4 - Vrindavan, die heilige Stadt Sri Krishnas


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February 19th 2012
Published: February 24th 2012
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Endlich ausgeschlafen! Nach elfeinhalb Stunden Tiefschlaf sehe ich durchs Fenster in den Garten des Ashrams und fühle mich voller Energie und bin bereit, die heilige Stadt zu erkunden.

Der Tag beginnt am Lunchbuffet. Das Essen ist fantastisch, zehn verschiedene Kleinigkeiten stehen zur Auswahl... Ich muss von allem etwas nehmen! Linsensuppe, gebratener Paneer, Kartoffeln mit Spinat, Joghurt mit Paprika, süße Bällchen, Chapati, ... Kugelrund und satt beginne ich meinen Streifzug durch die Stadt.

Das ist also ein heiliger Ort. So klein ist der gar nicht, hier wohnen hier knapp 60.000 Menschen, die in einem unruhigen Rhythmus durch den Tag rauschen (was sie nicht stört, schon recht).

Die nächtliche Ruhe hat sich in Luft aufgelöst, auch hier ist Tumult hoch siebenunddrölfzig, wenn auch nicht vergleichbar mit Delhi oder Agra. LkW und fremde Autos (bis auf Taxis) müssen neuerdings aus dem Ort draußen bleiben, aber es fährt noch genug auf den Straßen herum. Ich werde permanent von Tuktuks angehupt, muss alle fünf Schritte einen Rikschafahrer abwehren, oder einen Bettler, der mich mit einem Hare Krishna überreden will, ihm ein paar rupees zu geben.

Sympathisch: die vielen Kühe, die hier wirklich überall frei rumlaufen und -liegen. Unsympathisch: die Affen, die gierig schauen und immer auf dem Sprung sind. Und je weiter ich Richtung Ortsmitte gehe, desto dichter kommt auch wieder der DAGL, also Dreck, Aufdringlichkeit, Gestank und Lärm.

Ich versuche es mal wieder mit der Taktik, offen und freundlich lächelnd auf die Menschen zuzugehen, doch auch hier wird jedes Lächeln, jedes Anhalten, jedes Interesse sofort als "ich kaufe was" oder "du gefällst mir" gedeutet. Beides ist in 98%!d(MISSING)er Fälle nicht richtig. Grundlegendes Interesse aneinander scheint zumindest im Straßenalltag zu fehlen. Vielleicht ist es auch gar nicht gewollt.

In den Bazars von Old Vrindavan

In den engen Gassen der Bazars von Old Vrindavan (ein wenig vergleichbar mit den Soukhs in Marrakesh, nur wieder deutlich dreckiger und weniger bunt, es fehlt das 1001-Nacht-Feeling) will ich tatsächlich etwas kaufen: eine Gebetskette aus Holzperlen vom heiligen Tulasi tree, für meinen Tempelbesuch morgen.

Die erste kaufe am Ende bei einem Händler, der mich nicht in seinen Stand hineinquatschte (weil er auch kein Englisch sprach, aber das ist ja nicht unbedingt was schlechtes).

Ich wende mich dann etwas weiter die Straße runter an einen zweiten Stand und kaufe eine kleine Kette aus Zedernholz, und frage ein bisschen nach, warum der Baum eigentlich heilig ist. Doch der Mann war durch mein Handeln zuvor (um 20 rupees) fast beleidigt, und kaum hat er das Geschäft abgewickelt, widmet er sich anderen Kunden.

Dritter Versuch ein paar Meter weiter. Da hängen verschieden große Ketten aus Tulasiholz, mal grob verarbeitet, mal weich schmeichelnd geschliffen. Ich frage, was es mit den Bäumen auf sich hat, warum es der Tulasi sein muss. Der Händler fragt: "you want one? very nice!". Ich sage "maybe" und er zeigt mir mindestens zwanzig verschiedene Größen und betet Preise herunter.

Ich frage wieder nach der Tradition und wo die Bäume wachsen, ob er selbst die Handarbeit macht. "all good for temple, you take one." Ich finde es so schade, dass kein Gespräch zustande kommt. Am Ende habe ich drei hübsche Gebetsketten und 400 rupees weniger, weiß aber leider nichts (zum Glück gibt's Internet: http://www.stephen-knapp.com/tulasi_devi_the_sacred_tree.htm).

Aber insgesamt ist es ein deutlich entspannteres Umherstreifen als noch vorgestern in Delhi. Ich kann Fotos machen und die Leute sind hier alles in allem sehr nett. Man merkt, dass dies kein alltäglicher Platz ist, sondern in erster Linie ein Pilgerort. Doch, ich find's schön hier. Auch DAGL ist hier halbwegs aushaltbar und so hatte ich es mir in etwa vorgestellt.

Nach den Erfahrungen mit meinem Guesthouse in Delhi (ein Zimmer ohne Fenster müffelt eben entsprechend) kaufe ich noch Räucherstäbchen für mein jetziges Zimmer, obwohl es da keinen Grund zur Beanstandung gibt, aber es schadet ja nicht. Und wer weiß, was für Unterkünfte da noch kommen mögen. Dann noch ein neues Schultertuch und ich hatte irgendwann genug geshoppt.

Das fanden die Händler aber keinesfalls. Wer eine Tüte trägt, hat was gekauft. Und der kann auch noch mehr kaufen! Und was es nicht alles sein soll. Wolldecken, Schmuck, Medikamente, Krishna-Bilder, ... Wieder tu ich das, was am besten hilft, mir aber nicht gefällt: Augen auf den Boden senken und alles wortlos ignorieren.

Nach der Grund-Demystifizierung an den ersten beiden Tagen, kommt aber der Zauber Indiens ein bisschen durch. Auch hier wird er weiter angeknabbert, weil ich mich alle paar Meter gegen Aufdringlichkeit wehren und Leute ignorieren muss, um halbwegs im Budget zu bleiben und durch die Straßen zu kommen.

Sightseeing

Ach, noch etwas Sightseeing. Ich summe ein Mantra vor mich hin, das der Ashram empfohlen hat ("makes easy find peace and good places"). Der Weg allerdings ist trotz Mantra anstrengend (die alten vier Gründe, DAGL). Mir macht das immer noch keinen Spaß, ich sehne nach meinem Zimmer. Aber das ist weit weg, denn obwohl bezogen auf die Einwohnerzahl klein, ist Vrindavan doch weitläufig.

Ich brauche eine Auszeit zwischendurch und fliehe in eine Tempelanlage. Das Hauptgebäude ist geschlossen aber der Innenhof ist zugänglich und weitgehend menschenfrei! Hat das Mantra doch was gebracht, toll! Ich will hier ein wenig sitzen und die Sonne genießen, immerhin sind es heute 25 Grad und das Klima ist sehr angenehm.

Das mit der Wärme und dolce vita hat Italien aber deutlich besser drauf - wie toll wäre jetzt hier ein kleines Café mit einem Vino und einem Sorbetto ... Aber nein, no chance, diese Art Leichtigkeit hier zu finden. Naja, dafür sollte ich wohl einfach in Italien bleiben und nicht nach Indien reisen ... 😉

Der Tuktuklärm und die Hupen dröhnen bis in den Tempeleingang herein, und gerade als ich meine Schritte verlangsame, werde ich direkt von einem Herrn angesprochen. "temple is closed, I show you another one, much better". Er sieht nett aus, also lächle ich und sage "no, thank you."

Das ist für ihn natürlich keine akzeptable Antwort, also fragt er noch dreimal. Auch nach dem dritten Nein geht er nicht. Er will mir die Stadt zeigen. Ich setze mich hin, in der Hoffnung, dass er dann das Nein besser versteht, und sage "I just want to stay here and enjoy" - was er mit einem "you enjoy evening time, when temple is open, now I show you all the nice places Vrindavan". Ich schüttele den Kopf, "no, thank you".

Er, Gopal, erklärt mir, dass ich das hier alles nicht verstehen könne, wenn ich keinen guide habe. Ich glaube ihm das und er scheint nett zu sein. Trotzdem würde ich jetzt lieber in die Sonne blinzeln, das kann ich auch ohne Führung.

Als ein anderer guide hinzukommt, entbrennt der Kampf um meine Gunst. Einer war schon zuviel, was soll ich denn mit zweien! Es muss wohl so etwas wie "ich hab sie zuerst gesehen" heißen. Sie werden richtig laut und schreien sich an.

Mir reichts. Als ich aufstehe und gehe, läuft Gopal mir hinterher und schlägt einen Deal vor: Er zeigt mir einen Garten, in dem es wirklich friedlich ist, das kostet nichts und dauert fünfzehn Minuten. Wenn es mir gefällt, soll ich morgen wiederkommen und er zeigt mir die Stadt für 50 rupees. Das ist nicht teuer, er ist nett und mit dem "friedlichen Garten" hat er mich endlich umgestimmt. Vielleicht werde ich ihn danach wirklich los.

Und natürlich hat er recht damit, dass ich so mehr von einer Stadt sehe: Den Platz hätte ich allein nie gefunden, er stand auch nicht im Reiseführer und am Weg zum Eingang saßen rund 20 arme, kranke Menschen, die mich sicher abgehalten hätten, in diese Seitenstraße einzubiegen.

Seva Kunj Krishna Garden

Also, der Garten. Hier hat der Gott Krishna in Menschengestalt mit den Hirtenmädchen (Gopis) getanzt. Der alte Krishna war so eine Art Schwerenöter und Charmeur, der nichts anbrennen ließ. Wer badenden Mädchen ihre Kleider stiehlt, nur um sie in einen Garten zu locken und dort mit ihnen zu "tanzen", ist vielleicht nicht gerade der Inbegriff von Heiligkeit.

Aber die Geschichte in den vedischen Schriften hat absolut nichts Anrüchiges. Apropos, hier scheint sogar der Gestank auf wundersame Weise ausgeschaltet. Der Garten besteht aus niedrigen, stachligen Bäumen, deren Äste und Kronen sich treffen, als würden sie einander tatsächlich anfassen und gemeinsam tanzen.

In der Nacht, erzählt Gopal, wird der Garten geschlossen und die Affen daraus vertrieben. Wenn alle Affen weg sind, kehrt Krishna mit den Mädchen zurück, um die seit Jahrhunderten andauernden Tänze fortzusetzen.

Hier und da sind kleine Tempel, der eine als "makeup room" mit allerlei Farben und Blumen ausgestattet, damit die Gopis sich für die Tänze zurecht machen können. Gläubige bringen die Sachen jeden Tag hierher, irgendwie anrührend diese Hingabe.

Ein wirklich schöner Ort und ich komme vielleicht tatsächlich wieder, um noch mehr Plätze zu sehen. Die 50 rupees will ich Gopal schon heute geben, das war der Garten wert. Aber er winkt ab und tatsächlich lässt er mich mit einem freundlichen Gruß gehen.

Der gute Moment wirkt leider nicht lang, gleich hinter der nächsten Häuserecke laufe ich in eine stinkende Wolke, dass mir fast übel wird. Abwasserkanäle links und rechts des Weges, die Hunde trinken daraus, ich kotze fast hinein. Klärwerk hoch zehn. Furchtbar.

Schön und hässlich sind hier Zwillingsschwestern, so nah beieinander. Ich bin froh um mein neues Tuch und lege es mir um Kopf und Nase. Ich muss lachen und denke nur, dass eine Burka vielleicht keine so schlechte Idee und in Wirklichkeit gar keine Bevormundung ist. Sie schützt vor Lärm und Gestank und gierigen Blicken, und man hat seine kleine Privatsphäre immer dabei...

Yamuna, der heilige Fluss

Ich gehe weiter Richtung Fluss Yamuna (auch heilig, natürlich) und hoffe auf die vielbesungene landschaftliche Schönheit. Aber nichts da.

Der Fluss teilt das Schicksal europäischer Artgenossen und darf nicht mehr fließen wie er will. Man hat ihn aber nicht begradigt, sondern nur verschoben, damit die Stadt wachsen konnte. Das neue Flussbett ist mit Baggern ausgehoben und der Schlamm zu den Seiten aufgetürmt worde. Nicht unbedingt landschaftlich reizvoll.

Auf dem alten Flussbett wurde gebaut, es reiht sich eine Baustelle an die andere. Weiters findet man hier kleine Tempel, die oft nicht mehr sind als ein Dach mit einer Gottheit; hierin leben alte Sadhus, schlafen und beten auf dem nackten Boden.

Einer breitet seine Hände in meine Richtung aus für eine Segnung, netter Mensch, ich bedanke mich. "10 rupees" ruft jemand neben ihm. Sadhus sind auch nicht mehr das, was sie mal waren... aber ein paar Pfennig für nen Segen sind nun auch wirklich nicht teuer sondern eher ein echt fairer Preis.

Eine holprige Straße aus Sand führt am unregelmäßigen Ufer entlang, zwischen verfallenen Hütten führen Wege zum Fluss. Männer mit Holzkarren verkaufen Plastikbehälter für das Yamuna-Wasser. Ich achte auf diejenigen, die mit einem gefüllte Kanister zurückkommen: der enthält eine dreckige, dunkelbraune Brühe. Und doch stört das hier niemanden.

Der Fluss ist heilig und was heilig ist, ist gut. Man nimmt das Nass mit heim, oder badet gar darin. Man ist fest davon überzeugt, dass es gut tun wird. Im "Krishna boat" wird man hinüber gefahren, auch das soll gut fürs Karma sein.

Ich wandere weiter und dann passiert noch etwas Tolles. Eine kleine, schneeweiße Kuh nähert sich mir unbemerkt von hinten und stupst mir mit der Nase in die Seite!!!

Eine Frau verbeugt sich lächelnd und ein Mann, der vorbeigeht sagt: "greeting from Lord Krishna!" Das ist wohl was ziemlich tolles und ich bin schon wieder versöhnt mit dem Land. Soooo niedlich! Und wie konnte diese Kuh so strahlend weiß bleiben?!

Normalerweise ist es so, dass man die Kuh berührt, an der Stirn oder an der Seite mit der flachen Hand, um sich den Segen zu holen. Ich bin irgendwie gerührt, dass die Kuh so freundlich war, mich von sich aus zu stupsen.

Mit der Riksha in den Ashram

Weiter gehe ich, doch mir tun schon die Füße weh. Da sehe ich eine Rikscha, die von einem Halbstarken geputzt wird, und als er ruft, ob ich mit will, bleibe ich sofort stehen. Das ist meine! Der Junge hat saubere Sachen an und findet es ganz toll, eine europäische "madam" zu kutschieren.

Bevor er losfährt hupt er so lang, bis drei andere Jungs aus einer Hütte schauen und anerkennend johlen. Ich finde das lustig und lächle, woraufhin der Junge vorn auf dem Rad während er fährt, seinen Balztanz beginnt. Furchtbare Schnalzgeräusche, die mir schon in Delhi hinterhertönten, und dauerndes Posieren.

Du sollst fahren, denke ich und frage mich, bin ich jetzt gerade das moderne Äquivalent einer eitlen Besatzerlady, stelle ich mich bloß an, oder ist er wirklich ein Idiot? Ich entscheide mich dafür, dass ich auch in dieser anders tickenden Kultur kein Freiwild bin und damit für den Idioten. Und dafür, dass er harmlos sein wird.

Die Strecke ist weit, sandig und voller Schlaglöcher. Der Junge muss ordentlich treten und - natürlich! - hupen, auch wenn hier auf dem Schotterweg kaum ein anderes Gefährt im Weg ist. Er hat durchaus Zeit, sich immer wieder durch die schwarzen Haare zu fahren. Jaja, alles klar, Du denkst, dass Du gut aussiehst... Wenn schon, dann versteck wenigstens die dunkelgelben, schlechten Zähne. Aber auch mit gutem Gebiss tendierten seine Chancen gen Null.

In einer engen Gasse müssen wir stehen bleiben, weil ein Ochsenkarren den Weg versperrt, von dem frischgrüne Pflanzenbündel abgeladen werden. Das dauert und der hormongesteuerte Jüngling plustert die magere Brust auf soweit er kann. Er setzt sich in Pose, greift sich an die Gürtelschnalle, ruckt dreimal kräftig daran und fährt sich mit der Hand über den Schritt. Ignorieren, denke ich mir, er ist gar nicht da.

Das gefällt ihm nicht und er ruft ich weiß nicht was in den nächsten Hauseingang. Zwei Frauen erscheinen und lachen, ob über ihn oder mich kann ich kaum sagen. Die eine ist begeistert von meinen roten Haaren, die andere will meine Schuhe haben. Sie reibt die Finger aneinander, er übersetzt "money". Klar, das Wort kennt er, man lernt zuerst die wirtschaftlich wichtigen Begriffe, wie wäre es mit Höflichkeiten oder smalltalk, der Gast würde sich viel wohler fühlen ...

Nun, das ist vermutlich auch von mir kurz gedacht, denn wenns ums Leben an der Armutsgrenze geht, sieht man das sicher eher praktisch und reduziert den Service auf das Notwendigste. Aber ich schüttele den Kopf, auf gar keinen Fall gebe ich meine Fußbekleidung her und auf gar keinen Fall könntet Ihr den Gegenwert von 89 Euro für grad neu gekaufte Leicht-Trekkingschuhe zahlen.

Dann ist der Ochsenkarren endlich abgeladen und ich werde an meinen Zielort gefahren. Ich bin sehr müde und es reicht mir ernsthaft. Diese Kultur, so wie ich sie gerade in mich aufnehme, strengt wahnsinnig an.

Der Abend wird kühl, ich friere in meinem Zimmer und bin froh um meinen Schlafsack, meinem heimeligen Kokon, und wäre so gern in meinem eigenen Zuhause. Das Heimweh setzt ein, als ich schlafen will. Ein nie gekanntes, ganz elementares Gefühl, das mich einfach nur umhaut. Keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Alles in allem war der Tag doch okay... Warum jetzt das?

Aus dem Tempel nebenan klingen beruhigende Mantras ins Zimmer. Langsam wird mir warm und ich schlafe irgendwann ein.

Mehr über Vrindavan: http://wikitravel.org/en/Vrindavan

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