Indianer und die Heilige Woche


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March 31st 2013
Published: April 1st 2013
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Ein Thema, das ich bisher großzügig ausgespart hab, ist Religion. Ich mag nicht so gerne darüber schreiben, weil ich niemandem auf den Schlips treten will. Aber nach der sogenannten Semana Santa - der heiligen Woche - komme ich nicht drum herum doch mal ein bisschen über religiöse Bräuche in Brasilien zu erzählen.

Die Mehrheit der Brasilianer ist katholisch, dazu kommen einige evangelische Kirchen, Pfingstkirchen, afro-brasilianische Glaubensrichtungen (die bekannteste davon wohl Candomblé, was sehr grob erklärt eine Mischung aus afrikanischem Spiritismus und christlichen Bräuchen ist) sowie eine Unmenge von Sekten, die mehr oder weniger verbreitet und erfolgreich sind, aber an jeder Ecke und in jedem Dorf anzutreffen sind.

In Brasilien kann man keinen Tag verbringen, ohne mit dem typischen "Gottes-Vokabular" in Berührung zu kommen: vom auch bei uns nicht unüblichen "Gottseidank" über ständige Wünsche wie "Gott segne dich", "Jesus sei mit dir", "Geh mit Gott" bis hin zum Lieblingsausspruch aller Brasilianer "Se Deus quiser", was so viel bedeutet wie "wenn Gott will". Kleines Anwendungsbeispiel: Wenn ich zur Uni aufbreche und mich von Oma mit den Worten "Bis später" verabschiede, antwortet sie garantiert mit "Se Deus quiser". Alle Aussagen, die in irgendeiner Form mit der Zukunft zu tun haben, und sei es nur in den nächsten 5 Minuten, werden mit diesen 3 Worten kommentiert. Sehr gewöhnungsbedürftig. Aber ich schätze, das ist hier für die meisten so ein Automatismus, wie für mich "Gesundheit" zu sagen wenn jemand niest.

Nun aber zur heiligen Woche. Und zwar ist das die Woche vor Ostern, sprich von Palmsonntag bis Ostersonntag. Die katholische Kirche schreibt in dieser Woche einige sehr spezielle Dinge vor (zumindest hier in Brasilien, weiß nicht wie das in anderen katholischen Ländern ist). Habe leider keine vollständige Liste gefunden, aber ich denke die Beispiele, die ich erleben durfte und von denen ich gehört habe, genügen auch zur Illustration. Also erst einmal darf man während der ganzen Woche kein rotes Fleisch essen, an manchen Tagen auch nur Fisch. Alkohol ist ebenfalls die ganze Woche verboten, manche verzichten auf sämtlichen Süßkram. Es gibt spezielle Vorschriften für bestimmte Tage, zum Beispiel auch über die Art zu beten. Am Mittwoch darf man sich nicht duschen oder überhaupt waschen, richtig Radikale putzen sich wohl nicht einmal die Zähne. Der Karfreitag ist der strengste Tag, da ist so ziemlich alles verboten, was Spaß machen könnte: Musik hören, singen, pfeifen, sich im Spiegel ansehen, schminken, von küssen und Sex ganz zu schweigen. Ich muss schon sagen, das wäre mir ein zu trauriges Leben, auch wenn es nur für ein paar Tage ist. Aber umso faszinierender fand ich, wie viele dieser Regeln meine Gastfamilie tatsächlich eingehalten hat.

Trotz "Spaßverbot" war ich am Karfreitag mit Carol, Rodrigo, Guilherme sowie zwei befreundeten Pärchen abends an der Strandpromenade unterwegs. Danach sind wir sogar noch in eine Pizzeria gefahren und haben uns ganz frech über das Fleischverbot hinweggesetzt und haben Pizza mit Hühnchen und Schinken bestellt. Na wenn ich dafür mal nicht ins ewige Fegefeuer komme!

Vorlesung hatte ich übrigens nur am Montag, die am Dienstag ist ausgefallen, mittwochs habe ich ja eh frei und ab Donnerstag war langes Wochenende an der Uni. Dafür ist Ostermontag hier kein Feiertag und die kommende Woche wird nochmal sehr stressig. Habe noch eine wichtige, große Präsentation, eine Prüfung, für die ich noch NICHTS gemacht habe, und ein paar Hausarbeiten. 😞

Heute Morgen wurde ich von Carlos geweckt, der persönlich bei uns zu Hause aufgekreuzt ist, nachdem er mich morgens um 8 nicht auf dem Handy erreicht hat (ich meine, es ist ja auch unverantwortlich, sein Handy über Nacht lautlos zu stellen und dann so lange zu schlafen). Allerdings muss ich diesmal zugeben, dass der Grund ein guter war: er wollte in ein nahegelegenes Indianerdorf fahren und wusste, dass ich da sehr gerne mitkommen wollte. Ich mich also innerhalb von 5 Minuten fertig gemacht und dann sind wir zusammen mit seiner Frau losgefahren. Als wir nach einer knappen halben Stunde ankamen, war ich erstmal ein bisschen enttäuscht. Da waren gerade mal 2 Häuser und ein überdachter Versammlungsplatz. Aber wir sind sofort mit den Bewohnern ins Gespräch gekommen und alles hat sich aufgeklärt. Das Dorf ist von den Tabajara-Indianern, die auf diesem Land gelebt haben, bis die europäischen Siedler und die brasilianische Regierung es ihnen weggenommen haben. Sie mussten sich in die (Vor)Städte flüchten, wo die meisten bis heute in ärmlichen Verhältnissen leben, oft in Favelas, und schlecht bezahlte Jobs haben. Nach einem jahrelangen Kampf haben sie letztes Jahr einen Teil ihres Landes wieder zugesprochen bekommen. Seitdem wird versucht, ein Dorf aufzubauen, denn viele wollen aus der Stadt raus und zurück zu ihren Wurzeln.

Heute wurde eine Dorfversammlung abgehalten über die Zukunft der Tabajara-Familien und um über die erst im Januar gegründete Organisation zur Unterstützung der indigenen Bevölkerung der Südküste Paraíbas zu sprechen. Dafür war auch einer der Gründer da, einige Mitglieder des Stammes waren ebenfalls in die Entwicklung der Vereinigung involviert. So hat fast jeder der Anwesenden eine kleine Rede gehalten über das, was die Organisation erreichen will, wie sie funktionieren soll, was die Familien wollen usw. Einige haben sich dafür sogar die traditionelle Stammeskleidung (Ketten, Federschmuck und eine Art Baströckchen) übergeworfen. Alles in allem unglaublich interessant. Zum Beginn und Abschluss der Versammlung wurde auch gesungen und getanzt, total super! Letztendlich hatte ich also doch noch meine so sehr gewünschte Indianerbegegnung. Aber zu hören und zu sehen, wie sehr sie für die einfachsten, selbstverständlichsten Rechte kämpfen müssen, hat mich auch irgendwie traurig gemacht. Am liebsten hätte ich mich sofort an den Projekten der Organisation beteiligt, aber innerhalb von 2 Wochen kann ich da wohl nicht mehr viel bewegen 😞 Aber immerhin habe ich den Kontakt zu einem der Tabajara-Mädchen und zu dem Gründer der Organisation, so kann ich immer auf dem Laufenden bleiben, was den Fortschritt des Dorfes angeht.

Wie schon Weihnachten war nun also auch mein Ostern einmal total anders. Aber sehr schön und aufregend. Außerdem beginnt morgen mein letzter Monat hier, kaum zu glauben, dass ich in weniger als 3 Wochen schon in Deutschland sein werde!




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