Hanami - oder vom ungewöhnlichsten Volkssport der Welt


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March 29th 2015
Published: March 31st 2015
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KirschblütenKirschblütenKirschblüten

Ueno-Koen, Tokio
Sie ist endlich da, die "Sakura" , die Kirschblüte. Mit nicht weniger als halb Tokio treffen Maurice und ich uns am Sonntag gegen Mittag im Ueno- Koen, dem anlässlich des Hanami (des "Blüten-Bewundern") populärsten Parks in Tokio. Hier wird trotz grauem Himmel und angekündigten Regen fleissig gepicknickt, getrunken und Kirschblüten abgelichtet. Wir gehen ein bisschen Spazieren, obwohl man eigentlich nicht sagen kann, dass wir gehen, wir werden eher geschoben, so voll ist es auf den breiten Wegen und obwohl der Park riesig ist, scheinen die Menschenmassen nirgends zu enden, reiht sich Picknickdecke an Picknickdecke (bzw. In diesem Fall Plastikplane an Plastikplane) soweit man sehen kann. So ist das halt wenn man Sonntags in einer Stadt mit 35 Millionen Einwohnern dem beliebtesten Massensport der Japaner nachgeht. Schon seit Tagen sieht man nicht nur an den Bäumen "Cherry Blossom" sondern in jedem Laden ist es DAS Thema, dass die Kirschblüte begonnen hat. Es gibt Süßigkeiten zum Thema, Geschenkpapier, Einkaufstüten, überall Schals und Tücher mit Kirschblüten, ja sogar die Eisteeflaschen aus dem Automaten und die Bierdosen von Asahi haben eine Sonderedition mit rosa Blüten verpasst bekommen und jeder noch so kleine Kiosk, der etwas auf sich hält dekoriert in weiß-rosa.

Die Blüte ist jetzt wirklich auf dem Höhepunkt und der ganze Park blüht in weiß und sieht wunderschön aus. Wenn da nur nicht die ganzen Leute wären, ich kriege schon wieder leicht die Krise bei dem Gedränge. Trotzdem ist die Stimmung eigentlich toll. Die Japaner mal so ausgelassen zu sehen, finde ich sehr schön und es herrscht richtig Volksfestamosphäre mit unzähligen Fressbuden und Unterhaltungsangeboten im Park. Wir machen also ein bisschen mit beim Standardprogramm: Blütenpracht bewundern, Selfies mit den Kirschblüten, dann Fressmeile und irgendwas Gutes essen, dann weiter auf den nächsten Rundweg voller Kirschbäume. Nur den Alkohol lassen wir weg. Nach einer Weile reicht es dann aber auch und wir machen noch einen schönen Spaziergang außerhalb des Parks zu allerlei anderen Örtlichkeiten, wo es ein bisschen ruhiger zugeht und es trotzdem Sakura gibt. Zum Beispiel gibt es einen sehr schönen Friedhof in der Nähe, wo auch alles blüht und man fast für sich alleine ist. Wir streunen den ganzen Tag ein bisschen durch die angrenzenden Stadtteile. Mit kleinen Häusern, Teestuben und Läden ist hier noch ein bisschen der Charme des alten Tokio zu erkennen. Leider fängt es immer wieder an zu regnen und so beschließen wir irgendwann zum Karaoke zu gehen. In einem
Hanami-SelfieHanami-SelfieHanami-Selfie

Ueno-Koen, Tokio
riesigen Unterhaltungskomplex etwas ausserhalb, wohin wir uns vor dem Regen geflüchtet haben, mieten wir uns ein. Für eine Stunde bezahlen wir hier pro Person 10€, inklusive Softdrinks und Wasser soviel wir trinken können und einem kleinen Snack nach Wahl für jeden. Dafür bekommen wir ein Disney-Themenzimmer mit schicker Ledercouch und eine höchst proffessionelle Karaokemaschine mit Mega Sound und vorallem genug Privatsphäre um so laut und falsch zu singen wie wir können. Obwohl ich sagen muss, dass das eigentlich eher auf mich zutrifft als auf Maurice, der kann nämlich ziemlich gut singen. Eine Stunde vergeht wie im Flug mit ein paar Evergreens von den Backstreetboys, Abba und Co. und es macht echt super Spaß. Wenn man in Deutschland nicht immer gleich vor der gesamten Bar singen müsste, würde ich das ständig machen.

Am Montag treffe ich mich mit Ebi, der mir für 10 Uhr eine Führung im Police Headquarter organisiert hat. Ein netter Beamter von der Pressestelle führt mir erst einen 20-minütigem sehr beeindruckenden "Werbefilm" über die Tokyo Metropolitan Police vor, dann gehen wir in eine kleine Ausstellung im Obergeschoss mit alten Uniformen, Waffen und ein paar Erklärungen und dann darf ich noch die Notrufzentrale besichtigen. Hier bearbeiten auf einer Schicht etwa 50 Mitarbeiter die täglich ca. 5000 Notrufe, wobei diese Zentrale nur für die Hälfte der Metropole zuständig ist. Die Nummer ist übrigens die 110. Der Beamte erklärt mir ziemlich viel und stellt auch viele Fragen über Deutschland und wie das alles bei uns läuft und untermalt dann mein sowieso schon sehr hohes subjektives Sicherheitsgefühl in diesem Land mit ein paar Zahlen. Die Verwaltungszone der Tokyo Metropolitan Police mit 35 Millionen Einwohnern bringt es im Jahr auf durchschnittlich 102 Tötungsdelikte. Davon können andere Metropolen dieser Größenordnung mit Sicherheit nur träumen. Und Mexico City schafft die wahrscheinlich in einer Woche.

Ebi hat sich den ganzen Tag frei genommen und da das Wetter absolut traumhaft ist machen wir natürlich nochmal ein bisschen Hanami. Wir gehen in den Imperial Palace Parc (zumindest soweit wie man den betreten darf), wo es auch ganze Alleen von Kirschbäumen gibt und dann laufen wir einfach stundenlang durch die Straßen wo überall die Blüten aufgegangen sind, genießen das schöne Wetter und ab und zu gibt es einen Schrein oder ein Regierungsgebäude zu besichtigen, oder einen Imbisstand an dem wir nicht vorbei kommen. Dann laufen wir noch zum Tokio Tower, weil ich den gerne noch mal aus der Nähe sehen will. Und als wir dort mit einem Eiskaffee sitzen und Ebi seiner App entnehmen kann, dass wir schon über 14 km gelaufen sind, beschließen wir, es für heute gut sein zu lassen und nehmen ein Taxi nach Odaiba. Dort gibt es ein Onsen, was Ebi mir unbedingt zeigen will. Und auch wenn mir grade nicht so nach Sitzen in heißem Wasser ist, es hat schließlich 20 Grad, ist mir durchaus nach Relaxen. Das Onsen ist auch eher so eine Art Unterhaltungszentrum und wirklich sehr schick. Man checkt vorne ein, dann darf man sich an einer Bademantel-Rezeption einen von 6 verschiedenen wundeschön bedruckten Yukata aussuchen, bekommt einen Schrankschlüssel und geht sich umziehen. Das Bad ist im altjapanischen Stil mit Holzdielen und Lampions aufgemacht und alle laufen ganz gemütlich in ihren Yukata herum. Es gibt etliche Restaurants, Spielhallen, und Kirmeserlebnisse wie Dosenwerfen etc. Es gibt riesige "Ruhe"-Räume mit Liegesesseln und Fernsehern an jedem Sessel, eine Gartenanlage mit einem heissen Fußbad, einer Bar und einem Barfußpfad und es gibt das eigentliche Spa, für jedes Geschlecht getrennt, mit riesigen heißen Wasserbecken, einem Schwefelbad, kleinen Privatbecken, Whirlpools, Dampfbädern und einem schönen Außenbereich. Hier entspanne ich ein bisschen bevor ich mich wieder mit Ebi im Foodcourt auf einen Teller Sushi treffe. Dann, nach einem kleinen Schläfchen im Ruheraum und einem Fußbad unterm Sternenhimmel bin ich tiefenentspannt und schon gegen 20 Uhr absolut bettreif.

Mein letzter Tag in Tokio beginnt dafür auch schon wieder früh, denn ich will auf den berühmten Tsukiji-Fischgroßmarkt und dafür muss man früh aufstehen. Wenn man die Thunfisch-Auktion sehen will, die um 5 Uhr startet, sollte man sich ab 03.00 Uhr in die Warteschlange stellen, denn es dürfen nur etwa 100 Zuschauer/Touristen mit in die Halle und die Plätze sind begehrt. Nee danke, das muss dann doch nicht sein zumal ich noch durch die ganze Stadt gondeln muss um dort hin zu kommen. Aber gegen 07.30 Uhr stehe ich auf der Matte bzw. in der riesigen Markthalle, wo ein irrer Geräuschpegel herrscht. Kleine Gabelstapler, Transporter und Menschen mit Sackkarren rasen hin und her, kantige Kerle in Gummistiefeln buxieren riesige Styroporkisten zu ihren Ständen und das Wasser steht teilweise knöchelhoch auf dem Boden. Das einzig erstaunliche ist, dass es überhaupt nicht nach Fisch riecht. Es ist mit Sicherheit auf den ersten Blick kein schöner Ort aber ein wahnsinnig interessanter. Und so verbinge ich fast 2 Stunden damit, durch die schmalen Gänge zu balancieren ohne den Leuten die hier ihre Arbeit oder ihren Großeinkauf machen, zu sehr im Weg rumzustehen. Das Versteigern und "Zerstückeln" der riesigen, bis zu 700 kg schweren, Thunfische habe ich natürlich verpasst, aber es gibt trotzdem noch viel zu Sehen. Überall wird ein Fisch filetiert oder ausgenommen, werden Muschelschalen geknackt und mit der Säge Thunfischstücke zerteilt. In riesigen Kisten schwimmen lebende Hummer, Muscheln, Krabben und einmal sehe ich sogar eine riesige Krake, die verzweifelt versucht, sich aus ihrem Gefängnis zu befreien und es dabei fasst schafft, die ganze Kiste umzukippen. Ich erschrecke mich fürchterlich als plötzlich neben mir ein riesiger Saugnapf-Arm aus der Box kommt und mich nass spritzt. Es gibt wirklich tausend verschiedene Arten von Muscheln, Fischen, Seeigeln und Schalentieren und ich habe einiges davon noch nie gesehen. Es gibt zum Beispiel ein Fass mit knallroten (noch lebenden) Shrimps. Unmittelbar anschließend an den Markt gibt es einige der besten Sushilokale der Stadt, die jedoch alle winzig kleine Schuppen sind. Schon morgens um zehn stehen hier die hungrigen Touristen in Scharen an und ich beschließe, dass ich lieber irgendwo anders esse, zumal das Sushi hier auch nicht ganz billig ist und mir langsam das Bargeld ausgeht. Ich laufe also los, es ist wieder traumhaft schönes Wetter, und lasse mich einfach mal irgendwohin treiben. Irgendwann lande ich am Fluss und kann mich wieder halbwegs orientieren und beschließe in Richtung Skytree zu laufen. Hier blüht auch eine Allee aus Kirschbäumen direkt am Ufer und man hat das Gefühl unter einem Dach aus weißen Blüten zu laufen. Und so laufe ich bestimmt fünf, sechs Kilometer am Fluss entlang, ohne zu merken, wie ich mir den Nacken verbrenne und bis nach Ryogoku, das Sumo-Viertel. Hier sind die meisten der Tokioer Sumo-Ställe zuhause, hier ist das große Stadion und es gibt auch ein kleines kostenloses Museum was ich mir ankucken möchte. Zuerst brauche ich aber jetzt wirklich etwas zu essen und setze mich mit einer Bento-Box in einen kleinen Park. Das Sumo-Museum besteht nur aus einem Raum und da leider wegen eines Turniers alle Kämpfer in Osaka sind, findet auch kein Training statt, bei dem man bei einigen der Sumo-Ställen zusehen darf. Da hier auch das Edo-Tokio Museum in der Nähe ist, beschließe ich mir das noch anzusehen und netterweise hat es heute den ersten Tag wieder geöffnet, nachdem es umgebaut wurde. Aus dem Grund ist der Eintritt auch frei, was das
Tokio TowerTokio TowerTokio Tower

...ein wenig wie der Eifelturm in orange
Ganze natürlich noch netter macht. Das Museum ist wirklich so toll, wie in meinem Lonely Planet beschrieben und zeigt den Übergang von Edo (so der alte Name von Tokio bis etwa Mitte des 19. Jhdt) ins moderne Tokio von heute. Es gibt sehr detailgetreue Modelle von Wohnhäusern und Werkstätten aus Tokio zur Edozeit, von Tempeln, Kaufhäusern, Festumzügen und der Wasserversorgungsanlage. Und dann kann man noch durch eine lebensgroße Stadtsiedlung der damaligen Zeit wandern, komplett mit Wohnhäusern, Latrine, Werkstätten, Schule, Brücken, einem Markt etc. Für Kinder gibt es ganz viel zum ausprobieren, sie können sich in eine Sänfte setzen und dann der Zeit folgend das erste Fahrrad, die erste Rikscha usw. besteigen. Schließlich sieht man die Wandlung der Kultur Tokios durch die Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts hindurch, immer anschaulich, anhand Beispielen des technischen Fortschrittes, und lebensgroß dargestellt. Der Original Fernseher aus den 60ern funktioniert sogar noch und eine uralte Quizshow läuft in Dauerschleife. Das alles wird untermalt von vielen Tabellen und Anschauungsmaterial in Vitrinen. Und am Ende kommt man im heutigen doch stark westlich geprägten Tokio an, wo man dann auch wieder auf die Straße tritt. Ich fand es wirklich gelungen. Und das als überzeugter Nicht-Museumsgeher.

Da die Sonne immernoch strahlt als ich aus den Museen komme, laufe ich danach auch noch zum Skytree und verbringe ein bisschen Zeit in der dortigen Shoppingmall, da ich noch ein paar Mitbringsel kaufen will. Hier gibt es auch ein gigantisches Kaufhaus über mehrere Stockwerke mit einer großen Lebensmittelabteilung. An köstlich duftenden Ständen gibt es hier nochmal die ganze Bandbreite japanischen Essens zum Mitnehmen und da es mein letzter Tag ist gönne ich mir erst ein paar Sommerrollen mit Lachs, dann ein paar Maki und schließlich noch Sashimi. Alles ist super frisch und sehr lecker und bestätigt, dass man selbst in der Lebensmittelabteilung eines Kaufhauses in Japan ein wahres Gourmet-Essen bekommt. Auf den Skytree hoch zu fahren, spare ich mir. Die Schlange verspricht mal wieder eine Wartezeit von mindestens einer Stunde und der Spaß kostet auch um die 25€. Aussicht hatte ich ja schon zu Genüge, wenn auch nicht ganz aus 450 Metern Höhe.

So geht mein letzter Abend in Tokio recht unspektakulär zu Ende, mit einem Abendessen im Kaufhaus und einem Bad im Onsen meines inzwischen sehr lieb gewonnenen Kapselhotels.



Noch eine letzte Beobachtung zu Japan gibt es aber:

(Die Fassungslosigkeit darüber trage ich jetzt seit drei Wochen
Oktopussies ;-)Oktopussies ;-)Oktopussies ;-)

Tsukiji Fischmarkt, Tokio
mit mir herum)

Mundschutz-Mafia: bestimmt jeder 4. Mensch auf der Straße oder in der U-bahn trägt so ein hässliches Chirurgen-Accessoire vor dem Gesicht und während wir Europäer ja denken, dass die Asiaten einfach Panik vor Keimen haben wenn sie bei uns im dreckigen Europa Urlaub machen und die Dinger deshalb tragen, behauptet Ebi, das wäre wegen dem Pollenflug. Ernsthaft? Überall in Japan hat jeder vierte Mensch so eine krasse Pollenallergie? Ich kanns mir nicht vorstellen. Die sitzen mit Mundschutz im Café, das ist eigentlich ein Ort, wo man etwas in seinen Mund schiebt und ihn deshalb frei haben sollte. Die tragen das Teil in der Shoppingmall, im Bus, im Hostel, im Tempel, überall. Wahrscheinlich sogar beim Küssen. Der einzige Ort, an dem ich es nicht gesehen habe, war im Onsen. Und die Krönung waren tatsächlich Polizeibeamte die mit Mundschutz auf Streife waren. Da wurde es dann irgendwie etwas lächerlich. Keine Ahnung was das für ein Spleen ist. Der einzige tatsächliche Vorteil den ich erkenne, ist, dass man wenn man Niesen muss und gerade keine Hand frei hat, man einfach niest. Allerdings würde es wahrscheinlich sowieso niemanden stören denn Nase lautstark hochziehen ist ja (im Gegensatz zu sich- in-der-Öffentlichkeit-die-Nase-Putzen!!!) auch salonfähig und wird exzessiv ausgeübt.


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KapselhotelKapselhotel
Kapselhotel

Ich wohne oben in der Mitte
Enjoying HanamiEnjoying Hanami
Enjoying Hanami

Yanaka, Tokio
Und plötzlich blüht es überallUnd plötzlich blüht es überall
Und plötzlich blüht es überall

...und auch hässliche Straßen sind plötzlich schöööööön


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