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Published: September 27th 2012
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Mancher hat vielleicht gedacht, er sei mich los – auf den Ausbruch der großen Bloghyperaktivität folgt die große Stille. Weit gefehlt! Live and kicking melde ich mich von der Front in La Paz.
Wie ich hier letztendlich gelandet bin? Long story. Um der Historiker willen beginnt sie in einem stickigen Bus nach Cusco. Nach einem reichhaltigen Frühstück am Straßenrand aus pan con queso und einem plasmaartigen Getränk, das wie warme Ananas schmeckt, schleicht der Bus mit atemberaubenden 20-30 km/h die Anden hinauf. Wir lassen die Welthauptstadt des Anis (sic!) hinter uns, folgen Wasserläufen, Stromschnellen und überqueren Schluchten. Meinen Sitznachbar schockt das wenig, er ist ganz mit dem Schneiden seiner Fingernägel beschäftigt. Nach endlosen 16 Stunden kommen wir des Nachmittags tatsächlich in Cusco an. Auf den ersten Blick überzeugt zwar mein Partyhostel mit allen erdenklichen Backpackerfacilities, die Stadt zunächst aber eher wenig.
Dies ändert sich nach einem kleinen Rundgang zum Plaza de Armas: Obgleich sehr touristisch, hat Cusco einen besonderen Charme. Zurück im Hostel treffe ich Fann, eine etwas unorthodoxe Texanerin, die mir bei Abendessen und meinem ersten Pisco sour (hauptsächlich peruanischer Traubenschnaps) ihr Leid über ihren ihr verfallenen Reisepartner Kevin klagt. Wir kaufen zum Trost eine Flasche Rum und
ein paar Cuscena und begeben uns zurück ins Hostel. For the record: Keine Anzeichen von Höhenkrankheit o.ä. Auf dem Weg zurück treffen wir Kevin, sein Blick lässt mich grade so am Leben. Der Chilene im Hostel, der völlig davon überzeugt ist, dass Obama der schlechteste Präsident ist, den die USA je hatten, ist da durch meine etwas differierende Sichtweise schon eher aus der Fassung gebracht. Aber ich studiere ja nur, er ist schon Experte. In atemberaubender Geschwindigkeit gehen unsere Vorräte zur Neige, so dass es uns bald hinaus in Cuscos kalte Straßen verschlägt.
Pünktlich am nächsten morgen fällt mir im komfortabelsten Bett der ganzen Reise auf, dass das vielleicht für den ersten Akklimatisierungsabend nicht die beste Beschäftigung war. Müdigkeit vorzuschützen kommt jedoch nicht in Frage, im Patio scheint die Sonne und es läuft Chillout-Musik, beste Bedingungen für das erste Skype-WG-Casting meines Lebens. Trotz Verbindungsschwierigkeiten auf technischer Ebene klappt das Ganze wunderbar – zwei Tage später habe ich eine neue, wunderbare WG in perfekter Lage.
Mit Adam, einem Retail-Angestellten mit zwei Vollzeitjobs aus Maine, geht es anschließend nach San Blas, dem Künstler- und Kunstviertel von Cusco. Man fühlt sich wie in Montmartre – schöne Gassen, Häuser, deren von außen
erkennbares Fundament aus Inka-Zeiten stammt und viele kleine Läden, die Kleinsthandwerk verkaufen. Der Hunger treibt uns – viel zu spät in der Höhenlage – in das nächste Restaurant, was einen auf schick macht, mich aber leider wohl mit Bakterien versorgt, die meinem Körper ordentlich an den Rand seiner Kräfte bringen werden. Doch ich greife vor, zunächst haben wir ein interessantes Gespräch über den American Dream (eine Kreditkarte besitzen) und über den amerikanischen Sozialdruck (Habe ich mehr Kreditkarten als mein Nachbar?). Eine mit Nelken verfeinerte Zimtschokolade wärmt uns etwas auf, bevor es wieder in die nächtlichen Gassen Cuscos zur Fotosession hinausgeht. Auf dem Weg zum Hostel werden wir von ca. 20 Dealern beharkt, schaffen es aber schließlich in die gemütliche Hostelbar. Um 10 Uhr heißt es dann: Lasst die Spiele beginnen. Mein Körper fängt an verrückt zu spielen und denkt für zwei Tage (und Nächte) auch gar nicht daran, damit aufzuhören. Ab dem zweiten Tag versuche ich es mental: When I'm sick, I just stop being sick and be awesome instead. Keine Chance.
Da ein Partyhostel vielleicht nicht der ansprechendste Genesungsort ist, buche ich sehr convient hostelintern einen völlig überteuerten Touribus nach Puno. Ich würde eigentlich gerne auf unter 2000
Meter, das ist aber topografisch bei meiner Reiseroute leider nicht drin. Recht Schwach tapse ich am nächsten Morgen zum Taxi, was mich zur angegebenen Adresse bringt. Vom Bus keine Spur, dafür aber eine sehr hilfsbereite Peruanerin, die mit ihrem Handy die Agentur anruft. Der Bus steht scheinbar zwei Straßen weiter. Warum? War wohl grade Platz.
Anschließend werden wir von einer vermeintlichen Sehenswürdigkeit zur nächsten gefahren, meist handelt es sich um ein paar Ruinen und ca. 50 Verkaufsstände. Dafür habe ich zwei Sitze für mich und funktionierende Banos. Das Mittagessen am Rio sagrado sieht zwar lecker aus, ist für mich aber noch nicht drin. Im Sonnenuntergang fahren wir schließlich in Puno am Titicacasee ein. Mein Einzelzimmer für anmaßende acht Euro pro Nacht in einem schnuckeligen Hotel mit Seeblick scheint schon ein besserer Genesungsort zu sein. Ich zwinge mich, zu essen und trinke um die 6 Liter am Tag, Elotrans ist mein Geschmackshighlight.
Am zweiten Tag funktioniere ich wieder im abgesicherten Modus. Da dieser aber erhöhte Anstrengung mit sich bringt, werden die Standard-Alltagsprobleme zu kleinen nervlichen Zerreißproben. Zunächst lache ich noch, als die Busagentur, die mich nach Bolivien bringen soll, zunächst umgezogen ist und an der neuen Adresse dann natürlich
geschlossen, das vegetarische Restaurant zwar offen ist, ich jedoch auf Nachfrage auf Grund der erstaunten Blicke der speisenden Familie als Antwort „Nein, cerrado“ erhalte und man mir auch nicht sagt, wann es denn wirklich offen ist. Als sich der Geldwechseler jedoch weigert, meine aus dem Geldautomaten stammenden US-Dollar-Scheine anzunehmen reicht es dann langsam.
Äußerlich ruhig implodiere ich ein wenig vor mich hin. Ich habe keine Lust mehr auf willkürliche Öffnungszeiten, auf ein Land, in dem nichts auf Anhieb funktioniert, auf Dreck und Uringestank, auf Leute, die vor einem auf die Straße spucken, als sei es das Normalste der Welt, auf Orientierungslosigkeit und Menschen, die den Weg zwar nicht kennen, ihn aber trotzdem erklären. Ich habe keine Lust mehr, ständig wie ein Alien angestarrt zu werden, keine Lust mehr auf mehr auf Duschen die von heiß zu sibirisch kalt in Milisekunden wechseln, dass es nur Produkte von Nestlé, Kraft und Coca-Cola zu kaufen gibt und keinen anständigen Käse. Die ständige sinnlose Huperei geht mir auf den Zeiger, die Ineffizienz, die Rückständigkeit, die kulturelle Distanz, die Vertrauensasymetrie. Ich habe einen Front-Koller, ich habe keine Lust mehr, Touri zu sein. Um es mit Tom aus Friendship! (Link) zu sagen: Das ist eine
Scheiße hier!
Meine Contenance kehrt langsam zurück, ich beschließe, dass Peru einfach nicht so mein Land ist, was natürlich sträflich durch meine Erkrankung gebiased ist. Am nächsten morgen fahren wir im gleißenden Sonnenschein am ocean in the mountains entlang – man glaubt sich am Atlantik und ist doch auf 3800 Metern Höhe. Nur gut, dass die Klimaanlage läuft. Der Grenzübergang zu Bolivien ist beschaulich und unproblematisch, die Straße auf bolivianischer Seite gesperrt. Daher geht es querfeldein über eine Art Feldweg, die dem Fahrer unseres recht tief liegenden Reisebuses einiges abverlangt. Fünf Kilometer vor dem Ziel geht nichts mehr: In Gemeinschaftsarbeit wird der leere Bus mit Hilfen von Holzbohlen unter staunenden Touriblicken durch die Krater gelotst.
In Copacabana lasse ich mich von einem vollgepackten Minibus mit zu einem Hotel fahren, dass an der Rezeption auf einmal ganz andere Preise hat. Der Russin vor mir helfe ich noch von 30 auf 20 Dollar, was immer noch völlige Abzocke ist. Weil ich für sie aber nicht weiterdiskutiere und sie das Zimmer kommentar- und danklos nimmt, kriege ich schließlich die gleiche Kategorie für 10 Dollar: Erneut Seeblick, Teppichboden und sogar frei Bananen und Cocatee. Wer denkt, die heilende Kräfte der Natur würden
nun ihr übriges tun, irrt leider gewaltig: Auf 3800 Metern kann man scheinbar nicht gesund werden. Dies wird mir des Nachts dann auch klar, so dass ich die Reißleine ziehe und auf EXIT-Strategie gehe: Bus nach La Paz und dann weiter nach Coroico, das Sauerstoff-Paradies auf 1780m Höhe. Ersterer bleibt am nächsten Tag zunächst mal nach einer halben Stunde im nirgendwo bei fantastischer Aussicht auf die Isla del Sol liegen. Glücklicherweise kommt eine halbe Stunde später ein anderer Bus vorbei, der uns Gestrandete aufnimmt. Auf einer abenteuerlichen Fähre setzen wir über den See und sind um 15 Uhr schon in La Paz. Einmal quer durch die Stadt im Taxi für einen Euro und schon sitze ich in einem Minibus, der über die schön geteerte Umgehungsstraße des camino de la muerte (gefährlichste Straße der Welt) in zweieinhalb Stunden nach Coroico heizt. Das französisch geführte Hostel meiner Wahl ist extrem unfreundlich und voll, und so falle ich schließlich in sehr exquisitem Stoff im 3*-Hotel gegenüber in erholenden Schlaf.
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