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Published: September 17th 2012
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Im Bus nach Piura zeigt sich wieder mal das bekannte Bild: Niemand liest. Nicht einmal yellow press. Dafür läuft ecuadorianisches Radio mit Grüßen an Großfamilien und sensationshysterischen Nachrichten über ein Fabrikunglück in Pakistan. Seltsamerweise wird jeder Satz wiederholt, vielleicht um dem Ganzen mehr Dramatik zu verleihen. Dazwischen kommt Cumbia-Musik in Diskolautstärke, die jede andere Tätigkeit unterbindet. Obgleich es eine internationale Verbindung ist, fahren wir über ungeteerte Straßen und halten in jedem Bergdorf. Der unspektakuläre Grenzübergang hält, was der Guide verspricht: Ecuador-Peru in 5 Minuten, Off-the-beaten-track-Reisen zahlt sich aus.
Die Landschaft ändert sich auf den ersten peruianischen Kilometern von Mittel- bis Hochgebirge schlagartig zu staubiger Wüste. Überall liegt Müll, es stinkt und selbst die bewohnten Hütten sehen aus wie Ruinen: Mehr als den Ruhm arg vergangener Tage scheint es hier nicht zu geben. Immerhin stehen überall Schilder: Protejamos nuestro medio ambiente.
Nach knapp 8 Stunden Fahrt steige ich in Piura aus. Der Fahrer muss sich verfahren haben, wir sind in Indien gelandet: Überall TukTuks, Basar-ähnliche Märkte sogar Rikschas. Die Taxis sind alle hart zu Schrott gefahren, hingegen sehen die vielen VW-Käfer noch ganz anständig aus. Es geht wiedermal kaum jemand zu Fuß, die Straßen sind natürlich völlig überfüllt. Auf der
Suche nach dem Bus nach Lima laufe ich an etwas dreißig Optikern vorbei, die alle Stolz Visa und Mastercard akzeptieren. Das Abheben bei BBVA kostet zum ersten Mal auf meiner Reise Gebühr, irgendwie müssen die Devisen ja ins Land. Es wird auch gleich klar, warum hier so viel Falschgeld im Umlauf ist: Die Scheine kann man sich daheim aus einem 49$-Tintenstrahldrucker ziehen, die Münzen sehen wie Fehlprägungen aus einem osteuropäischen All-In-One-Münzfälscherset aus.
Peru ist jedoch gleich sympathisch. Die Leute sind hilfsbereit und zu Scherzen aufgelegt, nach geschätzten zehn Mal nachfragen finde ich auch den Cruz-del-Sur-Busbahnhof. Der Erfahrung wegen buche ich die luxuriöseste Art, mich nach Lima befördern zu lassen: Die 14-Stunden-Nachtfahrt schlägt mit umgerechnet 35 Euro zu Buche.
Mich meines Gepäcks entledigt finde ich gleich ein exzellentes, wenngleich verhältnismäßig teures vegetarisches Restaurant. Ich beschließe, dass heute Luxustag ist und gönne mir ein 3-Gänge-Menü, gekrönt von einem frischen Obstsalat mit hausgemachtem Joghurt zum Abschluss: Die einfachen Freuden. Anschließend laufe ich durch die Innenstadt um ein wenig Peru-Feeling zu bekommen. Aus irgendeinem Grund bin ich auf einmal sehr glücklich, Essens- oder Sozial-Dopamin? Beim Konsum-Dopamin ist man hier jedenfalls schon weiter als in Kolumbien: Es gibt kombinierte Kaufhaus-Bank-Geschäfte: Im Vorraum stehen
die Objekte der Begierde (Kühlschränke, Fernseher, Motorroller), im Hinterraum sind Bankschalter zum Verhandeln der Konsumentenkredite. Auch bei Limonade ist Peru weit vorne: „Inkacola“ ist leider kein Coca-Cola-Substitut, sondern ein Zungentsunami aus über-süßer Brause. Die Nachrichten sind ebenso andere: Von pakistanischen Unglücken keine Spur, stattdessen „Chau Pizarro“ (Ironie der Geschichte), da dieser einen Elfmeter gegen das große Argentinien vergeben hat. Gäbe es doch nur Fußballnationen: Es würde keine Sensationshysterie und keine Kriege mehr geben, man stelle sich konkurrenzfähige syrische, iranische, chinesische oder US-amerikanische Fußballmannschaften vor.
Als ich meinen Rucksack abhole, fällt mir auf, dass mein Klau-Hint funktioniert hat: Die kaputte Digicam in der Gurttasche ist tatsächlich geklaut worden, sonst jedoch nichts. Beim Einstieg in den GPS-überwachten Bus werden wir gefilmt, wer mitfahren will muss gar seine Waffe abgeben. Wie selbstverständlich gehe ich nach oben, wo ich die Luxusklasse vermute. Weit gefehlt, in Peru wird der Weg des geringsten Widerstandes hoch geschätzt, daher sind die acht komfortablen Sessel im Séparée unten installiert. Für die beiden Geschäftsreisenden und mich gibt es 4 Flachbildschirme, eine eigene Stewardess und Bordtoilette und – natürlich – Internet. Im Hintergrund läuft „I really want this night to last forever“. Vor der Abreise folgen Sicherheitshinweise wie im Flugzeug,
wobei betont wird, dass das WC nur für „urinal action“ gedacht ist.
Nach dem Abendessen begebe ich mich ein bisschen auf WG-Suche, das Setting scheint mir adäquat (Ob ein „rissiger Balkon“, „jeder hat seine festen Aufgaben im Haushalt“ oder eine 4er-WG, die damit wirbt, dass „wir drei uns gesucht und gefunden haben“, ein großer Spaß). Beim zweiten Spielfilm des Abends gleite ich in sanften Schlummer und bin am nächsten Morgen ob der ersten Nachtbusfahrt meines Lebens, in der ich tatsächlich geschlafen habe, völlig perplex. Während ich meinen Espresso trinke, schaue ich aus meinem 7-Sterne-Bus in die diesige Armut vor dem Fenster. Itunes schafft mit „It's good to be king“ von Tom Petty den passenden Hintergrund. Am Ende gibt’s dann noch Bingo um die Rückfahrt, dass ironischerweise der „frequent traveller“ hinter mir gewinnt. Leider sind wir dann aber auch schon im unglaublich diesigen, wenig einladenden Lima, so dass ich sogleich die Weiterfahrt nach Ica organisiere.
Nach zwei weiteren Stunden Fahrt klart es endlich auf, der Blick wird frei für schöne Küstenformationen, Brandung und viel Sandwüste und Dünen. Als wir in Ica einfahren, ist es kurz nach 6 – und natürlich schon dunkel. Ich lasse mich vom lokalen Taxifahrerkartell vermutlich
ordentlich abziehen, komme jedoch eine Viertelstunde später in der Wüstenoase Huacachina in einem netten Hostel unter, welches mir nach hartem Verhandeln sogar nur die Nacht und nicht direkt ein Touri-Package verkauft. Das Dorf besteht eigentlich nur aus kleinen Hostels um einen charmanten, von Palmen gesäumten See, an dem ich gar einen vegetarischen Burger und erstaunlich leckeres Cusquena-Bier zum Abendessen bekomme. Nur im Dunkeln erahnen lassen sich die hohen Sanddünen, die direkt hinter dem Hostel in den Himmel ragen.
Auf meinem Zimmer treffe ich einen Inder, mit dem ich mich zunächst auf Spanisch, dann auf Englisch und schließlich auf Französisch unterhalte. Gut, dass er neben Indisch auch noch Japanisch, Italienisch und ein bisschen Deutsch spricht und nebenbei ein bisschen Polymer-Kunststoffforschung in Japan betreibt. Nach wertvollen Sandboarding-Tips verabschiedet er sich jedoch leider schon Richtung Lima und lässt mich mit meinen zwei latent weniger sprachgewandten österreichischen Bettnachbarn allein.
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