Blog 12: „Come and work in Beijing – you gather more experience in 4 month than in 4 years in Germany“


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December 2nd 2012
Published: December 2nd 2012
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So, oder so ähnlich könnte die Werbebotschaft für deutsche Praktikanten lauten, die auf der Suche nach einem Auslandspraktikum sind. Schon nach 2 ½ Monaten in einem rein chinesischen Forschungsinstitut könnte ich über dieses Thema ein Buch schreiben, dass von der Seitenanzahl mit Joanne K. Rowlings Harry Potter Serie konkurrieren könnte. Unglaublich sag ich da nur.

07:45 Uhr

Der Wecker klingelt – oder was heißt der Wecker. Der ist hier in Peking so ziemlich die überflüssigste Erfindung, die es gibt. Alternativen, sanft aus seinen Träumen geholt zu werden, gibt es hier zu genüge. Etwa durch idyllisches Vogelgezwitscher oder das Rauschen der Blätter, die von einem lauen Wind hin und her geweht werden… Ok, kam das Glaubwürdig rüber? Wenn man das idyllische Vogelgezwitscher durch das früh morgens beginnende Hupen substituiert, dann kommt es der Realität schon ein bisschen näher. Auch das Rauschen der Blätter hört sich eher an, wie ein tiefes Grummeln aus dem Oberkörperbereich eines Chinesen, bevor man seinen Grünen dann regelrecht am Boden aufplatschen hört. Aber – Paradies ist schließlich, was in deinem Kopf passiert.

08.45 Uhr

Geduscht, gestriegelt und bereit, einen neuen ereignisreichen Tag anzugehen, mache ich auf meinen 15 minütigen Fußmarsch von meiner Wohnung zur Arbeit. Mit meinen Kopfhörern und motivierender Musik werden auf dem Weg zwei meiner neuen Freunde (uniformierte Wachposten vor Gebäudekomplexen) mit einem Handschlag und einem „Ni hao“ begrüßt. Alleine das schon von weitem zu sehende Strahlen der beiden Wachposten ist Grund genug, jeden Morgen denselben Weg abzulaufen. Anschließend geht es in eine Art Bäckerei, um mir mein morgendliches Sandwich zu kaufen – so langsam verstehe ich sogar die Zahlen, die mir von den Kassiererinnen an den Kopf geschmissen werden.

09.00 Uhr

Ankunft im Büro. Frühstücken, Computer hochfahren und gespannt sein, was in der nächsten viertel Stunde auf einen zukommt. Und falls es doch 20 Minuten gehen sollte, bis der erste Arbeitskollege neben mir steht, werden Mails abgerufen. Dies kann sich jedoch bei dieser Internetgeschwindigkeit auch gut und gerne zu einer Tagesaufgabe entwickeln. Zum Vergleich: Das Schweizer Arbeitstempo ist dagegen Speedy Gonzales auf Drogen. Das kuriose dabei ist, dass die Arbeit hier zu 90 Prozent am Computer stattfindet. Also falls der neue Chef hier (Xi Jinping) vielleicht mal auf die Idee kommen sollte, das Internet nicht mehr durch die chinesische Firewall zu verlangsamen, könnte denke ich innerhalb kürzester Zeit eine Effektivitätssteigerung von ca. 100 Millionen Prozent erreicht werden.

9.30 Uhr

Eine Mitarbeiterin kommt zu mir an den Schreibtisch und fragt mich ob ich ihr mal schnell in den Meeting Raum folgen könnte. „Selbstverständlich“ sagte ich und dachte mir, dass mal wieder so ein „Very important Meeting“ ansteht. Dieser Begriff wird hier meiner Meinung nach nämlich etwas inflationär verwendet. Gleich als ich hier in Peking ankam, war das so ziemlich das erste, was ich hörte. „Please be on time tomorrow morning, we will have a very important meeting at 9.30am. We want to introduce you to our colleagues.” Ok – soweit kein Problem. Der nächste Morgen: pünktlich um 9.30 Uhr einmarschiert, fragte ich meine Person des Vertrauens (Fan Pu), ob ich zu spät sei und das Meeting schon begonnen habe. Er antwortete: „Meeting? Is a meeting scheduled?“ Daraufhin ging er zum Chef und kam mit der Nachricht zurück: „Ahh, Meeting. Yes. We will start in 15 minutes.” So viel zum Thema „very important“ und Organisation – und das ist nur EIN Beispiel.

Nun aber wieder zurück zum Thema. Ich folgte ihr also in den Meeting Raum. Dort angekommen fragte sie mich, ob ich ihr einige Grafiken erklären könnte, die ich ihnen im Rahmen unseres Projektes hab zukommen lassen. Lustiger weise waren wir nicht die einzigen im Meeting Raum. Es schauten mich noch weitere 16 wissbegierige Augen an, um mehr über diese Grafiken zu erfahren. Nach kurzem überlegen, was sie denn jetzt genau von mir wollten, schnappte ich mir Filzstift, Flipchart und Beamer und erklärte der Gruppe in 2 Stunden die Grafiken, die ich jedoch selbst auch erst zwei Tage davor zum ersten Mal gesehen hatte. Von dem Moment an war auch der nächste Unterschied zum deutschen Arbeitsverhalten festzustellen. Planung? Vorbereitung? Pustekuchen! Flexibilität wird in Deutschland zwar gepredigt – hier wird sie jedoch gelebt.

11.30 Uhr:

Lunch Time. Gemeinsam geht es auf zur naheliegenden Universität in die Mensa. Es ist auf einer Seite zwar etwas rustikal und chaotisch, auf der anderen Seite aber auch sehr spannend zu beobachten. Links und Rechts stehen tausende von Chinesen in der Küche vor ihren Woks, aus denen unglaublich hohe Flammen empor steigen, um die hungrigen Studenten zu befriedigen. Insgesamt gibt es in dieser Mensa 4 Stockwerke, in denen jeweils eine üppige Vielfalt an Essen angeboten wird. Mittlerweile benötige ich nicht einmal mehr Fan Pu, um mir etwas zu Essen zu bestellen. Als ich jedoch das erste Mal selbst bezahlte, beobachtete ich danach die Kassiererin, wie sie mit Fan Pu scherzte. Als er im Anschluss zu mir an den Tisch kam, fragte ich ihn, über was sie sich denn unterhalten hatten. Er meinte, dass sie mich ja jetzt mittlerweile kennt und mich deshalb nicht abgezogen und einen höheren Preis verlangt hat – denn Ausländer zu verarschen wird in China quasi als Volkssport angesehen. Egal wann, egal wie, egal wo. In den meisten Fällen wird ein höherer Preis verlangt. Natürlich nicht überproportional, aber selbst wenn es nur ein Yuan ist, den wir Ausländer dann im Endeffekt mehr bezahlen, wird das von den Chinesen gefeiert, als hätten sie die Fußball WM gewonnen. Und um nochmal kurz auf das Essen zu sprechen zu kommen – mittlerweile darf ich glaube ich behaupten, mich in der Küche hier ein bisschen auszukennen. Allen Vorurteilen zum Trotze ist das Essen eines der Dinge, die mir hier definitiv am besten gefallen. Natürlich ist es anders als in Deutschland – aber gut.

12.00 Uhr:

Wir machen uns zurück auf den Weg ins Büro. Nächster Tagesordnungspunkt: Tischtennis spielen. Ja, es hat zu Beginn ein, zwei Spiele gedauert, bis ich die Murmel wieder getroffen hab – aber seit dem leiste ich mir erbitterte Kämpfe mit meinem Chef. Mittlerweile habe ich mitbekommen, dass man hier in China seinen Chef wohl aus Respektgründen ein paar Mal gewinnen lassen sollte..Mh.. Nunja - blöderweise trage ich nun mal den Sportsgedanken in mir und werde ganz sicherlich niemanden gewinnen lassen, nur weil er mein Chef ist. Offensichtlich ist das jedoch nicht die beste Haltung, die man hier haben kann. Jedes Mal, wenn er wieder auf mich zukommt und mich zum Duell herausfordert, redet er ein paar Stunden danach nicht mehr mit mir. Aber auch das geht wieder vorbei. Im Endeffekt muss ich den Chinesen ja zeigen, dass sie nicht das einzige Volk sind, welches Tischtennis spielen kann.

Kurz darauf geht es wieder in unseren Arbeitsraum, indem Standards gemäß mehr als die Hälfte meiner Arbeitskollegen den Kopf auf den Tisch gelegt hat. Anfangs dachte ich, „wow, die denken aber angestrengt nach“, bis ich relativ schnell herausfand, dass sie nicht nachdenken, sondern ihren obligatorischen, halbstündigen Mittagsbubu auf dem Schreibtisch abhalten.

13.30 Uhr:

Beginn der zweiten Hälfte des Tages. Und wieder warte ich gespannt an meinem Schreibtisch, bis die nächste Überraschung auf mich zukommt. Und wie erwartet – es dauert nicht lange. Dreimal dürft ihr raten. Richtig! Ist meeting time! Und um das Ganze für meine chinesischen Mitarbeiter einfach zu halten, wird es selbstverständlich auf Chinesisch geführt. Die grobe Zusammenfassung bekomme ich dann von meiner Person des Vertrauens auf Englisch übersetzt.

Mein Lieblingsbeispiel ist das Meeting, 4 Tage bevor wir uns zum Workshop nach Shanghai aufgemacht haben. Es lief ungefähr so: Chinesisch, chinesisch, chinesisch, chinesisch, Gelächter, chinesisch, chinesisch (bis es sich für mich nur noch wie ein monotones Brummen angehört hat), chinesisch, Philippuo, Gelächter (ich mittlerweile wieder hell wach, weil ich meinen Namen zwischendrin wahrgenommen habe), chinesisch. Nachdem mich alle meine Arbeitskollegen anstarrten, fragte ich, um was es denn gehe. Schließlich meinten sie dann, dass ich doch die Präsentation in Shanghai halten könnte. Etwas überrascht meinte ich, ok – was genau ist denn der Inhalt der Präsentation? – Das wissen wir auch noch nicht. 2 Tage vor Abreise nach Shanghai fragte ich dann nochmal nach, ob wir nicht langsam die Präsentation besprechen könnten. Ein müdes „Take it easy“ hat mich dann für einen kurzen Moment vergessen lassen, dass ich hier den Praktikantenstatus genieße, und bat meine Kollegen, sich im Meeting Raum zu treffen, um den Inhalt der Präsentation zu klären. Vollkommen verwirrt schauten sie sich an, bis sie dann rausfanden, dass Fraunhofer in der Präsentation überhaupt keine Rolle spielt, sondern nur die Kooperation zwischen Beijing und einer finnischen Universität. Es ging nicht lange, bis ich ihnen deutlich machte, dass ich dann definitiv der falsche Mann für die Präsentation sei. Nach einer halbstündigen Diskussion fanden sie dann schließlich ein neues Opfer und verließen den Meeting Room. Selbstverständlich ohne Details geklärt zu haben. Aber von da an konnte ich dem Treiben aus einer neutralen und relaxten Perspektive zuschauen. Dann war ich wirklich derjenige, der es „easy taken“ konnte. Schlussendlich haben sie die Präsentation am Morgen bevor wir nach Shanghai fuhren zusammengewürfelt – ihr könnt euch vorstellen, wie die Präsentation ausgesehen hat – wobei: das scheint der Chinese Way of Presentation zu sein. Meine Arbeitskollegin war auf jeden Fall nicht die einzige, der neben dem „Powerpoint-Karaoke“ ein wenig Struktur in ihrer Präsentation gefehlt hat.

16.30 Uhr

Den Feierabend vor Augen schaue ich noch ein wenig in mein Chinesisches Lehrbuch, um meine unglaubliche Sprachkompetenz zu verbessern. Nachdem ich das gelesene in Worten mit meiner Arbeitskollegin üben will, schaut diese mich nur mit großen Augen an – erfolgreich ist definitiv anders.

17.30 Uhr

Feierabend.

Ein lehrreicher Tag geht zu Ende. Nicht in der Lage das Geschehene irgendwie zu verstehen und einordnen zu können geht’s auf den Weg nach Hause. Und das seit knappen 3 Monaten – jeden Tag.

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11th December 2012

Sehr gut!
Das was sehr spannend "Philippuo"! Und die Struktur ist sehr schön gemacht, sehr anschaulich. In Deutschland erlebt man auch viel,obwohl alles relativ ist. Klar, dass in EU-Länder Unterschiede nicht so groß sind. Aber wie bekannt alle Leute und Kulturen sind unterschiedlich, alle haben die Besonderheiten, die man mag und die, die eher nicht. Ich glaube am Ende hast du auch viele positive Eindrücke!

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