tierra de hombres - Quito, Ecuador


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June 12th 2011
Published: June 12th 2011
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rechts oben - hoch ueber der Stadt - befindet sich unser Arbeitsplatz
Die Hauptstadt von Ecuador heisst Quito. Quito ist eine Stadt mit ungefähr 2 Millionen Einwohnern, gelegen zwischen Bergketten und auf einer Höhe von knapp 3000 m über dem Meer. Die Lage zwischen den Bergen bedeutet, dass sich die Stadt nicht horizontal ausbreiten kann. Daher wachsen die Siedlungen ringsum an den Hängen der Berge hinauf.

Nahe dem Zentrum der Stadt sind diese am höchsten hinauf gewachsen. Hier ziehen viele ecuadorianische Einwanderer/Landflüchtlinge her, die in der Hauptstadt ein besseres Leben suchen. Die Lage ist strategisch gut, die Entfernung hinunter in die Stadt von hier nicht allzu weit. Unten im Zentrum gehen sie täglich ihren informellen Arbeiten nach, wie zB Schuhputzer, fliegender Verkäufer und dergleichen. Diese Menschen haben nicht viel und müssen dafür hart und lange arbeiten. Dabei ergibt sich folgendes Problem: wohin mit den Kindern? Diese gibt es hier zuhauf. Wohin man blickt: Kinder. Ich brauche wohl nicht mehr zu erwähnen, dass der Einfluss der Kirche hier extrem stark ist.

Daher musste etwas gemacht werden. Es gibt in der ganzen Stadt verteilt Tageszentren für Kinder. Dort bringen die Eltern ihre Kleinen hin und am Abend holen sie sie wieder ab. Ähnlich wie ein Kindergarten.

Hier beginnt unsere Geschichte:

Im
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das Zentrum von aussen
zuvor beschriebenen Stadtteil gibt es eines dieser Zentren. Der Name ist „tierra de hombres“ und es existiert seit über 30 Jahren. Finanziert wird es durch die Regierung und durch eine schweizer Institution. Die Eltern leisten einen symbolischen Beitrag von 10 US (ca. 7 EUR) pro Monat. Die Kosten pro Kind belaufen sich auf ungefähr 140 US pro Monat. Das Zentrum ist aufgeteilt in 2 Sektionen: Kinder von 1 – 6 Jahren und Kinder von 6 – 15 Jahren. Das besondere an dieser Einrichtung ist, dass es auf den Prinzipien antiautoritärer Erziehung aufgebaut ist (vergleichbar mit Montessori). Diese Tatsache und jene, dass es sich um keine kirchliche Einrichtung handelt, hat uns gefallen.

Bereits bevor wir Anfang Mai für 2 Wochen zwecks Hochzeitsfeier nach Kuba aufbrechen, besuchen wir die Institution und sehen, dass es sich hier um ein ernsthaftes, sinnvolles Projekt handelt (nicht so wie in Guatemala, Rasta Mesa...). Daher sagen wir gleich zu und organisieren uns bereits vor unserem „Urlaub vom Urlaub“ eine Wohnung im Zentrum der Stadt.

Nach intensiven und flüssigen 2 Wochen in Kuba kann es also losgehen. Am ersten Arbeitstag steigen Pookie und ich gleich mal locker in den falschen Bus ein und landen an einem
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Pookie mit den (viel zu leichten) Bruedern Michael und Kevin
komplett anderen als dem gewünschten Ort. Daher gibt es nur eine Lösung: Taxi. Mit halbstündiger Verpätung erreichen wir das Zentrum schließlich doch noch und stürzen uns in die Arbeit.

Die Anzahl der Kinder variiert täglich ein wenig, doch es sind immer zwischen 75 und 80 kleine Menschen anwesend. Betreut werden diese normalerweise von 12 Erwachsenen, wobei 2 von früh bis spät in der Küche nur am kochen und abwaschen sind und eine als Ärztin im Einsatz ist. Ungefähr ein Fünftel der Kinder ist unterernährt und die Ärztin kümmert sich beispielsweise um diese Fälle mit einem Programm von zusätzlicher Nahrung. Eine Frau – Carolina – hat den mit Abstand „beschissensten“ Job ausgefasst: sie ist für die (Mini-)toiletten zuständig und wechselt den ganzen Tag Pampers, nasse Kleidung von „in-die-Hose-Machern“ und reinigt kleine Kinderhinterteile. Übrig bleiben also generell 8 Betreuer, die sich um 80 Kinder kümmern. Wer schon einmal auf zwei oder drei kleine Kinder aufgepasst hat, bekommt vielleicht eine ungefähre Vorstellung davon, wie anstrengend die Arbeit in „tierra de hombres“ ist. Die Kleinen sind wahre „Energie-Aussauger“!

Unsere Unterstützung ist deshalb offensichtlich sehr willkommen. Wir helfen in den verschiedensten Bereichen. Immer dort, wo gerade Not am Mann ist oder wo es
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beim Spielen
gilt, ein Projekt mit den Kindern zu verwirklichen. Auch administrative Arbeiten am PC gehören für mich an einigen Tagen dazu. Ich binde hunderte Schuhbänder, ziehe unzählige Pullover und Jacken an oder aus, wasche viele, viele kleine Hände und ja, einige Male lässt sich auch die Reinigung eines kleinen Hinterteils nicht vermeiden (wenn Carolina gerade verhindert ist). Ausserdem beantworte ich ca. 1000 mal die Frage: „Como te llamas?“ (Wie heisst Du?), von manchen Kindern jeden Tag mindestens einmal gestellt.

Was sich jeden Tag aufs Neue als Herausforderung erweist, sind die Mahlzeiten. Die Kinder bekommen 4 Mal am Tag etwas zu essen (die Unterernährten sogar 5 Mal). In der Früh gleich um 9 Uhr gibt es Frühstück, etwas später findet die „hora de fruta“ (Zeit der Früchte) statt, um halb 1 gibt es Mittagessen und am Nachmittag gibt’s dann noch „colada y pan“- ecuadorianisches heisses Getränk und Brot. Diese 4 Mahlzeiten sind die einzigen Tagesordnungspunkte, wo jedes Kind dabei sein muss.

Es geht also immer darum, 80 kleine Menschen dazu zu bewegen, sich zunächst die Hände zu waschen, danach den Weg in den Speisesaal zu finden und sich dort auf einen Sessel an den Tisch zu setzen. Tja, was soll
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Haende waschen vor dem Essen
ich sagen? Immer fangen wir ungefähr eine halbe Stunde vor dem eigentlichen „Essensstart“ damit an, die Kleinen einzusammeln und zum Händewaschen zu dirigieren. Und es dauert wirklich jedes mal ca. eine halbe Stunde, bis jeder Pimpf auf seinem Stuhl sitzt und es mit dem Essen losgehen kann.

Das eigentliche Essen ist auch jedes Mal wieder ein Höhepunkt. Es gibt Kinder, die finden den Weg mit dem Löffel in den Mund immer, andere nur teilweise. Das Resultat: Essen überall. Nachdem sich der Rummel legt und die meisten Kinder den Saal verlassen haben, gleicht die Szenerie immer jener nach einem Granateneinschlag. Beim Mittagessen gilt es, keinen einschlafen zu lassen. Doch mehrere „Mittagstisch-Schläfer“ gibt es jeden Tag. Die normale Schlafstellung: Hände auf den Beinen ruhend, Kopf auf dem Tisch in den Essensresten, die den Weg nicht in den Mund gefunden haben. Anthony, ein 3-jähriger Junge, schafft es einmal sogar, seinen Kopf im Suppenteller – natürlich mit Inhalt – zu positionieren und trotzdem gut zu schlafen. In diesen Fällen nimmt man das Kind und trägt es in einen abgegrenzten Bereich: den Schlafsaal. Hier gibt es ca. 20 Mini-Stockbetten, in denen die Kinder schlafen können, so lange sie wollen. Und wenn sie beim Ins-Bett-legen
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manche Kleinen brauchen Unterstuetzung
aufwachen, geht’s einfach wieder zurück an den Mittagstisch und weiter mit dem Essen. Auch hier der große Unterschied zu anderen Zentren: die Kinder können und dürfen schlafen, wenn sie wollen – sie müssen aber nicht.

Eine weitere Aufgabe ist das Streitschlichten bzw. Trösten von den Kleinen. Generell vergehen keine 5 Minuten, ohne dass zumindest eines der Kinder schreit/plärrt/weint. Die meisten der Kinder hier kommen aus schwierigen Verhältnissen. Es fehlt ein Elternteil, es herrschen große finanzielle Probleme oder teilweise sind die Eltern sogar in Konflikt mit dem Gesetz. Kein Wunder, dass es vielen Kindern an Erziehung mangelt. Das Zuschlagen und Treten gilt somit als selbstverständlich und es ist eine Herausforderung, den Kleinen beizubringen, dass Zuschlagen nicht die optimale Art der Konfliktlösung ist.

Es gibt hier keine Teilung der Altersgruppen, alle Kinder können sich frei bewegen und machen, wonach ihnen gerade ist. Dadurch mischen sich natürlich die Älteren mit den Jüngeren. Dies bringt viele Vorteile aber natürlich auch gewisse Nachteile. Manche Größeren spielen ihre Macht aus und ärgern die Kleineren. Andererseits helfen die Größeren den Kleineren in vielen Situationen. Viele Betätigungsfelder stehen den Anwesenden offen: Malen, Handwerken mit Holz, Spielen mit Wasser, Schuhputzen, Fussball, Puzzles, Bücher, Bausteine usw. Spiele wie
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das Chaos-Mittagessen
„Schuhputzen“ oder „Wäsche per Hand waschen“ sollen den Kleinen vermitteln, welche Arbeiten ihre Eltern teilweise im täglichen Leben machen.

Auch gibt es jeden Tag Musikeinheiten, Tanzeinheiten, Geschichten-Einheiten und Projekt-Einheiten. Die Erwachsenen gehen herum und laden die Kinder dazu ein und jene, die mitmachen wollen, kommen mit. Die anderen gehen ihrer bisherigen Beschäftigung nach – absolut kein Zwang also. Die verschiedenen Aktivitäten sind trotz Freiwilligkeit jeden Tag gut besucht.

Die Mitarbeiter sind sehr lässig und locker drauf und wir verstehen uns mit allen super. Zwei laden uns sogar an zwei verschiedenen Wochenenden zu sich nach Hause zum Essen ein. Wir bekommen dadurch einen noch besseren Einblick in das Leben hier in Quito. Eine Frau, Myriam, erzählt uns beispielsweise, dass ihr Gehalt 250 US (ca. 160 EUR) pro Monat beträgt. Sie bezahlt 150 US Miete für ihre Wohnung und 2 ihrer Kinder leben mit ihr. Wir fragen uns ernsthaft, wie sich das ausgehen soll. Trotz ihrer vielen Schwierigkeiten sind die Menschen im Zentrum herzlich und gut gestimmt. Bemerkenswert.

Im Laufe dieses Monats können wir bei einigen Kleinen erstaunliche Entwicklungen beobachten. Pookie kümmert sich ganz speziell um 2 Jungen, welche die ersten beiden Wochen kein Lächeln auf den Lippen haben
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Warten auf die Mahlzeit (und die anderen Kinder)
und nicht sprechen. Am Anfang der 4ten Woche sprechen und lachen sie. Es zeigt uns ganz deutlich, dass es einen riesengroßen Unterschied macht, ob sich jemand um einen jungen Menschen kümmert oder nicht. Mehrere solcher Beispiele dürfen wir erleben und uns wird noch mehr klar, wie wichtig dieses Zentrum für diesen Stadtteil und die Familien hier ist.

Natürlich haben wir in diesem Monat nicht die Welt verändert. Nicht in großem Maßstab. Doch unser Ziel, einen – wenn auch bescheidenen – positiven Einfluss zu erreichen, konnten wir auf jeden Fall verwirklichen.

Am Ende bekommen Pookie und ich von den Mitarbeitern noch eine Karte mit total lieben Danksagungen und Wünschen für unsere Reise. Der Abschied fällt mir um einiges schwerer als erwartet. Nachdem wir uns von den Kindern und Mitarbeitern verabschiedet haben und Pookie bereits mehrmals die Tränen gekommen sind, erwischt es auch mich und ich verliere einige derselben (zum ersten Mal auf dieser Reise).

Es war eine intensive, anstrengende und zugleich auch sehr, sehr schöne Zeit. Die Kinder haben uns viele Male zum Lachen gebracht und innerhalb eines Monats war es uns möglich, zu vielen von ihnen eine Beziehung aufzubauen. Daher fiel der Abschied auch so schwer. Auch
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Francesco (mit nur 3 Zähnen) kämpft jedesmal mit der Nahrung
wenn es für sie nicht leicht werden wird, hoffe ich doch auf eine gute Zukunft für jeden und jede Einzelne. Auf das sie es leichter haben mögen als ihre Eltern.

http://ninezyvidatdh.the-best-web-sites.com/index.htm


Additional photos below
Photos: 21, Displayed: 21


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Christopher beim Zaehneputzen (bzw. Zahnpasta-Essen) nach dem Mittagessen
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"dia de ninos" Tag des Kindes
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Geschichte-Einheit der Kleinsten (man beachte die Hand in Pookies Mund...)
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woechentlicher Wandertag am Mittwoch - auf zum Wasserfall!
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ein Teil von Quito von oben, mit Volkan Cotopaxi im Hintergrund
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"un avion!" - ein Flugzeug!
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Gruppenfoto am Wandertag
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betende Menschen mit interessierten Kindern
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Rueckkehr zum Zentrum - Despacio, ninos (Langsam, Kinder)
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Angelita (das Engelchen) und ich
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entspannen mit Zigarre und Bier nach einem 7-stuendigen Arbeitstag ohne Pause (wie jeden Tag)


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