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Published: October 8th 2010
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Auf der Sunderban-Tour lernte ich auch Rupak kennen. Rupak ist schlank, recht groß, trägt modische westliche Kleidung und spricht mehrere indische und westliche Sprachen, die er gerne und viel anwendet. Er hat ein Homestay in Kalkutta und macht auch Stadtführungen (siehe www.crazywanderers.com). Er war jedoch nicht unser Tourguide, sondern nahm mit zwei seiner Touristen an der Tour teil. Rupak ist außerdem sehr gesellig und schließt leicht Freundschaften und so lud er mich und Eran, einen Israeli, der ebenfalls an der Tour teilnahm, am nächsten Tag kurzerhand ein.
Punkt 8 Uhr nach indischer Zeitrechnung (in Wirklichkeit also etwa zwischen viertel und halb zehn) holte er uns von unserem Hotel ab und führte uns zur Wohnung seiner Schwester. Dieser hatte er von uns am Vortag am Telefon erzählt und sie hat prompt vorgeschlagen, dass wir bei ihr frühstücken. Rupak führte uns durch ein Viertel mit recht heruntergekommenen Häusern. Dies läge daran, dass die Leute bei gut aussehenden Häusern Geld zahlen müssten. Es war nicht ganz klar, ob er damit höhere Steuern oder eine Art Schutzgeld meinte. In der Tat zeigte sich, dass die Wohnung von Rupaks Schwester sauber und modern eingerichtet war. Rupaks Schwester ist Hausfrau und erwartet gerade ihr zweites Kind.
Ihre siebenjährige Tochter begrüßte uns in gutem englisch und wir bekamen ein paar süße und scharfe bengalische Snacks serviert. Obwohl Rupaks Familie Hindus sind, ist seine Schwester Muslima, da sie einen moslemischen Mann geheiratet hat. Zwischen Hindus und Muslimen gibt es in Indien oft Spannungen und es kommt auch immer wieder einmal zu Gewalttaten von beiden Seiten. In diesem Fall ist das zum Glück nicht so. Rupak ist sehr tolerant, er hat sogar eine christliche Adoptivtochter.
Anschließend zeigte uns Rupak einige der Sehenswürdigkeiten der Stadt, die wir noch nicht gesehen hatten, unter anderem die ST-Pauls-Kathedrale und ein Planetarium. Viel Zeit blieb nicht, da wir das Frühstück länger dauerte und wir bereits zum Mittagessen von Rupaks Onkel eingeladen waren. Außerdem ging Erans Flieger nach Delhi bereits am frühen Abend. Rupaks Onkel wohnte im nördlichen Teil der Stadt. Wir holten Erans Gepäck aus dem Hotel, da er von dort aus direkt zum Flughafen wollte. Danach stiegen wir in die einzige U-Bahn-Linie Kolkatas.
Ich hatte die U-Bahn zuvor schon ein paar Mal benutzt. Wie fast alle öffentlichen Verkehrsmittel in Kolkata ist sie meist überfüllt und wirkt ziemlich veraltet. Es gibt keine Ticket-Automaten, so dass man anstehen muss, um seine Fahrkarte zu
erhalten. Man nennt dem Verkäufer sein Ziel, gibt ihm den Betrag zwischen 4 und 10 Rupien und der wirft einem scheinbar lustlos die Karte entgegen. Die Hoffnung auf einen Sitzplatz im Zug braucht man gar nicht erst aufkommen zu lassen. An jeder Haltestelle herrscht ein ziemliches Geschubse und Gedränge und es ist erstaunlich, dass trotzdem jeder rechtzeitig zum Ausgang kommt.
An der Endstation Dum Dum (ausgesprochen "Damm Damm", so wie in "Weine nicht, wenn der Regen fällt, damm damm, damm damm...) stiegen wir in eine Auto-Ricksha. Hierbei handelt es sich um die indische Variante des aus Thailand bekannten Tuk-Tuks: ein umgebautes Mofa mit überdachtem Fahrer- und Passagierbereich, in das 5 bis 6 Passagiere gequetscht werden. (Die beiden vorderen sitzen auf schmalen sitzen neben dem Fahrer mit jeweils einer Backe) In Kolkata fungiert es als Gemeinschaftstaxi auf festen Routen, Ein- und Ausstieg sind jederzeit auf dieser Route möglich. Das Fahrgefühl entspricht dem der "Wilden Maus" auf dem Volksfest.
Nach einem kurzen Fußmarsch durch enge Marktgassen erreichten wir das Haus von Ruaks Onkel. Im Gegensatz zum Haus seiner Schwester ist dieses zwar alt, befindet sich aber auch äußerlich in einem guten Zustand. Davor befindet sich ein uriger Garten, in dem
auch eigenes Obst und Gemüse wächst. Das mehrstöckige Gebäude befindet sich schon seit Generationen im Besitz der Familie und hat eine klassische indische Einrichtung. Einige der Einrichtungsgegenstände sind hundert Jahre alt. Das Haus war geräumig und entsprach von der Größe her dem, was auch in Deutschand für eine vierköpfige Failie als angemessen angesehen würde. Die Familie gehört, soweit ich das beurteilen kann, der indischen Mittelklasse an. Wir wurden sehr herzlich von Rupaks Onkel und dessen Frau empfangen. Auch die Kinder im Teenageralter waren sehr freundlich und konnten gut englisch. Rupaks Onkel schien sehr gebildet. Nur Rupaks Tante konnte kaum Englisch, war aber dennoch eine gute Gastgeberin. Das Mittagessen war hervorragend. Es bestand aus Dhal (das indische Standart-Linsencurry), Reis, einer Art knusprigem Fladenbrot (von der Konsistenz ähnlich einem riesigen Kartoffelchip), Alu Gobi (ein Curry aus Kartoffeln und Blumenkohl), süßem Papaya-Chutney und indischem Joghurt.
Pappsatt machten wir uns auf den Weg, um Eran zum Flughafen zu bringen, der im Gegensatz zu den meisten anderen Flughäfen mitten in der Stadt liegt. Eran wollte Rupak als Dank und für ein Waisenhaus, mit dem Rupak in Kontakt steht (die Hälfte der Einnahmen des Homestays gehen an das Waisenhaus), 500 Rupie geben. Rupak reagierte beleidigt!
Zwar hatte er vorher immer von Freundschaft gesprochen, aber das tun andere auch und wenn sie vorher behaupten, keinen Lohn zu wollen, wird das Geld eben zur Sende deklariert. Rupak war hingegen der erste Inder in Erans Erfahrung, dem es nicht ums Geld ging! Er nahm nicht einmal Geld für die Transportkosten an. Er hatte alles aus eigener Tasche bezahlt.
Es war mittlerweile schon spät geworden. Da ich für abends einen Nachtzug nach Bodhgaya gebucht hatte, machten wir uns nach Erans Verabschiedung auf zur Sudder Street. Nach einer Paneer-Rolle zum Abendessen (gebratener indischer Käse in ein pfannenuchenähnliches Brot eingewickelt) fuhren wir mit dem Stadtbus im Schneckentempo an Nachtmärkten vorbei durch das abendliche Kolkata. Ein- und Ausstieg erfolgt durch Auf- und Abspringen vom fahrenden Bus. Nachdem wir mein Gepäck abgeholt hatten, ließen wir uns mit der Ricksha an den Bahnhof bringen.
Neben Auto- und Fahrradricksha gibt es in Kolkata auch noch die handgezogene Version, die man in Ländern wie China und Vietnam oder auch in anderen Regionen Indiens nur noch im Museum findet. Auf der Rikscha fanden Rupak, Ich und mein ganzes Gepäck Platz. Der Riksha-Wallah war ein schlanker, drahtiger Mann, der vermutlich älter wirkte als er war. Er
sah aus als ob er unter der schweren Last gleich zusammen brechen würde. Dennoch legte er die nicht kurze Strecke im Laufschritt zurück. Als Lohn gab es hierfür 80 Rupien, einschließlich Trinkgeld, das sind etwa 1,30€. So mancher mag diese Arbeit für unmenschlich halten und in der Tat hat die Stadtregierung in der Vergangenheit schon versucht, die handbetriebenen Rikshas zu verbieten. Die Riksha-Wallahs sind jedoch von dieser Arbeit abhängig. Sie müssen hiervon ihre Familien ernähren. Daher haben sie immer erfolgreich gegen das Verbot gekämpft.
Rupak blieb noch bei mir bis der Zug eintraf, er stieg sogar mit mir hinein und zeigte mir meinen Platz. Außerdem schenkte er mir noch eine Sicherheitskette, um das Gepäck zu anzuschließen und gab mir seine Telefonnummer, mit dem Hinweis, ihn bei Problemen in Indien anzurufen. Auch von mir wollte er kein Geld. Erst zehn Minuten vor der Abfahrt verabschiedete er sich.
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Clairchen
non-member comment
Sehr interessant, wie du das Leben der indischen Familie beschreibst. Auch die britischen Sehenswürdigkeiten in Kolkata (an die Umbenennung kann ich mich nur schlecht gewöhnen) sehen Klasse aus.