Zauberhaftes León: Kleinstadtcharme, Zeitgeschichte und Strandgefühle


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Published: January 29th 2018
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Achtung ihr Lieben, dieses Wochenende hatte es in sich, also nehmt euch ein paar Minuten Zeit um mitzufühlen: der Spontantrip nach León hat sich allemal gelohnt. Eine Zeit die mich begeistert hat, jede Minute so wertvoll, lehrreich und berührend, dass ich auf jeden Fall noch einmal wieder kommen muss, bevor ich abreise.

Eine wortlose Verbindung, eine vertrauensvolle Beziehung: was für eine wundervolle Freundschaft mich nach kürzester zeit mit Kimberlie verbindet - und was für eine starke, inspirierende Frau sie ist! Eine Karriere als Militärpolizistin hinzulegen, stationiert im Friedenseinsatz auf der ganzen Welt, dann ein Studium nachzuholen und im Kommunikationsbereich durchzustarten um nach 12 Jahren in Alaska alles abzureißen (Haus, Ehe, Job, Freunde, Familie), nach Nicaragua zu ziehen und hier ein neues Leben zu starten - mittlerweile seit mehr als einem Jahr… Wow!

Kimberlie war Teilnehmerin bei unserem letzten AcroYoga-Workshop, wir haben uns sofort gut verstanden: Faust aufs Auge. Und so haben wir uns nicht mal eine Woche nach unserem Kennenlernen wieder getroffen, ganz spontan und voller Vorfreude. Ihr Zuhause in León war sofort ein Wohlfühlort für mich - ein wundervolles kleines 2-stöckiges Apartment in der Stadt in einer Wohngemeinschaft mit mehreren Untermietern, inklusive Innenhof mit Hängematten und Liegestühlen, BBQ-Area und Sonnenterrasse. „Mi casa es tú casa“ hat sie mir gleich offenbart, und genauso hat es sich auch angefühlt.

León hat sehr viel mehr Charakter als Managua. Es fühlt sich an wie ein authentischer, ursprünglicher Nica-Ort mit vielen kleinen Läden, gemütlicher Atmosphäre und Straßen die gesäumt sind von wundervoll bunten kleinen Häusern, die staubig und schlecht instandgehalten sind. Und das sage ich in keinster Weise abwertend! Sobald man die europäische Urangst vor vermeintlichen Ghetto-Gegenden abgelegt hat (das schaut ja alles ziemlich gefährlich aus) kann man das pure Nica-Feeling genießen, inklusive einer Menge Cat-calling wenn man als Frauen zu zweit unterwegs ist. Viele der Nachbarn kennen Kimberlie, alle haben das Bedürfnis mit ihr zu quatschen, mich kennenzulernen - ausreichend Körperkontakt, Aufnahme in “...mi familia!!” und zumindest das Angebot ins haus zu kommen gehören zum guten Ton. So dauert ein Spaziergang durch die Straßen dann doch mal etwas länger.

Ein sehr berührendes Erlebnis an diesem Nachmittag war der ganz spontane Besuch von „El Fortín“ - einer Festung aus der Somoza-(Bürgerkriegs-)zeit. Will, ein Nachbar und Freund von Kimberlie (ein 35-jähriger Nica der mit 14 geheiratet und 5 Kinder hat) hat uns angeboten uns dort hinzufahren. Wir haben uns mit einem Smoothie for the road revanchiert und waren wenig später schon am Weg. Die Fahrt war eine holprige Herausforderung, wer die Route nicht kennt würde niemals auf die Idee kommen diese Erdpisten entlang der Wellblech-Wohnhütten zu befahren. Trotzdem war es wieder schön abseits der touristischen Pfade unterwegs zu sein und das einfache Nica-Leben hautnah zu spüren.

Das Fortín befindet sich direkt am Müllberg von León, wo arme Familien versuchen in den Resten der Stadt noch etwas Brauchbares zu finden. Es gibt leider nur ganz wenige geschichtliche Informationen zu El Fortín, daher zitiere ich aus einem anderen travelblog: "Hierhin zogen sich die letzten Kämpfer der Armee Somozas zurück, als die Stadt León bereits von den Revolutionären der FSLN befreit worden war. Nach einem wochenlangen Kampf um die Festung, konnte noch vereinzelt Anhänger des Diktators mit Hubschraubern in Sicherheit gebracht werden. Die meisten waren jedoch tot, als am 07. Juli 1979 die Festung in die Hand der Frente Sandinista fiel. Unermüdlich hatten diese versucht, El Fortin einzunehmen, da auch hier viele Nicaraguaner zu Unrecht gefangen gehalten wurden und grausamer Folter ausgesetzt waren."

Der Eingang wird von einem einäugigen Veteranen bewacht, außer ihm und uns war weit und breit niemand in Sichtweite. Der Ort strahlt eine unglaubliche Ruhe aus, unfassbar dass niemand hier her kommt. Die Einheimischen wissen großteils gar nicht über die jüngste Geschichte Bescheid (der Bürgerkrieg steht nicht im Lehrplan) und Touristen ist der Ort eigentlich nicht zugänglich - er ist sowieso nur sehr schlecht erreichbar, nicht mal irgendwie beschildert oder instandgehalten, und es wäre auch zu gefährlich alleine hier her zu kommen sagt Will... der Ausblick über die Stadt von dieser Anhöhe aus ist allerdings phänomenal.

Wir haben also ein paar erste Schritte über das Gelände gewagt - es war ähnlich bedrückend wie ein Besuch in einem ehemaligen KZ - nur dass der Eindruck von der sonnigen Umgebung, der luftigen Freiheit in der Höhe und den zwitschernden Vögeln etwas übertönt wurde. Es war zutiefst traurig zu spüren, wie viel Elend hier geherrscht haben muss und wie wenig dem bedacht wird. Hätten die Angehörigen keine Zettel aufgehängt mit kopierten Zeitungsartikeln, selbstgeschriebenen Memorien und selbstausgedruckten Fotos, hätte man das Gefühl der Ort wäre komplett in Vergessenheit geraten. Die Bilder waren schauderhaft, die handgeschriebenen Gedenktafeln mit Namen der gefallenen Widerstandskämpfer gefährlich nahbar und die leeren Gefängniszellen rochen förmlich noch nach Mensch.

Unten im Bunker, dem ehemaligen Gefängnis, gab es allerdings auch einen Lichtblick, denn wir haben einen wundervollen kleinen Jungen kennengelernt. Er stand an einer der kahlen Wände, mit einer kleinen dose Farbe in der Hand und einem Pinsel. Juan, der seinen Papa - den Veteran der am Eingang - jeden Tag hier her begleitet, hat die Wände mit seinen Zeichnungen verziert. Er sei Künstler, hat er uns erklärt, aber die Farbe sei so teuer, dass er sehr sparsam sein muss. Da der Ort von der Regierung nicht als Gedenk- oder letzte Ruhestätte angesehen wird und den meisten Menschen überhaupt nicht bekannt ist, sahen wir diese kreative Bereicherung als schöne Würdigung und Aufwertung. Etwas Leben und Lebensfreude an einem Ort des Schreckens der nun endlich aufatmen darf.

Juan hat uns viele Geschichten erzählt, zum Bespiel wo der Tunnel verläuft der vom Bunker zur Kathedrale in der Stadt führt, der wohl auch als Leitung für den Feuerwehrschlauch fungiert hat. Auf dem Bunker befinden sich zwei große Wassertanks, ohne Pumpsystem konnte so das Wasser vom Hügel ins Tal in die Stadt transportiert werden. Als wir schlussendlich draußen mit ihm und seinem Papa die Umgebung und den Ausblick bestaunt haben, wollten sie natürlich wissen, was wir genau machen und warum wir hier sind. Als wir von AcroYoga erzählt haben wurden sie neugierig - da haben wirs ihnen kurzerhand gezeigt. Und sie waren fast ein bisschen schockiert, aber eher darüber wozu wir Frauen fähig sind. Auf die Frage hin „¿Quieres volar también?“ (willst du auch fliegen?) hat Juan nur den Kopf geschüttelt und ist auf den nächsten Vorsprung gesprungen: „¡Yo soy spiderman!“ (in Superman-Pose wohl gemerkt), unser Fliegen war ihm zu gefährlich... Will hat es allerdings probiert - und auf Anhieb super gemeistert! As wir dann später gefragt haben, warum ihm das Fliegen so leicht gefallen ist, hat er nur geantwortet: „I trust in all people. It’s easy for me to trust. But if you break it once you will lose it forever...

Samstagfrüh um 05:00 sind wir mit der Sonne aufgestanden und haben den Tag gleich mal mit 2 stunden Yoga gestartet. Was für ein tolles Körpergefühl. (Kimberlie ist Yogalehrerin, sie weiß was sie tut...) Danach waren wir auf der Kathedrale, dem schönsten Bauwerk das ich bisher in Nicaragua gesehen habe, bei dem man das ganze Dach besteigen darf. Ein beeindruckendes Erlebnis, dem Himmel und den Wolken so nah. Kimberlie hat tolle fotos gemacht - sie hat sichs nicht nehmen lassen und ständig mit meiner Kamera gespielt. Wenig später haben wir uns dann auf den Weg zum Strand gemacht, Las Peñitas, dem Ort wo auch der AcroYoga Workshop war und wir uns vor einer Woche kennengelernt haben. Irgendwie unwirklich zu denken, dass wir uns gerade mal 72 Stunden lang kannten... der Nachmittag am Strand war wundervoll entspannt - die spontane Idee noch ein bisschen zu Reiten war die „cherry on top“. Mit den kleinen Nica-Pferden hier, für uns wohl eher Ponys, darf man für 300 Cordoba (10US$) eine Stunde lang ausreiten, das haben wir uns nicht nehmen lassen.

Sonntag waren wir dann nach unseren zwei Stunden Morgenyoga am Strand noch SUPen (stand up paddling) in den Mangrovenwäldern rund um Las Peñitas. Was für ein schöner, friedlicher Ausflug in die verlassenen Mangrovenwälder, kein Mensch weit und breit, nur Natur, Vögel, Fische und ein paar Stumme Beobachter die wir bestimmt nicht entdeckt haben. Natürlich haben wir es uns nicht nehmen lassen und auch auf den SUPs unsere AcroYoga Künste präsentiert - unser Guide Phil hat es dann auch probiert und mit Bravur bestanden. Gar nicht so einfach auf dem wackeligen Board mit den Wellen und dem Wind.



Viele schöne Fotos gibt
Barfuß am Dach der Kathedrale in LeónBarfuß am Dach der Kathedrale in LeónBarfuß am Dach der Kathedrale in León

Aus Respekt vor dem Bauwerk muss man die Schuhe abnehmen
es wie immer weiter unten. Wer die bedrückenden Impressionen aus der Bürgerkriegszeit nicht sehen möchte, muss die Bilder ganz am Ende einfach überspringen.


Additional photos below
Photos: 19, Displayed: 19


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Bedrückende Bilder im BunkerBedrückende Bilder im Bunker
Bedrückende Bilder im Bunker

Wohlgemerkt alles auf Papier ausgedruckt und aufgeklebt...
Ein Mahnmal des Bürgerkriegs in der StadtEin Mahnmal des Bürgerkriegs in der Stadt
Ein Mahnmal des Bürgerkriegs in der Stadt

Auf diesem Platz wurden wohl unzählige Studenten hingerichtet


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