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Published: October 4th 2012
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Nachdem ich um halb 6 morgens in El Alto eingecheckt habe verfrühstücke ich erstmal meine letzten Bolivianos bei Subway. Leider habe ich die Airport Tax vergessen, was mein Buenos Aires-Budget nochmals verkürzt – die Kreditkarte ist wie erwartet nicht rechtzeitig angekommen. Immerhin steige ich pünktlich in die wohl älteste Boeing, mit der ich je geflogen bin. Auf den Klapptischen stehen Sicherheitshinweise auf griechisch – da hat BoA wohl in einer Eurokrisenkonkursmasse zugeschlagen. Bedingt durch die Höhe des Flughafens (4200 m über N.N.) dauert der Steigflug ungefähr fünf Minuten, nach einem kleinen Snack und einer halben Stunde landen wir bereits in Cochabamba. Transit heißt hier eine Runde durch den Flughafen drehen. Vor der Passkontrolle gibt es zwei Schlangen: Links steht die argentinische Jugend-Taekwondo-Nationalmannschaft, ich stelle mich mal locker rechts an: wer weiß wie die Trainingszeiten sind. Genau wissen will es jedenfalls das Migracion-Office: Gleich drei Mal werde ich vollständig über Beweggründe meiner Reise, besuchte Orte und Kontakte in Bolivien befragt, während mein Gepäck nach Drogen durchsucht wird. Man schenkt meinen Erklärungen jedoch Glauben und so setze ich 3 Stunden und eine Stunde Zeitverschiebung später zum ersten Mal meine Füße auf argentinischen Boden. Nach einer kurzen Busfahrt ist auch schon das Zentrum erreicht,
die Endorphine kehren augenblicklich zurück: Frühlingssonne, 22 Grad und das Gefühl, es tatsächlich bis zur Final Destination geschafft zu haben.
Die Stadt haut mich augenblicklich um. Auf der Calle Florida, der Haupteinkaufsstraße, werde ich zunächst mit abrazo gratis begrüßt. Ich blende ganz automatisch aus, dass dies natürlich ein toller Weg ist, um mich meiner letzten Dollar zu erleichtern und spiele mit. Zwanzig Minuten Shoppingmall-Straße später nähere ich mich meinem Hostel auf der Avenida de Mayo. Dort erwartet mich erstmal ein Straßenfest, das halb organisiert, halb improvisiert und dabei sehr sympathisch wirkt. Keine Spur von Hipster-Allüren, keine Yeah-Ich-Bin-Beim-Illegalen-Rave-Dabei-Kids. Im Hostel sind alle ziemlich verkatert und schon gefühlte drei Monate hier, nationalitätentechnisch schließt sich der Bogen: Es läuft Chinese Man, die Franzosendominanz ist nicht zu verkennen.
Ich starte einen kleinen Rundgang, überquere die 19-spurige Straße hinüber zum Supermarkt, wechsele zu einem sehr agressiven Kurs meine letzten Dollar und bemerke schnell, das dies keine Stadt für Menschen ohne Kreditkarte ist: Challenge accepted. Dafür ist die Stadt voller Energie und exaltierter Menschen, und trotz der extremen Dimensionen nicht chaotisch überfüllt. Es fühlt sich an, als ginge es über das klassische Großstadtphänomen der extremen äußerlichen Individualisierung hinaus. Klar, dass hier ist schon eine
Hardcore-Modestadt. Aber es ist mehr als das: It makes you wanna dance. Passend gibt es direkt vor meinem Hostel dann auch Streetdance, ein paar Trommler geben den Rhythmus vor.
Nach einem ruhigen Abend erkundige ich die Stadt am nächsten Tag zu Fuß; die Begeisterung hält an. In der Nähe des Plaza de Mayo gerate ich in eine Demo. Mir ist zwar nicht ganz klar, wofür oder wogegen, aber da ich den gleichen Weg habe, laufe ich ein Stück mit. Der Hunger treibt mich anschließend zurück ins Hostel, auswärts essen ist leider nicht mehr drin. Den Spanisch-„Crush Course“ habe ich glücklicherweise nicht mehr nötig, wie mir die Essenskonversation mit Rodolfo, einem Kolumbianer beweist: Besser als zu Beginn ist mein Spanisch in jedem Fall.
Anlässlich des letzten Tages meiner Reise trägt der argentinische Himmel Trauerflor. Irgendwann hört der Regen jedoch auf, so dass ich einen letzten Erkundungszug gen Norden Richtung Cimeterio und die Stadtteile Recoleta und Palermo unternehmen kann. Luxuriöse Einkaufszentren und ein paar S-Klassen deuten auf die soziale Schicht dieser Viertel hin; der Prunk stößt mich ab. Und auch der Friedhof hat etwa so viel Atmosphäre wie eine Tiefgarage. Zumindest werde ich meine Postkarten zu umgerechnet 2 € Porto
pro Stück los.
Grade als ich beginnen will, meinen letzten Abend voll Pathos auf dem Hostelsofa schreibend zu verbringen, hält Buenos Aires noch eine Wendung für mich bereit. Die Holländerin, die ich des morgens kennengelernt habe und die scheinbar mit gesunder Gönnerader ausgestattet ist, holt mich an die Bar und gibt mir erstmal ein Bier aus. Nach dem Dritten habe ich schließlich meine letzte Backpacker-Lektion der Reise gelernt: Wenn du etwas ausgegeben oder umsonst bekommst, nimm es an. Was auch immer. Wo auch immer. Die Stimmung ist sodann auch abschiedsabendstauglich – wir unterhalten uns auf spanisch, englisch und schließlich ob der vielen Franzosen wieder auf französisch, trinken, spielen Pool mit Blick auf die nächtliche Calle Lima. Zur Krönung lerne ich von der Holländerin noch ein bisschen Krav Maga – für den nächsten Überfall bin ich nun pünktlich vorbereitet. Obgleich dieser nicht mehr hier statt finden wird: Bis zum Gate am Flughafen geht alles glatt, die Passkontrolle inklusive Fingerabdruck und Verbrecherfotos liegt hinter mir und pünktlich kommt der Aufruf für Flug LH 751 nach Frankfurt/Main.
Bogota war als Start fantastisch. Aber das ist hier ist eine andere Klasse. Es ist mehr als ein großartiges Finish. Ich gehe die Gangway
hinunter, und durch jedes Fenster scheine ich eine Erinnerung an die letzten 8 Wochen zu Erblicken. Goldene Sonnenuntergänge, zerklüftete Andenlandschaften, karibisches Meer, chaotische Großstädte...
Ok, just kidding. Wir sind hier ja nicht in Hollywood. Ich sehe den bedeckten Himmel durch die Fenster, als ob mich Buenos Aires schon auf deutsches Oktoberwetter vorbereiten will. Und doch halte ich aus leicht pathetischer Sentimentalität kurz inne, ehe ich mich zu meinem Sitzplatz für die nächsten 12 Stunden begebe.
Die Welt dreht sich weiter. Mit mir. Unbemerkt. Und doch habe ich vielleicht einen schärferen Blick dafür bekommen, wohin sie sich und ich mich bewege.
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