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Als Max sich umdrehte, stand er plötzlich Auge in Auge einem Mann gegenüber, den er bisher nur in den Nachrichten gesehen hatte - dem berüchtigten Serienmörder Mick Taylor. Zumindest dreizehn junge Rucksacktouristen soll dieser Soziopath entführt und ermordet haben. Unwillkürlich griff Max mit der rechten Hand zum Gürtel und fluchte still, als ihm einfiel, daß er unbewaffnet war. Gut, daß er nicht allein war. Er sah aus den Augenwinkeln zu Shaun, den er gerade zuvor hier im Wolf Creek Roadhouse kennengelernt hatte, hinüber und stellte fest, daß er von diesem keine Hilfe erwarten konnte. Er schien zur Salzsäule erstarrt zu sein und beobachtete lediglich mit weit aufgerissenen Augen das Geschehen. Schicksalsergeben fügte sich Max dem Unausweichlichen und versuchte Zeit zu gewinnen. “Oh my god, don’t kill me!” sagte er einer spontanen Eingebung folgend. Mick presste lediglich ein irres Kichern durch die zusammengebissenen Zähne und griff an. Max machte sich bereit den Schlag abzufangen, aber der Irre war zu gerissen. Die ersten drei Schläge auf den Körper waren lediglich angedeutet. Nach dieser Finte folgte ein mühelos über die gesenkte Deckung platziertes amikales Tätscheln am Hals. Sie sahen einander ebenbürtig und amüsiert in die Augen, dann wandte sich Mick ab und ging weiter,
gefolgt von einer Horde Fans, die um gemeinsame Selfies bettelten. “I can’t believe it, you shadowboxed with John Jarratt!” raunte der inzwischen aus seiner Starre erwachte Shaun.”Yeah Mate, got attacked by a serial killer and survived - how cool is that!”. “Quite cool! Even if he’s just an actor.”. “I don’t know, mate.”,:sagte Max. “That laugh sounds like the real thing.”. “You’ll be fine. Its only the English who get murdered - and some Americans!”, erwiderte Shaun breit grinsend. Max blickte sich im Roadhouse um und sah, daß Marie gerade ein Foto von sich und der weiblichen Hauptdarstellerin machte. Anfangs war die junge Frau aus der Normandie nicht so begeistert gewesen beim Gedanken eine Promotionveranstaltung für eine neue australische TV-Serie zu besuchen. Als er ihr erzählte hatte, daß es bei den, auf einer wahren Begebenheit beruhenden, “Wolf Creek”-Filmen um einen verrückten Aussie ging, der all diese nervigen Backpacker massakriert, und es daher für Reisende nicht ironischeres gebe, als dieses Event zu besuchen, war ihr Interesse geweckt gewesen. Und nun schien sie bereits völlig in ihrem Element zu sein. Max lächelte still. Er hatte Marie zwei Tagen zuvor in der Lobby ihres Hotels kennengelernt und sich auf Anhieb gut mit ihr
verstanden. Sie hatte seine Einladung Melbourne gemeinsam zu besichtigen sofort angenommen und seither machten sie beinahe alles gemeinsam. Beinahe, denn so kokett und lebensfroh Marie gewöhnlich war, so still und abweisend konnte sie im nächsten Moment sein. Es schien Max, als wollte sie niemanden zu nahe an sich heranlassen. “So sieht es aus, wenn sich zwei Einzelgänger zusammentun. Ein schönes Paar sind wir!”, dachte er mit einem Anflug von Sarkasmus. In diesem Moment drehte sie sich zu ihm um, lächelte strahlend und sagte in jenem unverwechselbar französischen Akzent “Oh, it is fantastic! Have you got a photo with him?”. “Something like that.” antwortete Max kryptisch. Nachdem sie sich noch eine Weile im von Ale- und Burgergeruch getränkten Glanz der hiesigen B-Promis gesonnt hatten, verließen sie den Roadhouse-Bereich und standen wieder am Federation Square im Zentrum Melbournes. Die Farben des Sonnenuntergangs spiegelten sich in den Glasfassaden der umliegenden Hochhäuser und tauchten die Straßen dazwischen in ein sanftes, diffuses Licht. Sie schlenderten durch das abendliche Gewühl an Pendlern und Strassenkünstlern am Bahnhof vorbei zur Degraves Lane, einer der lokalen Freßmeilen, die über und über mit mehr oder weniger professionellen Grafittis geschmückt war. Sie bestellten in einem der Lokale im hinteren Teil der
Gasse zwei Gläser Rotwein, setzten sich an einen der kleinen Tische im Freien und beobachteten amüsiert das sie umgebende Sammelsurium an Künstlern und Lebenskünstlern, während sie sich unterhielten. “Do you have any plans this evening?”, fragte Max beiläufig. Marie blickte ihn schelmisch an “Why? Have you got something in mind?” “Yes, I do.”, sagte er und machte eine kleine Pause, bevor er fortfuhr. “I’m meeting with some friends later, a couple who lives in Melbourne. We are having dinner in an italian restaurant in Acland Street. You wanna come too?” Plötzlich war die unsichtbare Wand wieder da, mit der sie sich zuweilen umgab. “I have to pack my luggage today.” sagte Marie, während sie unbestimmt die Gasse entlang blickte. “And I have to call my boyfriend.” Dies erklärte natürlich einiges. Max wünschte sie hätte ihm das früher gesagt, aber schlussendlich hätte es keinen Unterschied gemacht. “Okay. I drop you of at our hotel before heading to Acland.” Sie gingen zum auf der anderen Flussseite geparkten Auto und fuhren nach St. Kilda, einem der südlichen Stadtviertel, zurück. Max ließ die Seitenfenster herunter und kühle Abendluft strömte herein. Marie drückte solange auf den Suchlauf des Radios bis sie plötzlich einen deutschsprachigen lokalen
Radiosender gefunden hatte. “Do you understand this?”. “I do. But I wouldn’t have expected this here.”, sagte Max. Im Radio begann eben ein Knabenchor “Ich geh’ mit meiner Laterne” zu singen. “Wouldn’t have expected this either. A song for children thats half a year and half a world out of place.” Vor dem Hotel angekommen sagte Marie “Merci!”, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und stieg aus.
Wenig später saß Max an der Bar des Restaurants “Cicciolina” und überlegte, woher ihm der Name bekannt vorkam. Plötzlich fielen ihm alte italienische Skandale ein und er fragte den Barkeeper “Is this restaurant related to the italian, ahem, politician of the same name?”. Dieser grinste breit und sagte “You mean the pornstar!”. Ein vorbeikommender Kellner sagte trocken “She was a performer!”. In diesem Moment kamen Tanja und Mark ins Lokal. Er hatte die beiden Australier russischer Abstammung sechs Jahre zuvor in Asien kennengelernt. Max freute sich die beiden nach all der Zeit wiederzusehen und brannte darauf sie zu fragen, ob sie schon einmal von der Namenspatronin ihres Lieblingslokals gehört hatten.
Diese Geschichte schildert einen Teil meiner Erlebnisse in Melbourne am 5. Mai 2016. Sie beinhaltet aber auch wieder etwas Fiktion. Marie heißt in Wirklichkeit Marion und kommt aus der Bretagne.
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