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Published: October 1st 2012
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Straßenkunst, Straßenkatze
Die kleinen roten Herzen finden sich überall in der Stadt und sind das Markenzeichen einer Bewegung, die sich Love Revolution nennt. Wann immer ich mich mit Freunden außerhalb privater Räume bewege, werden wir von allen Menschen nur auf Englisch angesprochen. Bei unserer Wüstenwanderung nach Ein Akev, lauschte Lior, wie sich die israelischen Tourguides darüber freuten, die unbeholfenen Touristen ausfindig gemacht zu haben. Als sie dann eine ihrer Aussagen auf Hebräisch kommentierte, taten alle mehr als überrascht. "Ach, ihr seid also gar keine Touristen?" - "Sie ja, ich nein!"
Anders sein färbt anscheinend ab. Dabei ist gerade Tel Aviv eine der buntesten und lebhaftesten Städte, die ich je gesehen habe. Man mag wohl nicht unrecht haben, hier den Vergleich zu Berlin zu ziehen.
Auch hier tragen Hippster bevorzugt nur Klamotten aus Omis Kleiderschrank. Sie kommen mit Nasenring, Jutebeutel, Hund und einem Arm voller Tattoos. Jungfamilien fahren in VW-Beetle-Fossilien durch die Gegend, den Kindersitz neben dem Fahrer, die Frau, mit den Knien hinter den Ohren, auf dem Rücksitz verschnürt. Für Schwule ist die Stadt ein riesen großes Selbstbedienungsrestaurant. Straßenmusiker gibts an allen Ecken. Getanzt wird von Sonnenauf- bis -untergang, mindestens aber 6 Stunden am Stück. Und sogar mein erstes Club Mate, mit hebräischer Inschrift, habe ich hier vor wenigen Tagen in einem Tanzetablissement erspäht.
Und doch ist Tel Aviv anders, so
anders als Berlin. Nachdem ich nun in beiden Städten wohl etwa gleich viel Zeit verbracht habe, möchte ich behaupten es ist authentischer. In jedem Fall wärmer - menschlich gesehen. Als ich neulich die Rechov Dizengoff, eine der Hauptachsen in der Stadt, entlang schlenderte, spricht mich eine der ungezählten Saftpressen an, welche die Tel Avivits tagein, tagaus mit frischen Vitaminen versorgen. Seine neue Kreation aus Apfel, Mango, Granatapfel und Ingwer, war in wenigen Sekunden verschlungen. Nach 20 Minuten sagen wir uns Lebewohl. Ich hab neben meinem, nun auch sein ganzes Reisetagebuch im Kopf. Bin ich mit Neta, meiner Reisefreundin aus China, in der Stadt, bleiben wir alle paar Meter an neuen Menschen kleben. Ob ihr neuer Gesprächspartner nun ein langjähriger Freund oder nur eine Zufallsbegegnung a la "Hey mir gefällt dein Kleid" - "Danke, lass uns für die nächsten 30 Minuten Lebensweisheiten austauschen" - ist, vermag ich nicht mehr zu sagen. Israelis reden gern und mit jedem und am besten pausenlos.
Bevorzugt aber am Telefon!!! Ich verstecke meines inzwischen aus Protest irgendwo ganz tief unten in meiner Tasche. Der Durchschnittsisraeli telefoniert im Schnitt circa 15 mal pro Tag a 15 - 125 Minuten. Und manchmal, so scheint es mir, ohne
überhaupt etwas zu sagen zu haben. Die ersten 5 Minuten gehen drauf für Höflichkeitsfloskeln. "Ma kore?" (Wie gehts dir?) - "Beseder. Manishma?" (Gut. Wie gehts dir?) - "Sababa! Ma schlomech?" (Gut! Wie gehts dir?) - ES IST ZUM AUSRASTEN! Für mich, als Nicht-Muttersprachler, wird nach der Hebräischen Runde noch einmal eine 5-Minuten-Schleife auf Englisch angefügt. Manchmal hab ich das Gefühl, meine Gesprächspartner fast ein bisschen zu beleidigen, wenn ich nach dem ersten "Ma kore?", in gut deutscher Manier, gleich ins Thema einsteigen möchte.
Das zweite Heim eines jeden Tel Avivits im Sommer ist der Strand. Vor der Arbeit, nach der Arbeit, in der Mittagspause zieht es einen jeden ans Meer. Die einen kommen, ganz banal, mit Bikini oder Badehose und Strandtuch. Manche erscheinen in Laufschuhen. Andere mit Schwimmbrillen. Der ein oder andere bringt einen Volley- oder Fußball. Ab und an hat wer einen Trance-gefüllten Ghetto-Blaster oder ein Didgeridoo im Gepäck.
ALLE!!! - kommen mit Matkot!
Ping Pong, ist DER Hit an Tel Avivs Stränden. Das monotone Tuk Tok Tuk Tok Tuk Tok empfinden manche als belastend. Für mich ist es schlichtweg Teil der gesamten Strandkulisse. Gespielt wird von jung bis ablebend. Überraschend viele nehmen ihr Spiel urernst.
Kommen mit zwei Schlägern in jeder Hand und Handschuhen. Die spielen dann auch kein gemächliches Tuk Tok mehr, sondern eher ein lebensbedrohliches Zwussssshhh Zwisssssssh Zwussssssh AAAAAH (unschuldiges Kind mit nun ballgroßer Beule am Auge).
Häuser in Tel Aviv sind ein Meister der Maskerade. In der Regel sieht jedes Gebäude von außen aus wie ein, in Lumpen gehülltes, Kriegsopfer. In Deutschland längst von der Abrissbirne geküsst, wird hier locker flockig weiter gemodert. In den Treppenhäusern springt man, wie Tomb Raider Lara Croft, von einem intakten Wackelstein zum nächsten, während ein romantischer Stromkasten, bei gedämmtem Licht, Stimmung herbeiknistert. Hat man aber einmal sein Ziel erreicht, die gemütliche Stahlbetontür am Ende des Ganges, wird man sich nach dem Betreten fühlen als wäre man durch ein Raum-Zeit-Portal marschiert. Hinter Mahagoni-Tischen sitzen nadelgestreifte Business-Frauen im vollklimatisierten Luxus-Loft bei einem klirrenden Glas hausgemachter Minz-Limonade und hauchen ihre "Ma schlomech"s aus rot betupften Lippen in 5 Telefonhörer gleichzeitig.
Für derlei Kontraste mag ich Tel Aviv. Ich mag die bunte Street Art an all den charmant abgefuckten Ecken. Ich mag die Straßenkatzen, die in ihrer Zahl die gesamte israelische Bevölkerung längst überholt haben müssen. Ich mag die Kreativität, mit der hier der Alltag gestaltet wird. Vor
einiger Zeit, erzählt Neta, sind in der ganzen Stadt Pianos aufgestellt worden, frei für jeden, um darauf zu spielen. Ich mag das monotone Gesumm der Marktschreier auf dem Carmel. Ich mag es durch die alten Gassen Yaffos zu laufen und im Flohmarktramsch zu stöbern. Ich mag Hummus und Trina und Tschachnun und Sabich und dass es überall frisches Obst und Gemüse zu kaufen gibt.
Was ich nicht mag ist der Lärm. Die hohen Bierpreise und dass mir jeder ein "ist doch billig" entgegen strahlt, wenn ich mal ein Shlish (0,3er Flasche) für 3,50 Euro finde. Was nervt ist, dass so viele Menschen hier so wunderwunderschön sind. (Ich übe inzwischen täglich mein Katalogstrahlelächeln vor dem Badezimmerspiegel). Was nervt ist der ein und derselbe I-Phone-Klingelton aus ALLEN Taschen, den ganzen Tag, ununterbrochen. Was nervt ist ständig als Tourist entlarvt zu werden.
"Ich kann dir gar nicht sagen, woran genau es liegt", erklärt mir eine Bekannte. "Es ist nicht deine Hautfarbe, nicht dein Haar. Es ist einfach alles!" .... "Und weißt du eigentlich, dass solche Haartücher hier nur von den verheirateten, religiösen Frauen getragen werden?" ...... "Aber du trägst ja knappe Hosen. Das rückt das Bild wieder gerade!"
Na dann...
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