Blog 13: Werde ich doch noch zum Star?


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December 16th 2012
Published: December 16th 2012
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An jeder zweiten Ecke findet man sie. Die K-TV Bars (Karaoke Bars). Wobei es die Chinesen eigentlich nicht ganz so genau nehmen, wo genau sie denn ihrer Leidenschaft nachgehen. In den Bars, in Parks, auf Spielplätzen oder in Einkaufszentren – ganz egal – Hauptsache sie können aus voller Inbrunst aus sich herausgehen und ihre Stimme zum Besten geben. In einem Gespräch mit meinen Arbeitskollegen stellte ich fest, dass dies wohl einer der Hauptunterschiede in Bezug auf die Freizeitbeschäftigung unserer beiden Kulturen ist. Zum einen glaube ich langsam, dass eine Karaoke Maschine zum festen Bestandteil des Familieninventars gehört. Sozusagen: „Wie? Du hast keine Karaoke Maschine? Dann heiratest du meine Tochter ganz sicher nicht!“ Und zum anderen singen die Chinesen am liebsten abends nach der Arbeit oder nachmittags am Wochenende. Als ich das hörte, dachte ich mir wieder: jaja, so sind sie. Kaum zuhause und schon wieder die Hucke voll hauen und losträllern – aber Stopp! Das war komplett falsch. Denn meine neuen Freunde machen das laut eigenen Aussagen mit Freunden&Familie zum Entspannen – ohne Alkohol (!!!). Ha – das stellt sich mal einer in Deutschland vor. Nehmen wir mal als Beispiel unsere Art des Karaoke. Das „SingStar“ auf der PlaySation. Wie würde das bei uns ablaufen? Abends nach der Arbeit um zu entspannen? Ich glaube das singfreudige Familienmitglied würde nicht mal dazu kommen, den „On“ Button auf der PlayStation drücken zu können, bevor es von einem anderen Mitglied irgendetwas an den Kopf geschmissen bekommen hat. Aber wie sieht es am Wochenende aus? Ja - Anfangs würde sich unter Freunden keiner trauen und man muss die Leute regelrecht vor den Fernseher prügeln – bis erst einmal genug Alkohol geflossen ist – dann wird das Mikrofon selbstverständlich nicht mehr aus der Hand gegeben, da man ja die beste Stimme der Welt hat.

So die einzig logische Schlussfolgerung: Ohne Alkohol – kein Karaoke. Und Freunde, glaubt mir, seit ich hier bin, weiß ich warum wir erst den ein oder anderen trinken, bevor wir unsere Stimmen zum Besten geben. Denn der Alkohol führt nicht nur zur Selbstbewusstseinssteigerung des Singenden – nein, es trübt auch die Wahrnehmung der Zuhörenden. Wie oft ich mir schon gewünscht hätte, einen Sitzen zu haben, wenn ich in den Parks an den Karaoke Sängern vorbei gelaufen bin. Ein Katzengejammer sag ich euch! Da sind die Bewerber der ersten Runde bei DSDS Alicia Keys dagegen. Ich habe, und das ist kein Spaß, in den jetzigen 3 Monaten noch nicht einen gehört, der singen konnte. Und das fasziniert mich auf der anderen Seite auch gleichzeitig wieder an diesem Volk. Wieso? Wieso stellt man sich in die Öffentlichkeit um zu singen, wenn man eine Stimme hat, die ein Mix aus Heidi Klum und Daniel Kübelböck ist? Um zu entspannen? Und die weitaus interessantere Frage ist: Wie können da Leute stehen bleiben und aufmerksam zuhören, wenn ich mir am liebsten meine Oropax aus meiner Tasche holen würde? Dies sind wohl wenige der vielen Fragen, auf dessen Antwort ich hier nicht gekommen bin. Ich hab es mittlerweile aufgegeben, eine Erklärung für die Dinge zu suchen, die hier tagtäglich von Statten gehen. Ich bin der Meinung, dass man diese Stadt auch nicht erklären kann – man muss sie erleben.

Gut, um die Frage aus der Überschrift nochmal aufzuwerfen: Werde ich doch noch ein Star? Naja, eigentlich passe ich ja ganz gut zu den Karaoke Sängern in den Parks, denn wer meine außerordentlich talentierte und engelsgleiche Singstimme kennt, der kann sich sicher sein, dass es nicht daran liegt, dass ich mir diese Frage stelle.

Der eigentliche Grund liegt darin, dass letzte Woche wieder etwas außerordentlich spannendes im Büro geschehen ist. Als ich so ziemlich das erste Mal ohne die Haare gestylt zu haben und auch sehr verschlafen ins Institut gegangen bin, kam mir doch auf dem Gang gleich ein Kamerateam entgegen. Mit hochgezogenen Augenbrauen war mir innerhalb von einer halben Sekunde klar, was an diesem Tag auf mich zukommen würde – so gut kenne ich meine Pappenheimer langsam. Naja, in der Hoffnung an diesem etwas trägen Tag doch in Ruhe gelassen zu werden, ging ich an meinen Arbeitsplatz – aber stopp – ich bin nicht einmal richtig zum Hinsetzen gekommen, da kam schon mein Chef und fragte mich, ob ich ihm einen Gefallen machen könnte. Er erklärte mir kurz, warum das Kamerateam heute da sei – um einen Imagefilm über das Institut zu drehen. Und ich, als einziger Ausländer, könnte da doch „mitspielen“, um der Öffentlichkeit zu zeigen, wie Weltoffen sie doch seien (das war jetzt meine eigene Interpretation). Nun ja, in der Hoffnung, dass mein Chef dann die Tischtennisniederlagen vergisst, habe ich ihm natürlich diesen Gefallen getan. Vorerst musste ich mit drei meiner Arbeitskollegen einen Flur entlang laufen, während wir so taten, als ob wir über irgendwas redeten. Anschließend kam die Produzentin auf mich zu und meinte, dass ich das richtig super klasse genial gemacht hätte – ich sei sehr natürlich gewesen. Um ehrlich zu sein, die „Szene“ dauerte sicherlich keine 3 Sekunden. Von dem her könnt ihr euch vorstellen, wie schwierig es wirklich war, in diesen 3 Sekunden natürlich zu wirken. Aber hey, wer weiß. Vielleicht werde ich ja genau wegen dieser 3 Sekunden entdeckt und komme ganz groß raus! Aber beim Thema Komplimente machen sind die Chinesen glaube ich Weltmeister. Meine Herren. Also ich kann euch mittlerweile einen Tipp geben: Falls ihr mal Probleme mit eurem Selbstbewusstsein haben solltet, macht euch selbst den Gefallen und kommt hier her. Es vergeht glaube ich kein Tag, an dem man nicht gesagt bekommt, wie gut man aussieht. Das Beste sind die „Fakemarkets“. Lauter kleine, schnucklige Chinesinnen, die einem das Blaue vom Himmel runter lügen, nur um dich zum Kaufen zu kriegen – haha – aber ich muss zugeben, manchmal funktioniert es auch. Und ein positiver Nebeneffekt: Wenn man diese Fakemarkets durchlaufen hat, und man 56 mal gehört hat, wie gut man doch eigentlich aussieht, geht man wirklich mit einer etwas breiteren Brust und 200Kuai weniger im Sack wieder nach draußen auf die Straße.

Nun ja, jetzt aber wieder zurück zum Imagefilm. Die nächste „Szene“ bestand darin, dass wir gemeinsam an einem Tisch über irgendwelche Dinge sprechen, sodass es so aussieht, als ob wir gerade über irgendetwas angestrengt diskutieren. Bevor es dann losging kam aber noch eine Arbeitskollegin aus dem Stockwerk darunter zu mir, um mich zu fragen, ob ich nachher mal schnell zu ihr runter kommen könnte, sie habe zwei Projektpartner aus Frankreich zu Gast. „Na klar – sobald ich hier fertig bin, werde ich runterkommen“. Im Anschluss an unsere gestellte Diskussionsrunde kam dann schließlich die Produzentin wieder auf mich zu – nur dieses Mal nicht, um mir Komplimente zu machen, sondern um mich zu bitten, vor die Gruppe hinzustehen, und so zu tun, als ob ich ihnen irgendetwas erkläre. Mh – ich wollt es nur nochmal betont haben. Ich bin ein Praktikant. Aber das zählt hier in China wohl nicht. Naja – total verzottelt stand ich dann vor die Gruppe und hab ihnen etwas über mein Wochenende erzählt.

Wie schon angekündigt ging es im Anschluss für mich einen Stock tiefer zu meiner Arbeitskollegin mit den 2 französischen Projektpartnern. Im Meeting Raum angekommen, war schon alles perfekt vorbereitet - Beamer, Laptop – alles lief schon auf hochtouren. Schließlich begrüßte ich die zwei Franzosen mit ein wenig Small Talk und fragte meine Arbeitskollegin, was ich denn für sie tun könne. Jep – dreimal dürft ihr raten – der Laptop und der Beamer standen für mich bereit, da ich ja den Franzosen schnell das Fraunhofer Institut vorstellen könne. Und wieder: Planung, Vorbereitung, Informationsfluss? Ich muss mal in einem chinesischen Duden nachschlagen, ob sie diese Wörter überhaupt in ihrem Wortschatz haben. Leute – ich sags euch. Die Chinesen machen mich fertig. Aber ehrlich gesagt habe ich mich mittlerweile an diese Arbeitsweise gewohnt und empfinde es schon als normal, dass meine Spontanität hier etwas auf den Prüfstand gestellt wird.

Ich bin wirklich gespannt, was am Ende für ein Film rauskommt und wie lange die Szenen tatsächlich gehen. Aber eins ist sicher: Ab jetzt bin ich auf Dauer ein fester Bestandteil des „Beijing Research Center of Urban System Engineering“. Trotz dem das meine Zeit hier in Peking schon wieder in 1 ½ Wochen vorüber ist, werde ich aufgrund des Films wohl noch länger in deren Erinnerung erhalten bleiben. Im Anschluss an meine Zeit in Peking werde ich mich noch auf Backpacking Tour begeben, um weitere Teile Asiens zu entdecken. Aber mehr dazu im nächsten Blog.

Herzliche Freude und einen schönen dritten Advent!

Euer Philipp

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