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Published: September 26th 2009
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Odessa, 26. September 2009
Als ich Anfang September mit dem Zug von Atyrau weiter zur russischen Grenze fahre, hat sich landschaftlich wenig veraendert. Auch im europaeischen Teil Kasachstans erblickt man vom Zugfenster aus weit und breit nur die flache, braune Steppe. Auf einem kurzen Abschnitt entdecke ich sogar Sandduenen. Mir war gar nicht bewusst, dass wir in Europa eine Sandwueste haben. Gegen Abend erreicht der Zug die Grenze zu Russland. Von dort aus durchquere ich das Land, woertlich, in einem Zug. Mein Transitvisum laesst mir leider nicht die Moeglichkeit Volgograd und andere interessante Orte zwischen der kasachischen und ukrainischen Grenze zu besichtigen. Auf der Fahrt ueberqueren wir die grossen Stroeme Wolga und Don. Als ich am naechsten Morgen aus dem Fenster blicke, sehe ich zum ersten Mal seit langem Baeume in der Landschaft. Es folgen Waelder, kleine Huegel und Taeler. Die Farben des Herbsts haben schon Einzug gehalten. Nun gleicht auch die Natur immer mehr jener Europas.
Nach zwei langen Tagen im Zug erreiche ich Donezk im Osten der Ukraine. Die Stadt ist sehr russisch gepraegt. Dies gilt auch fuer den groessten Teil des Ostens der Ukraine. Jedermann spricht Russisch und nicht wenige wuerden diese Region lieber in Russland
sehen als in der Ukraine. Dies umso mehr seit Wiktor Juschtschenko in Kiev an der Macht ist. Donezk ist die Hochburg seines Gegners, Wiktor Janukowytsch. Donezk ist ebenfalls die Heimat des reichsten Mann der Ukraine, dem Oligarchen Rinat Achmetow. Die Stadt verdankt ihm ihr brandneues Fussballstadion, die Donbass Arena, in dem in Zukunft Spiele der Fussball Europameisterschaft 2012 ausgetragen werden duerften.
Nach den tausenden von Kilometern im Zug durch China und Kasachstan moechte ich Donezk zur Abwechslung auf der Strasse verlassen. Per Anhalter versuche ich die Schwarzmeerkueste zu erreichen. Dabei wird mir bewusst, dass auch die Ukraine keineswegs nur von Russen und Ukrainer bewohnt wird. Ein Krankenwagenfahrer armenischer Abstammung nimmt mich von Donezk bis nach Maripol am Asowschen Meer mit. Dort hilft mir ein Polizist mit griechischen und russischen Wurzeln, der gerade nicht im Dienst ist, einige Kilometer weiter. Von hier aus darf ich zusammen mit einem anderen jungen Anhalter aus Russland im gelben Dienstwagen eines Brieftraegers der ukrainischen Post Platz nehmen. Mein Anhalter Kollege ist auch auf dem Weg auf die Krim, an ein Hare Krishna Festival. Als naechstes haben wir viel Glueck. Ein moderner goldenfarbener Chevrolet nimmt uns mit. Der Fahrer ist auf dem Weg nach Simferopol,
der Hauptstadt der Krim. Zusammen fahren wir dem Schwarzen Meer entgegen waehrend sein Radarwarngeraet ihn in regelmaessigen Abstaenden vor den Radarfallen warnt, die die Polizei entlang der viel befahrenen Landstrasse aufgestellt hat. Die Fahrt fuehrt an riesigen Aeckern vorbei, auf denen gerade die Sonnenblumen geerntet werden oder die Ernte schon eingeholt wurde. Beim Eindunkeln lassen mich die beiden in Dschankoj, wo ich in der modernen Herberge im Bahnhof uebernachte. Am naechsten Tag versuche ich auf diese Weise weiter bis nach Feodosia zu reisen, aber die ganze Sache gestaltet sich nicht mehr so einfach wie am Vortag. Nach 50 Kilometern stecke ich fest und die teuren Wagen der russischen Touristen moegen nicht extra fuer mich anhalten. Nach einer Weile habe ich es satt und ich begebe mich zu Fuss zum 4km entfernten Bahnhof. Dort nehme ich gerne wieder in einem der aelteren Bahnwagen aus der Sowjetzeit Platz.
Feodosia existierte schon zur Zeit der antiken Griechen. Im Mittelalter war die Stadt ein grosser Umschlagplatz fuer Sklaven. Sogar die Genuer herrschten eine Zeit lang ueber diesen Ort am oestlichen Ende des Krimgebirges und errichteten eine Festung, dessen Ruinen noch besichtigt werden koennen. Heute ist es eine der beliebten Feriendestination fuer die Touristen
aus Russland und der Ukraine. Ich treffe aber auch mehr und mehr auf Reisende aus Deutschland, Polen und Italien.
Von hier aus reise ich ueber Koktebel und Sudak nach Yalta. Nach den Wochen in der Wueste Chinas und der Steppe Kasachstans geniesse ich das Blau des Meeres, die gegen Westen immer steiler ansteigenden Berge und die noch warmen Sonnenstrahlen des Septembers. Die Saison geht hier fuer die Tourismusindustrie langsam zu Ende, obwohl die Promenaden entlang den Straenden immernoch voller Verkaufsstaenden und tosend lauten Attraktionen sind.
In Yalta besichtige ich den Livadia Palast, in dem Stalin 1945 Churchill und Roosevelt zur Yalta Konferenz empfing, und erinnere mich an meine Geschichtsvorlesungen im dunkeln Saal des Uni Dufour Gebaeudes in Genf. Der Palast wurde Anfang 20. Jahrhunderts fuer die Zarenfamilie erbaut, die wie andere russische Aristokraten an die Schwarzmeerkueste kamen, um ihre Tuberkulose zu heilen. Im Gegensatz zu ihnen scheint der Ort meiner Gesundheit nicht wohl gesinnt zu sein, denn ich hole mir eine Erkaeltung ein.
Mit dem Boot reise ich weiter den imposanten Klippen des Krimgebirges entlang nach Balaklava. Das Dorf liegt in einer Bucht umgeben von steilen Klippen und wurde schon in Homers Odyssee erwaehnt. Waehrend der Zeit
der Sowjetunion hat die Marine hier eine mit Meerwasser gefuellte Hoehle im Fels zu einer geheimen unterirdischen U-Bootswerkstatt ausgebaut, die bis 1996 weiter funktionierte. Heute ist der Ort ein Museum. Etwas weiter noerdlich stosse ich in Sewastopol auf ein weiteres Erbe Russlands. In der grossen Bucht liegt die imposante russische Schwarzmeerflotte. Wenn es nach dem Willen der ukrainischen Regierung in Kiev geht muss diese nach 2017 den Hafen verlassen. Die Bevoelkerung Sewastopols bedauert aber den Wegzug, da die Stadt dadurch an Bedeutung verliert. Seit die Krim im spaeten 18. Jahrhundert an Russland ging, hat die Flotte das Leben hier beeinflusst. Russische Fahnen zeigen ueberall in der Stadt die Loyalitaet der Bevoelkerung zu Russland und die Strassen sind voll von Matrosen. Im Krimkrieg wurde Sewastopol zwischen 1854 und 1855 ueber 350 Tage lang von franzoesischen und englischen Truppen belagert. Ein eindrueckliches Rundbild von 1904 zeigt die Brutalitaet des damaligen Krieges, der fast die ganze Stadt zerstoerte. Das ganze wiederholte sich im Zweiten Weltkrieg, als die Stadt 250 Tage lang von Nazideutschland belagert wurde.
Fuer einen Moment ueberlege ich mir hier die Faehre nach Istanbul zu nehmen, die einmal in der Woche die Ukraine mit der Turkei ueber das Schwarze Meer
verbindet. Dann beschliesse ich aber dem Bosporus ein ander Mal einen Besuch abzustatten und die Krim wieder auf dem Landweg zu verlassen. Vor meiner Abfahrt lege ich einen kurzen Halt in Bachtschyssaraj ein. Von der ehemaligen Hauptstadt des Khanats der Krim sind nur noch Teile deren Palasts uebriggeblieben. Diese konstituieren heute das am besten erhaltene Bauwerk aus der Herrschaft der islamischen Krimtataren. Gut 300 Jahre regierten sie die suedlichen Gebiete der Halbinsel, wenn auch zum groessten Teil als autonome Region des osmanischen Reichs. Dann setzte Katharina die Grosse ihrer Herrschaft ein Ende. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Krimtataren eine der Voelker, die wie die Koreaner die Deportationspolitik von Stalin erfahren mussten. Sie wurden nach Zentralasien geschickt. Heute kommen viele von ihnen zurueck und konstituieren auch schon wieder zwoelf Prozent der Bevoelkerung der Krim. Aus rechtlicher Sicht wird ihnen aber immer noch nicht ein Bleiberecht auf der Halbinsel anerkannt und es kam in Vergangenheit auch immer wieder zu Ausschreitungen mit der slawischen Bevoelkerung.
Mit dem Zug reise ich ueber Simferopol zurueck auf das Festland und erreiche in einer Nacht die Hafenstadt Odessa. Mit ihren schoenen Fassaden aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts und den gruenen Boulevards erinnert sie mich
im ersten Augenblick an Paris. 1925 filmte Sergei Eisenstein den Film "Panzerkreuzer Potemkin" auf der langen Treppe, die von der Innenstadt zum Hafen hinunter fuehrt und seither "Potemkinsche Treppe" genannt wird. Zum ersten Mal seit langer Zeit uebernachte ich wieder in einer Jugendherberge und bin froh, nach all den Tagen, die ich mit Russen verbracht und mit der Sprachbarriere gekaempft habe, auf Reisende aus Westeuropa zu treffen. Langsam erhole ich mich hier von meiner Erkaeltung und geniesse die letzten warmen Sonnenstrahlen am Schwarzen Meer. Dieses werde ich nun bald verlassen muessen und damit wird wohl auch das warme Wetter ein Ende nehmen.
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