Vier Tage wandern in der Sierra Nevada: Ciudad Perdida / The Lost City Trek


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Published: April 9th 2018
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"Gibst du mir eines deiner Armbänder?", fragte das Kogi-Mädchen und zeigte auf mein Handgelenk. Gehüllt in ein einfaches Kleid oder besser gesagt einen Lumpensack (der wohl einst einmal weiß war, diese Zeiten aber längst vergessen hatte da die Farben der Sierra Nevada Teil seiner Zierde wurden) war der einzige Schmuck den sie trug ein dünnes weißes Armband und eine bunte Perlenkette. Der Halsschmuck dient zur Unterscheidung zwischen Mädchen und Jungen, erklärten unsere Guides, da die Gesichter der Kogi-Kinder wohl kaum zu unterscheiden wären. Tatsächlich tragen hier selbst die kleinsten Mädchen auffallenden bunten Halsschmuck. Als ich den Knoten eines meiner Armbänder lockerte, traute sie ihren Augen kaum und begann nervös um mich herum zu laufen. Ich versuchte ein paar Worte mit ihr zu wechseln, allerdings konnte sie kein Spanisch verstehen und ihre große Schwester musste übersetzen. Dass das Armband aus Kroatien stammt und mit mir um die ganze Welt gereist ist, war für sie völlig irrelevant. Ihre Welt ist die Sierra Nevada, das Armband ist für sie; das ist alles, was sie wissen wollte. Sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln und tanzte mit dem neuen Schmuckstück um ihre Geschwister, ehe sie sich aus Scham hinter den Größeren versteckte, da sie meine Sprache nicht verstand.

Armbänder haben in ganz Kolumbien Tradition und einen großen spirituellen Wert. Sie werden von allen Stämmen auf verschiedenste Weise produziert und bieten Schutz, Inspiration und Kraft. Das weiße Band, das die Kinder hier trugen, sollten wir später in der Ciudad Perdida vom Kogi-Schamanen überreicht bekommen, als Geleitschutz auf unserer Wanderung durch die Berge.

Jeder der indigenen Stämme Kolumbiens hat seine eigene Sprache. Hier in der Sierra Nevada, rund um die Ciudad Perdida, leben noch Familien der Stämme Kogi, Arhuaco und Wiwa, die aber auch gelernt haben etwas Spanisch zu sprechen um Handel zwischen den Völkern zu betreiben. Die Kinder, die wir getroffen haben, haben jedoch kaum mit uns gesprochen, sie waren einfach nur neugierig und freundlich.



Der Trek zur Ciudad Perdida - der verlorenen Stadt oder auch Lost City - führt über insgesamt vier Tage und 46 Kilometer zu einer der größten wiederentdeckten präkolumbischen Städte Südamerikas neben Machu Picchu (danke Wikipedia für diese Information). Da die Ruinen allerdings nur zu Fuß erreicht werden können, ist die Stätte weit weniger touristisch und in einem Jahr finden sich hier nur so viele Besucher wieder wie in Machu Picchu an einem Wochenende. Die Wanderung startet in einem kleinen Bergdorf in der Sierra Nevada das bereits nur mit 4WD (Allrad-Jeep) und erfahrenem Fahrer erreicht werden kann. Von hier aus startet der Trek, wobei mehrere Gipfel überquert werden und man sich schnell mit einem ständigen Bergauf Bergab abfinden muss. Schilderungen von der Wanderung reichen von "mittelschwer" bis "der anspruchsvollste Trek meines Lebens". Ich kann aus meiner Erfahrung sagen, dass der Trek auf jeden Fall lang ist, aber nicht sehr schwierig sofern man gute Schuhe und Ausdauer mitbringt. Die Guides leisten hervorragende Arbeit indem sie die Tagesetappen in "verdauliche Happen" einteilen, mit vielen Pausen und Erfrischungen. Sie passen sich dem Tempo der einzelnen Mitglieder der Truppe an, leisten Zuspruch, Unterhaltung und erzählen allerlei Wissenswertes zu Region und Kultur. Und somit war bei mir das Gefühl vom ersten bis zum letzten Tag dasselbe: Ich wollte mehr.



Man muss dazu sagen, dass wir wirklich Glück hatten mit dem Wetter. Die meiste Zeit war es leicht bewölkt, was das stundenlange Wandern bei 30°C und hoher Luftfeuchtigkeit erleichterte. Wir hatten nur einen heftigen Regenschauer am vorletzten Tag - bereits am Rückweg von der Ciudad Perdida. Dadurch war es für uns auch mehr oder weniger egal, wenn alles nass wird, immerhin waren wir dem Ende (und der nächsten Waschmaschine) schon sehr nahe. Der Weg erschwerte sich - für diejenigen unter uns die kein anständiges Schuhwerk hatten - um ein Vielfaches als der Regen binnen Sekunden den Boden aufschwemmte und sich alles in eine braune Brühe verwandelte. Für meine Salomon Trailcross (Achtung, freiwilliges PRODUCT PLACEMENT) war das alles gar kein Problem, ich war weiterhin spritzig unterwegs und habe jeden Schritt genossen. (Die Schuhe sind jetzt gerade bei meinen lieben Nachbarn in Taganga in "Behandlung" und erholen sich hoffentlich auch bald von diesem Schlammbad)



Unsere Gruppe setzte sich aus 6 chiquas und einem chiquo zusammen: Drei Franzosinnen, zwei Amerikanerinnen, zwei Britinnen, José und ich. Fast alle waren mehrsprachig, auf dem Trek wurde dadurch meist ausschließlich Spanisch gesprochen, viel Französisch, hin und wieder Englisch. Unsere zwei Guides, Melkis und Alexander, hatten außerdem Spaß daran neue Wörter und Phrasen zu lernen, und so ähnelte unser Trek einem ausgedehnten Sprachprogramm. Besonderen Spaß machte uns das Singen von Disneyliedern auf Spanisch, Englisch, Deutsch und Französisch, hier konnten wir schnell Parallelen finden, generationsübergreifend und tri-ligual. Für mich neu im Wortschatz und in dieser Woche essenziell: suzia, sudada, mojada, guácala (schmutzig, verschwitzt, nass und grausig).



Zwei Tage lang wanderten wir also bis wir uns am zweiten Abend, nach gut 12 Stunden Weg, in unserem letzten Camp vor der Ciudad Perdida einfanden. Tag zwei war anstrengend, weil wir hier viele Kilometer zurücklegten, mit der Aussicht bald am Ziel zu sein war das allerdings alles gut machbar. Genächtigt haben wir in einfachen Dschungelcamps, die für mein Empfinden aber einen super Standard hatten. Wenn man sich ein paar Berichte von anderen Reisenden anschaut, fragt man sich schon, was sich so mancher (deutscher) Wanderer mitten in der Sierra Nevada erwartet. Für mich ist das, was man hier geboten bekommt, angesichts der abgeschiedenen Lage und der fehlenden Transportmöglichkeit mehr als in Ordnung. Alles, was transportiert werden muss, muss hier immerhin stundenlang zu Fuß mit Hilfe von mulas (Maulpferden) bergauf und bergab durch den Dschungel getragen werden. Diese trifft man entlang des Weges immer wieder und staunt nicht schlecht über die Belastbarkeit der Tiere, die dennoch geschickt über Stock und Stein laufen.



An Tag drei erreichten wir, über 1.200 original Tayrona Steinstufen, die verlorene Stadt. Und kein Bild könnte diese Gefühl ausdrücken: Es ist unglaublich zu sehen, was diese Menschen vor mehr als eintausend Jahren hier errichtet haben, ohne moderne Technologien, Maschinen, Strom... Der Anblick versetzte uns alle in Staunen. Und auch hier muss ich ein dankendes Wort an unsere Guides richten: Wir als Gruppe wollten gerne ein paar Minuten alleine in der Ciudad Perdida verbringen, in Ruhe, jeder für sich, um Raum für Gedanken und spirituelle Momente zu schaffen. Also blieben wir so lange zurück bis die anderen Gruppen (ca. 30 Mann) aufgebrochen waren und verbrachten noch weitere 30 Minuten in Ruhe an diesem zauberhaften Ort. Ich nutzte diese Zeit für eine Meditation; allein auf einer der präkolumbischen Terrassen, mit Ausblick auf die scheinbar endlose Weite der Sierra Nevada. Meine Gedanken kreisten um die Schönheit des Augenblicks, aber auch um die traurige Gewissheit, dass ich mit meinen Erlebnissen allein bin. Niemand wird verstehen können, was es heißt, vier Tage durch den Dschungel zu wandern um die Energie dieser Stätte zu spüren, ihre Erde zu berühren und eins zu sein mit der atemberaubenden Natur, ging es durch meinen Kopf. Doch mit dem nächsten Atemzug hellte alles auf, ich konnte euch neben mir spüren, ihr wart hier bei mir in diesem Moment der Ruhe. Ich konnte es sehen, das zufriedene Lächeln in euren Gesichtern, konnte es hören, das leise Seufzen über den Anblick der Nebelwälder, konnte sie fühlen, die Hand auf meiner Schulter. Gefühlt war es nur ein Augenblick, ein Moment der all meine Kraft in die Berge der Sierra Nevada entweichen ließ. Als unser Guide die Gruppe wieder zusammenrief um aufzubrechen wurde mir klar, dass wir mindestens eine halbe Stunde hier verweilt waren. Den Rest des Weges legte ich schweigend zurück, mein Körper lief auf Auto-Modus, mein Kopf hing schwer, meine Energie blieb in der Anhöhe der Verlorenen Stadt zurück. So wie auch die Nächte davor schlief ich in dieser Nacht tief.



Auch am letzten Tag klingelte mein Wecker um 04:55. Um pünktlich 05:30 gab es Frühstück, ab 06:00 Uhr machten sich die ersten Gruppen auf den Weg. Dass wir wie immer die letzte Gruppe waren machte uns allerdings nichts aus, wir hatten zu viel Spaß am Frühstückstisch und zu viele gute Gespräche um in Eile aufzubrechen. Und doch wollte ich diesen Tag für mich alleine verbringen, die längste Etappe, den vollen Weg vom Schlusscamp bis zum Ausgangspunkt zurück, in Ruhe zurücklegen. Bei unserer ersten Pausenstation fragte ich also einen der Guides ob ich alleine gehen dürfte und als ich das GO bekommen hatte, gab es für mich kein Halten mehr. Vor mir lagen noch geschätzt 15 Kilometer Weg, es war 08:00 Uhr Früh und ich lief los. Die nächsten zweieinhalb Stunden bin ich ohne Unterbrechung gelaufen. Bergauf kam ich schwer ins Schnaufen, bergab lief ich vorbei an den anderen Wanderern, den mulas, den Pausenstationen, den Kogis. Begleitet von vielen leicht irritierten Gesichtern - die meisten Wanderer sehen anders aus, wenn sie auf der letzten Etappe in Richtung Bus wandern. Einige fragten mich besorgt ob alles okay sei, wieder andere jubelten mir zu. Ich fühlte mich ein bisschen wie Forrest Gump, es gab nichts das mich aufhalten konnte. Auf einmal war ich allein auf meinem Weg in dieser wundervollen Natur und je weiter ich nach vorne kam umso weniger Menschen traf ich auf meinem Lauf. So lange bis ich an der ersten Pausenstation des Treks vorbeikam, gute zwei Stunden später, wo der Besitzer mir nur zurief "Buen espíritu! 30 minutos más!" und laut applaudierte. An diesem letzten Teil der Strecke warteten auch Moto-Taxis um erschöpfte Touristen zurück zum Bus zu bringen. Einer der Fahrer fuhr eine Zeit lang neben mir her und bot mir an mich gratis mitzunehmen, als ich ablehnte lachte er nur und blieb noch kurz bei mir bis er die holprige Erdpiste entlang weiter fuhr. Am Ende um 10:30 Uhr beim Treffpunkt angekommen war ich "zweiter" im Ziel - ein Deutscher aus einer anderen Gruppe hatte dieselbe Idee, ist allerdings von Anfang an vorne weg gelaufen. Ich würde lügen wenn ich sagen würde, dass es für uns keine Genugtuung war, dass alle anderen erst Stunden später zum Ziel kamen. Die ersten Wanderer in Kleingruppen kamen gut eineinhalb Stunden nach uns an, meine Gruppe erreichte erst um 13:00 Uhr das Ziel. Wie immer waren sie die letzten, aber um keinen Deut weniger glücklich oder erfüllt.



Alles in allem war der Trek zur Ciudad Perdida eines der schönsten Erlebnisse meiner Reise, wie schon so oft hat einfach alles gepasst: Die Umgebung, die Menschen, die Ruhe. Eine Erfahrung die ich bald wieder machen möchte, auf einem längeren Trek und noch weiter von der Zivilisation entfernt. Vier Tage ohne Strom und Handyempfang waren erst der Anfang.



Ganz viele schöne Bilder gibt es wie immer weiter unten. Nehmt euch die Zeit, es lohnt sich.


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Wenn Kinder Kinder kriegen...Wenn Kinder Kinder kriegen...
Wenn Kinder Kinder kriegen...

...wir haben das Mädchen gefragt wie alt sie ist, sie sagt sie weiß es nicht. Laut unserem Guide ist es hier aber normal, dass die Mädchen mit 12 Jahren das erste Kind bekommen. Der Vater sei 16 Jahre alt.
Neues Vokabular: suzia, sudada, mojada, guácalaNeues Vokabular: suzia, sudada, mojada, guácala
Neues Vokabular: suzia, sudada, mojada, guácala

...zu Deutsch: schmutzig, verschwitzt, nass, grausig


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