Blog 11: Gründe? Gründe gibt es immer.


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November 16th 2012
Published: November 16th 2012
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Wer kennt sie nicht? Die Gründe, die es immer gibt. Dienen sie als Grundlage etwas Bestimmtes in Angriff zu nehmen oder eben als Ausrede, bestimmte Dinge sein zu lassen – fehlen werden sie in den wenigsten Fällen. So auch in diesem Bericht.

Erst einmal eine kleine Einführung: mein chinesischer Chef kam letzten Mittwochmittag auf mich zu und sagte mir, dass wir am gleichen Abend noch nach Tianjin fahren, was südöstlich von Peking liegt, um am Donnerstag einen Workshop zu besuchen. Davor würden wir uns jedoch noch mit Geschäftspartnern und Freunden von ihm zum Dinner treffen. Da ich ja mittlerweile die Spontanität und Flexibilität in Person bin (der Ursprung dafür liegt hauptsächlich an der Arbeitsweise der Chinesen), habe ich mich natürlich darauf gefreut, ihn begleiten zu dürfen.

Nun denn. Als wir schließlich abends unseren ersten Programmpunkt angingen und wir in einem guten Pekinger Restaurant ankamen, strahlten mir gleich sieben Männer, hauptsächlich Taiwanesen, entgegen. Los ging es dann selbstverständlich mit einer kleinen Vorstellungsrunde. Vom Doktoranden bis zum CEO war so ziemlich alles vertreten was Rang und Namen hat – achja – und nicht zu vergessen, mich: den Praktikanten.

Als wir nach ein paar Minuten alle Platz nahmen, saß ich zwischen einem kleinen, dauergrinsenden Chinesen und einem aufgeschlossenen, älteren Taiwaner. Unglücklicherweise hatte sich gleich herausgestellt, dass der Chinese zu meiner Linken geringfügige Probleme mit der englischen Sprache hatte – ihm es aber unglaublichen Spaß gemacht hat, seine bisher erlernte Kompetenz bei mir anzuwenden. Gut, da ich ja selbst auch nicht gerade ein native-speaker bin, habe ich zumindest versucht aus seinen Hieroglyphen einen Satz zu bilden. Ob meine Antworten jedoch immer seinen Fragen entsprachen, bleibt offen.

Zu meiner rechten saß jedoch ein sehr sympathischer und perfekt englischsprechender Taiwanese, der sich mir auch gleich annahm, um mir die chinesischen Bräuche bei einem Geschäftsessen zu erklären – worüber ich auch ziemlich froh war. Ansonsten wäre dieser Bericht mit Fettnäpfchen nur so gespickt.

Nun ja, vorerst wurde wie gewohnt üppig aufgetischt, sodass voraussichtlich das ganze Restaurant hätte satt werden können. Schon zu Anfang wurde mir erklärt, dass in China alles wichtige beim Dinner stattfindet. Sei es, ob es was auszudiskutieren gibt, ob Freundschaften geschlossen werden, ob Freundschaften gekündigt werden, ob man die Schwester des um drei Ecken verwandten Bekannten heiraten will oder ob Geschäftsverträge geschlossen werden. Das tägliche Geschäft sei nur reines Geplänkel.

Als dann schließlich fertig aufgetischt und auch das Bier serviert war, habe ich vorsichtig gefragt, ob man denn schon was trinken dürfe, da keiner der Anderen irgendeinen durstigen Anschein machte. Da wäre es gewesen – das Fettnäpfchen Nummer eins. Der „Chef“ am Tisch, der glücklicherweise mein Chef war, eröffnete die Runde, in dem allen munter zugeprostet wurde. Tja, und dann ging der Spaß, oder besser gesagt die Lehrstunde, los.

Auf der drehbaren Tischplatte war so ziemlich alles, was das Herz begehrt – zumindest konnte ich das vom Aussehen her beurteilen. Als dann schließlich ein lecker aussehender Teller voller Fleischstückchen vor mir stand, griff ich hungrig zu. Erst als ich das Grinsen meines Gegenübers bemerkte, fragte ich, was denn genau das sei. Weiterhin grinsend meinte er, dass er mir das sage, sobald ich es probiert habe. Gut, selbstverständlich waren in diesem Moment dann sämtliche Blicke auf mich gerichtet und es gab kein Zurück mehr. Rein damit. Ich muss zugeben, so schlecht hat es gar nicht geschmeckt – das Herz einer Ente.

Anschließend wurde mir auch erklärt, dass das Herz eine besondere Bedeutung in der chinesischen Küche hat. Man sagt, dass nicht der Kopf das Zentrum des Körpers ist, sondern alles Positive vom Herzen ausgeht. Und umso mehr man davon isst, desto besser lebt man.

Naja - trotzdem konnte ich es mir nicht verkneifen, darauf erst einmal einen Schluck Bier zu trinken – worauf ich aber prompt ein leichtes Räuspern meines taiwanesischen Lehrmeisters wahrgenommen habe. „Man trinkt nicht allein“ kam es von rechts. Er hob sein Glas und stoß mit mir an.

„Super“ dachte ich „das ist ja genau meine Welt – jedes Mal anstoßen bevor man etwas trinkt – endlich werde ich nicht mehr genervt angeschaut, wenn ich mein Glas erhebe - die Leute wissen was gut ist.“ Und zack, gab es schon den nächsten Rüffel. Dieses Mal jedoch von der geballten Englischkompetenz links von mir. Glücklicherweise hat er nun erst gar nicht versucht, mir meinen Fehler verbal zu erklären, sondern ist gleich auf Pantomime umgestiegen. Es hat zwar etwas gedauert, aber schlussendlich habe ich begriffen, dass der obere Rand des Glases der jüngeren Person beim Anstoßen immer zur Mitte des Glases der älteren Person geht, sodass das Glas des älteren das Glas des jüngeren überragt – aus Respekt vor dem Alter.

Als ich dann Gott sei Dank erst einmal aus dem Mittelpunkt raus war, konnte ich dem bunten und lustigen Treiben ein wenig zu sehen, um nicht gleich wieder in das nächste Fettnäpfchen hinein zu laufen. Ein Spektakel sag ich euch. Sagenhaft. Interessant zu beobachten war eigentlich, dass es mehr um das Trinken ging, statt um das Essen. Prinzipiell läuft das so ab: Es unterhalten sich zwei oder mehrere Personen, man stoßt an und trinkt – eigentlich gleich wie bei uns zuhause – doch es hat nicht lang gedauert bis ich rechts von mir dann die zwei Wörtchen „gan bei“ gehört habe, was so viel bedeutet wie „haus weg“ - und beobachtete zwei Taiwanesen, wie sie ihr Glas auf „ex“ tranken.

Mit sicherlich nicht ganz geschlossenem Mund fragte ich meine Person des Vertrauens, ob es denn Regeln gäbe, wann wer wie viel trinkt und wann geext wird. Seine Antwort darauf war eigentlich relativ simpel: „Der, der dem anderen das Glas hinstreckt, um anzustoßen, sagt an. Wenn es nicht gleich „gan bei“ heißt, dann vielleicht „ban bei“ (das halbe Glas) oder du trinkst so lange, so lange er trinkt.“ „Und muss man auch darauf achten, wann man trinkt? Gibt es spezielle Gründe dafür?“ fragte ich ihn weiter. Daraufhin lachte er nur und meinte: „Natürlich macht man das hauptsächlich nur bei speziellen Gründen“. „Ok“ dachte ich „dann trinkt man das Glas also nur in besonderen Situationen leer“ – doch dann fuhr mein Kollege rechts von mir weiter fort „ein Grund kann zum Beispiel das herunterfliegen der Stäbchen sein, ein anderer das die Cousine des Schwagers von dem, der dir gegenüber sitzt schwanger ist – Gründe – Gründe finden sich immer.“ Und schon war das Trinken in „besonderen Situationen“ relativiert. Ein Dritter Taiwanese am Tisch demonstrierte mir diese Erklärung dann auch gleich, in dem er meinte: „Philipp, schön dich kennen gelernt zu haben – gan bei“.



Von dem Moment an war mir klar – „ok, nüchtern stehst du heute Abend nicht mehr von dem Tisch auf“. Einer der Hauptgründe lag auch daran, dass der Tischnachbar immer darauf achten sollte, die Gläser der neben ihm sitzenden Personen nachzufüllen.

Nach einer geselligen halben Stunde wies mich mein taiwanesischer Kollege jedoch noch auf eine andere wichtige Sache hin. Und zwar ist es üblich, dem Kopf der Runde mindestens einmal am Abend den notwendigen Respekt zu zollen, in dem man aufsteht und ihm ein paar nette Worte sagt – selbstverständlich mit dem notwendigen „gan bei“ am Ende. Gut – gesagt getan. Aber ich glaube auch der Rest des Restaurants hat dabei zugesehen, wie ein jungfräulicher Ausländer in die chinesische Kultur eingeführt wurde. Ich muss an dieser Stelle jedoch meinem Chef zu Gute halten, dass er mich darauf hinwies, dies nicht alles mitmachen zu müssen. Aber wie heißt es so schön? Mitgehangen, mitgefangen – und schliesslich will ich ja auch was lernen.

Nun denn, ob mir das nun alles Wahrheitsgemäß beigebracht wurde, oder ob sie bei dem Ausländer vielleicht auch nur ein bisschen übertrieben haben, kann ich nicht beurteilen. Zumindest meinte mein Lehrmeister am Ende dann von rechts: „So, jetzt hast du ein bisschen mitbekommen, wie man hier in China richtig zu Abend isst – aber normalerweise müssen das Ausländer nicht mitmachen.“

Wenn ihr euch noch an den Anfang dieses Blogs erinnert, machten wir uns nach diesem Dinner erst noch auf den Weg Richtung Tianjin, um den am Donnerstag stattfindenden Workshop zu besuchen.

Freunde, wie gesagt – ob ich nun ein bisschen auf die Schippen genommen wurde oder nicht – diese Erfahrung ist und bleibt ein besonderes Erlebnis.

Herzliche Freude und gan bei!

Euer Philipp

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28th November 2012

Trinkabend
Ich sehe, dass du dich da jeden Tag ein bisschen bequemer fühlst :) Viel Spaß weiter!

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