicht gegen das chinesische Volk richtet.
Beim Versuch herauszufinden was genau an jenem 5. Juli und den Tagen danach in Urumqi geschah, gehen die Berichte, Zahlen und Spekulationen in alle Richtungen. Die Regierung sagt ca. 200 Menschen, in erster Linie Han Chinesen, seien bei den Unruhen ums Leben gekommen. Ein junger Uigure in Turpan meint, unter seinen Leuten werde von ueber 1000 Toten und zehntausenden von Verhafteten gesprochen. Die offiziellen chinesischen Medien berichteten, Geruechte ueber eine angebliche Vergewaltigung von chinesischen Maedchen durch Uiguren in Shaoguan, im Sueden des Landes, haetten zum Tot von zwei Uiguren und zu den Protesten in Urumqi gefuehrt. Eine uiguirsche Aerztin bahuptet dies sei falsch. Die chinesische Regierung habe die Wahrheit komplett verdreht. Zwei uigurische Maedchen seien von Han Chinesen vergewaltigt worden. Darauf seien bei Unruhen in Shaoguan ueber 50 Uiguren umgekommen. Die Proteste in Urumqi seien zuerst eine friedliche Reaktion auf diese Gewalt gewesen, bis die Soldaten das Feuer eroeffneten. Angestellte der Jugendherberge berichten von Menschen, die auf den Strassen Urumqis mit Messern aufeinander losgingen. Aus all den Berichten,
scheint es nicht moeglich zu rekonstruieren, was tatsaechlich geschah. Die Unruhen scheinen aber tatsaechlich sehr schwer gewesen zu sein. Sie waren allerdings laengst nicht die ersten und die bevorstehende Zerstoerung der Altstadt Kashgars birgt alleine schon genuegend Zuendstoff fuer weitere Gewalt. Peking zeigt weiterhin wenig Fingerspitzengefuehl im Umgang mit der uigurischen Bevoelkerung. Aus Angst vor Unabhaengigkeitsbestrebungen dieser oelreichen Region greift die Kommunistische Partei wie oft in der Vergangenheit auf die Sprache der Gewalt zurueck. Begruendet wird dies mit dem Kampf gegen Extremisten und Terroristen. Dabei stellt sich die Frage, ob Chinas ruecksichtslose Politik im Xinjiang nicht genau den fruchtbaren Boden fuer extremistisches Gedankengut schafft, vor dem es so Angst zu haben scheint.
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