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Published: September 14th 2012
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Ich verlasse Quito, nicht ohne mich den Avancen von Erhard, einem etwa 70jährigen Österreicher, erwehren zu müssen: Er erzählt mir nicht nur von seinem Nasenbluten, sondern auch, dass er weder Englisch noch Spanisch spricht und auch keinen Reiseführer oder ähnliches besitzt. Ein echter Abenteurer. Bevor er mich in seinen Keller sperren kann, bin ich schon aus der Tür (und habe seltsamerweise 6 $ pro Nacht bezahlt – Frühstück inklu).
Der vollgepackte Nissan ruckelt schon bald über das, was die Alaskaner neben mir wohl „Dirt Road“ nennen. Daher fahren überall auch nur noch Chevy Pick-Ups herum. Auf der Ladefläche: Bier. Nach 2 Stunden biegen wir auf die letzten drei Kilometer zur Hacienda ein, die vielleicht in 10. Generation die Mutation von einer Straße sind. Der Footprint-Guide spricht in einem Nebensatz von „rusty lodge“, die Räumlichkeiten gleichen eher einem Anwesen: Es gibt Glühwein zur Begrüßung im großen Kaminzimmer mit Blick auf Cotopaxi und drei weitere Vulkane. Da der Dorm wohl nicht mehr listo wird, bekomme ich allein eine Art Maisonette-Wohnung mit Kingsize-Bett und obligatorischem Kamin.
Die nun schon 3500 m Höhe machen sich bei einer ersten kleinen Tour zum Wasserversorgungs-Creek der Hacienda wieder mal bemerkbar. Schlimmer ist jedoch die Trockenheit, die
Schleimhäute begeben sich auf Sahara-Rundreise. Es hat seit 3 Monaten nicht geregnet, daher musste das Hostel auch zeitweise schließen: Es gab einfach kein Wasser mehr. Auch jetzt ist der Wasserfall eher bescheiden, dafür wachsen überall Orchideen. Als wir zurückkehren, bricht vor uns ein Stier aus dem Gebüsch, schön, dass die auf Stierkampf und Menschenhass gezüchteten possierlichen Tierchen hier so frei herumspazieren.
Nach dem gemeinsamen Abendessen machen wir es uns vor dem Kamin mit den drei Hunden Milo (Dalmatiner), Mesh („sausage dog“) und Daisy (ebenfalls) gemütlich. Ich stelle fest, dass Quebecois eine grausame Verstümmelung der französischen Sprache ist, werde jedoch bald erlöst, da der Australier Remy, der die Hacienda managt, ein paar Touri-Horrorgeschichten, aber auch ein paar interessante Fakten zum Nationalpark auf Lager hat. So gibt es in der erdbebengefährdeten Region ein weit verzweigtes Tunnelsystem (der Inka oder sogar davor), in dem Teile des Goldes (150 Esel mit jeweils 50 Kg), was zur Auslösung Atahualpas bereitgestellt wurde, versteckt sein sollen. Deswegen ist es auch offiziell nicht zugänglich. Zwei Schweizer sind vor zwei Monaten dennoch auf Goldsuche gegangen – und nie zurückgekehrt. Mein anvisiertes nächstes Ziel Banos scheint auch ein schönes Pflaster zu sein – derzeit spuckt der neben der Stadt
gelegene Vulkan Asche, weshalb alle Touris zu einem Mirador hochlaufen, um sich das Spektakel anzuschauen. Dumm nur, dass sie dort ausgeraubt, gekidnappt und an Bäume gefesselt werden. So lautet zumindest die Story von einer Gruppe Mädels, die sich - „halb vergewaltigt“ - aber wohl befreien konnte. Backpacker-Hostel-Flurfunk ist schlimmer als die Bildzeitung.
Am nächsten Morgen nehme ich mit den beiden anderen Gästen – Shane und Rita, zwei echte Australier – den 4700m hohen Cotopaxi-Nachbarberg Ruminayhui in Angriff. Für sie ist es ein Test, denn viele Touris zahlen zwar 250 $ für eine Tour auf den Cotopaxi, kommen dort ob der Höhe und Anstrengung aber nie an. Die Höhensonne begleitet uns auf dem erst leicht ansteigenden Weg durch karge Steppenlandschaft, weshalb ich mich vorsorglich alle halbe Stunde mit Sonnencreme einschmiere. Der Wind weht bereits kräftig, und wenn es etwas steiler wird geht der Puls auch schnell auf Progressive-Techno-Frequenz. Anspruchsvoll wird es jedoch nur an einer Stelle, an der wir um einen Felsen herumklettern müssen: links etwa 200 Meter Abgrund und von vorne etwa 200 km/h Wind. Mit beginnenden Kopfschmerzen erreichen wir dank der soliden Pace unseres Guides nach 2 statt 3 Stunden den „summit push“. Von da an geht es
noch etwa 100m felsig hoch, ehe der Australier seine Miniatur-Flagge auf dem Gipfel befestigen kann. Die Aussicht und Endorphine sind fantastisch, in rasender Geschwindigkeit ziehen Wolken an uns vorbei, weshalb wir auch recht bald den Abstieg beginnen. Da dieser uns durch sandige „Galleries“ führt, können wir den Berg praktisch runterlaufen – Sandboarding lässt grüßen. Auf halber Strecke machen wir mit frischem Minztee und Sandwiches Rast, ehe es noch zwei Stunden durch den Nationalpark geht. Im Hostel zurück steht für uns schon der vorgeheizte Whirlpool bereit – da dieser am Hang gelegen und mit Glasfront versehen ist, können wir entspannt unserem Berg-Tageswerk bei einem Bierchen ins Auge blicken. Zu allem Überfluss und zur Unterstreichung der These, dass Ecuador einfach voll mit Deutschen ist, gesellen sich auch noch zwei Kölnerinnen, die geradewegs aus Banos kommen, zu uns in den Pool. Von Raub, Baum-Fesseln und Vergewaltigungen haben sie dort seltsamerweise nichts bemerkt.
Das Gespräch beim exzellenten Abendessen hat Slapstick-Charakter: Nachdem Shane erzählt, dass er den von seiner Mutter geliebten Hahn, da er ihm einfach zu früh krähte, kurzerhand erschossen hat, als diese grade zum Einkaufen war, fragt er mich, warum ich Vegetarier sei. Glücklicherweise lassen Kölner keinen allein, und so weiß die
Vegetarierin der beiden mit der philosophisch bedeutenden Frage abzulenken, ob Vegetarier Sperma essen dürfen. Sie persönlich sähe das ja nicht so eng.
Nachdem wir diese Thema geklärt haben finde ich tatsächlich ein paar Kölner Karnevalslieder auf meinem Netbook, mit denen wir die anderen schnell vom Feuer vergraulen. Es mag vielleicht auch der Sprachbarriere liegen, aber ich habe ausnahmsweise mal keine Scham, den Rest des Abends deutsch zu reden – ganz nach Franzosen-Approach: Wer mitreden will, solls halt lernen.
Den nächsten Tag widme ich der Hängematte (sprich: Hammocking) und ruhe mich vor den 2500 km bis Huacachina aus, während der Nachtzug völlig unspektakulär und ohne (verbale) Entgleisung zum Halt kommt.
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