Sanandita - die etwas andere Idylle


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Published: June 14th 2009
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So meine Lieben,

jetzt war ich zum zweiten Mal in der Gemeinde Sanandita beim unserem Tourismusprojekt. Diesmal bin ich mit 2 neuen Volontärs (Naila, 33 aus Kanada und Cynthia, 28 aus Deutschland) gereist. Da es für mich bereits das zweite Mal war, war ich für den Transport und Abwicklung zuständig. Alles hat ganz gut geklappt (der Transport von Cochabamba nach Sanandita ist immer ziemlich abenteuerlich, mit 12 Leuten im oder auf dem Taxi und Taxis, die aussehen, als würde sie gleich auseinander fallen, die Rückspiegel schauen auch schon mal in die falsche Richtung…) bis wir in San Gabriel, dem letzten Ort vor Sanandita angekommen waren.

Dort hat sich dann herausgestellt, dass bis dato niemand aus der Gemeinde zu erreichen war (Juanito hat eigentlich ein Handy, aber in Sanandita gibt es keinen Empfang). Also warten wir 2 Stunden in einem kleinen „Restaurant“, bis Alan schlussendlich doch jemanden erreicht, der uns dann mit dem Einbaumboot nach Sanandita bringen kann. Ich organisier noch ein Taxi und nach 1 Stunde Fahrt treffen wir dann Juanito am Puerto Bolo. Irgendwie ist diesmal alles ein bisschen konfus und wir werden an diesem Tag noch keiner Familie zugeteilt. Also essen wir wieder bei Juanito und Valeria - es gibt Fisch mit Reis und Platanos, die andere Hälfte des blutigen Fisches zeigt sie uns ganz stolz während dem Essen 😊

Danach sehen wir den Jungs beim Fußballspielen zu und schlussendlich stellt uns Juanito unseren „Guide“ für die nächsten Tag vor. Silviano, der aussieht wie 14. Ich denk mir, vielleicht hat sein Vater keine Lust, sich um uns zu kümmern, deshalb darf diesmal der Junge den Guide spielen. Am nächsten Tag holt uns Silviano bei unserer Cabaña zum Frühstück ab. Wie sich herausstellt ist Sliviano bereits 19 und hat mit seiner 19jährigen Freundin Isabel ein 1jähriges Kind (Brisney). Die drei wohnen gemeinsam mit der Schwester (Miri) und dem Bruder von Isabel in einer kleinen Hütte am Beginn der Gemeinde. Isabel scheint mit ihren 19 Jahren den Haushalt ziemlich gut im Griff zu haben. Auch scheinen hier die Rollen etwas anders zu verteilt. Bei Juanito und Valeria war ganz klar, dass Juanito hier in jeder Hinsicht das Sagen hat. In dieser Familie scheint aber Isabel die Hosen anzuhaben. Sie ist extrem nett und offen, fragt viel nach und erzählt auch Einiges. Die kleine Brisney kann sich bis zum Schluss nicht mit uns anfreunden und fängt sofort zu weinen an, wenn wir nur in ihre Richtung blicken 😊

Am ersten Tag helfen wir den Männern, die neue Touristencabaña fertig zu stellen. Wir ziehen mit 5 oder 6 mit Manchetten bewaffneten Männern in den Wald und schlagen uns durchs Unterholz. Allesamt haben einen Riesenpatzen Kokablätter im Mund und da die Leute hier sowieso immer die letzten Buchstaben der Wörter verschlucken wird es jetzt mit dem Kokagenuschle noch schwieriger sie zu verstehen. Doch besonders mit Juanito kann ich mich jetzt schon ganz gut unterhalten.

Wir suchen ziemlich lange nach geeigneten Bäumen und Palmwedeln für das Dach der Cabaña. Irgendwann werden wir fündig und mit wenigen kraftvollen Axtschlägen fällt der erste Baum zu Boden, dass die ganze Erde bebt. Gemeinsam mit Silviano schneiden wir die Palmwedeln vom Stamm und schleppen anschließend die großen Palmwedeln aus dem Wald (wir nehmen maximal 2 auf einmal, die Männer schleppen ich glaub bis zu 10…)

Anschließend sehen wir den Männern zu, wie sie geschickt auf den Dachstuhl der Cabaña klettern und einen Palmwedel nach dem anderen festmachen. Es ist echt unglaublich, wie sie es schaffen, ohne einen einzigen Nagel eine ganze Cabaña zu konstruieren. Am Nachmittag ziehen wir bereits um. Ganz fertig ist sie zwar noch nicht, aber wir können schon darin schlafen 😊
Danach gehen wir alle gemeinsam Baden. Diesmal fahr ich mit Isabel, Miri und Brisney an den Strand gegenüber des Puertos (wo wir das letzte Mal baden waren). Cynthia und Naila haben keine Lust. Ich plantsche mit den 3 Mädels im seichten Wasser.

In den nächsten Tagen gehen wir gemeinsam Fischen - Isabel erwischt einen ziemlich großen Fisch (Silviano hat kein großes Glück, er hat offensichtlich einen ziemlichen Kater vom Vortag - darauf komm ich später noch zurück) der fürs Mittagessen und Abendessen reicht. Gemeinsam mit Isabel gehen wir Yuka ernten und machen Chicha - ein traditionelles Getränk hier, dass aus Yukabrei, einer Mehl-Wassermischung und ein bisschen Zucker gemacht wird. Dieses Getränk fängt schnell an zu gären und ist bereits nach wenigen Tagen ziemlich stark.

Ich verliere jegliche Berührungsängste mit toten Tieren bzw. frischem Fleisch und helfe beim Zerstückeln des Fisches oder des Jochis (ein kleines Nagetier), welches Juanito im Wald erlegt hat. Der nächtliche Trip um Caimane zu beobachten war wieder unbeschreiblich. Diesmal bei Vollmond und einem sternenklaren Himmel. Der Wald spiegelt sich unglaublich schön im Fluss, man weiß gar nicht, wo der Wald anfängt und das Wasser aufhört. Ich hab mich wie bei einem Familienausflug gefühlt. Silviano hat das Boot gesteuert, Miri und Isabel mit den Taschenlampen nach Caimanaugen (die im Taschenlampenlicht leuchten) gesucht und Brisney hat seelenruhig am Boden des Bootes geschlafen.


Nun zum weniger idyllischen Teil unseres Aufenthaltes:
Dieses Wochenende wurde der 21. Geburtstag eines Jungen der Gemeinde gefeiert, deshalb ist von Samstagmorgen bis Sonntagabend durchgehend laute Musik zu hören (da die Cabañas ziemlich nahe beisammen stehen ist die Musik hier überall zu hören). Sie hören hauptsächlich spanisches Gesülze über amoooor, oder schlechte „Diskomusik“ aus den 80ern und 90ern. Von Alan weiß ich, dass, wenn die Leute hier trinken, sie nicht zum Beispiel nur am Abend zum Feiern trinken, sondern quasi durchtrinken. Trotzdem überrascht es mich, als ich sehe, wie sich um 11 Uhr morgens den Lehrer der Gemeinde kaum noch auf den Beinen halten kann. Oder am Montag um 10 Uhr morgens, 2 unglaublich betrunken Gemeindemitglieder an unserer Cabaña vorbeikommen und sich mit uns unterhalten wollen. Ich versteh fast kein Wort, als sie gehen wollen, fällt einer der beiden über seine eigenen Beine und der Länge nach hin. Als wir an einer der Hütten vorbeikommen, sehen wir, wie einer der Männer seine Frau grob ins Gebüsch und zu Boden stößt. In dieser Nacht schlafe ich nicht sehr gut.

Die Problematik hier in dieser Gemeinde spannt sich über ein so weites Feld, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll…
Die Yuracaré Indianer waren bis ca. 1970 Nomaden. Durch das Vordringen der Zivilisation und der Rohdung der Regenwälder wurde ihr Lebensraum stark eingeschränkt, bis sie sich schließlich am Rande des Nationalparks Isiboro Secure am Ufer des Flusses Isiboro niederließen und die Gemeinde Sanandita gründeten. Zusätzlich durch den zunehmende Kontakt mir der Zivilisation kam es zu einem kultureller Wandel, der auch jetzt noch im vollen Gang ist.

Es gibt verschiedene Yuracarésiedlungen in 4 verschiedenen Dpartamentos von Bolivien auf die sich die ca. 3000 Yuracarés aufteilen. Die kleineren Gruppierungen haben sehr spät angefangen, sich zu organisieren, deshalb gibt es auch kaum politische Vertretungen der kleineren indigenen Gemeinden. Auch die geographische Situation macht eine einheitliche Vertretung des gesamten Yuracaré Stammes nicht gerade einfacher.

In Bolivien gibt es 36 verschiedene indigene Gruppen. Nur 2 davon sind die Aymara und Quetschua, die sehr gut organisiert sind und durch den Präsidenten Evo Morales vertreten werden.
Problematisch ist, dass es auch innerhalb der indigenen Gruppen zu Diskriminierung kommt. Wenn wir zum Beispiel von Sanandita mit den Kanus zum Puerto Bolo fahren um dort mit dem Taxi weiter nach San Gabriel zu fahren, verschwinden die Gemeindemitglieder, die uns begleiten immer kurz im Gebüsch und wechseln ihre manchmal vom Kanufahren etwas schmutzige und nasse Kleidung und ihre Flip Flops gegen Jeans, Schuhe und goldene Uhren. Auch sprechen die wenigsten Eltern noch Yuracaré mit ihren Kindern - zum Beispiel in der Schule in San Gabriel wird ausschließlich Spanisch und Qetschua unterrichtet. Seitens der anderen indigenen Gruppen gibt es kaum Wertschätzung gegenüber der Yuracaré-Kultur. (Deshalb ist es zum Beispiel ein wichtiger Aspekt des Turismo Dual-Projektes, dass die Yuracarés eine Wertschätzung ihrer eigenen Kultur durch den Tourismus erfahren.)

Mit dem kulturellen Wandel und dem zunehmenden Kontakt zur Zivilisation gehen natürlich die üblichen Probleme eines Kulturkonflikts einher. Klar werden in San Gabriel billige Plastikschüsseln eingekauft, anstatt selbst welche aus Holz zu machen. Natürlich kaufen sie sich Jeans und T-Shirts, interessieren sich für Radio und Fernsehen, für Cola, Chips und Lutscher und natürlich auch für Bier und Rum.
Eine logische Konsequenz aus all dem ist, dass hier niemand mit dem Müll, Plastikflaschen, Aludosen, Batterien etc. umgehen kann und diese Dinge gleich wie der sonstige Küchenabfall einfach hinter die Hütten geworfen werden. Eine logische Konsequenz ist auch, dass der Umgang mit Alkohol hier tief greifende Probleme nach sich zieht.
Durch die Umstellung vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit verteilen sich die Rollen innerhalb der Gemeinde auch anders. Die Frauen sind den ganzen Tag mit den Kindern, Kochen, Haushalt etc. beschäftigt. Großteils kümmern sie sich auch um die Instandhaltung der kleinen bebauten Äcker und begleiten ihre Männer zum Fischen. Die Hauptaufgaben der Männder sind Fischen, ganz selten Jagen, alle 3 Monate Koka ernten und hin und wieder Instandhaltungsarbeiten bei den Cabañas durchführen oder alle paar Monate eine neue Cabaña zu konstruieren. Neben diesen Arbeiten bleibt extrem viel Freizeit. Diese wird leider häufig damit verbracht, sich mit den anderen Männern der Gemeinde zu treffen und zu trinken.

Zudem kommt das Problem mit dem Koka. Koka ist die Haupteinnahmequelle der Yuracarés. Legal darf jeder ein Kokafeld von 40x40 Meter besitzen (so genau wird das allerdings nicht genommen - bei unseren Streifzügen durch den Wald stoßen wir immer wieder auf kleinere oder größere Kokafelder). Trotzdem sind die Yuracarés aber auf einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Wald - ihrem Lebensraum - bedacht. Im Gegensatz dazu gibt es noch die Cocaleros (Kokabauern - hauptsächlich Quetchua oder Aymara) die das perfekte Klima in Chapare (hier gedeiht alles, von Ananas, über Bananen, bis zu Plátanos, Grapefruits, Äpfel, Yuka oda Papaya und natürlich Koka) für den Kokaanbau nutzen wollen. Die Cocaleros drängen zunehmend in Richtung Nationalpark Isiboro Secure und roden den Wald um Koka anbauen zu können.
Sanandita befindet sich momentan noch außerhalb der Nationalparkgrenze. Innerhalb dieser Grenze herrscht nämlich ein „Zero-Koka“ Gesetz. Ein Leben innerhalb des Nationalparks würde den Yuracarés ihre Haupteinnahmequelle nehmen. Doch dadurch, dass sich die Siedlung außerhalb des Nationalparks befindet, sind sie permanent dem Konflikt (und in der Folge der Diskriminierung) mit den Cocaleros ausgesetzt.

Ihr seht, viel Stoff für meine Diplomarbeit…welche Rolle der Tourismus in diesem Fall spielt, versuche ich herauszufinden.

Bis es wieder etwas Neues gibt - saludos,

Clara



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