Sotará und Timbío


Advertisement
Colombia's flag
South America » Colombia » Popayan
September 29th 2008
Published: September 29th 2008
Edit Blog Post

Mit dem Ableben der letzten Kackerlacken gehört meine Nörgelphase endgültig der Vergangenheit an. Außerdem macht mir die Arbeit hier in Popayán von Tag zu Tag mehr Spaß. Im Büro der Organisation, die quasi im Mittelpunkt meiner Magisterarbeit steht, hat man immer ein offenes Ohr für mich. Überhaupt gefällt mir die Arbeitsatmosphäre dort ausgesprochen gut. Es herrscht „Open-Door-Policy“. Jeder kommt in das Büro des anderen, wann immer er Lust hat, fragt, tratscht, macht Witze, usw. Und ich bin Mitten drin. Ich kann mich mit meinem Laptop in den großen Arbeitsraum setzten, ihn ans Internet anstöpseln (wenn es denn Internet hat, denn die Verbindungen sind hier leider nicht die zuverlässigsten), die Dokumente der Organisation lesen und immer wenn ich Fragen hab, einfach in den Raum reden. Irgendjemand antwortet dann immer.

Meistens ist es Marcela. Sie arbeitet schon eine ganze Zeit im Laboratorio de Paz und ist äußerst hilfsbereit. Als ich andeute, dass ich gerne einmal eines der Projekte besuchen würde, ist sie sofort Feuer und Flamme und organisiert die nötigen Kontakte für mich. Und nach ein paar Tagen ist dann alles geregelt. Am Sonntag Morgen um 5 Uhr (schluck!) gehe mit Aparicio einem Paez-Indio, der ebenfalls für das Laboratorio arbeitet, ein Projekt besuchen. Es liegt etwa ein Stunde entfernt. Am Montag gehts dann um 6 Uhr zu einem anderen Projekt. Ich bin etwas erstaunt, hab ich doch aus dem städtischen Cali stets erfahren, dass man sofort umkommt, entführt wird meistens allerdings beides passiert, wenn man sich aus der Sicherheit der höchst unsicheren Städte entfernt. Mehrmals frage ich dezent nach, wie denn die Sicherheitslage so sei. Meistens ernte ich nur ein Schmunzeln mit dem Nachsatz, dass man in Europa schon ein ziemlich negatives Bild von Kolumbien haben muss. Leider muss ich das dann immer bestätigen.

Die meisten Personen, die im Laboratorio arbeiten hatten schon Kontakt zu den bewaffneten Gruppen. Sie wissen, wer wo das Sagen hat. Es klingt vielleicht paradox, aber dort wo der Drogenanbau gut organisiert ist, gibt es ein höheres Maß an Sicherheit als anderswo. Zuviel Geld steht auf dem Spiel. Es wird erzählt, dass in diesen Gebieten dann schon auch mal die Guerilla mit ihrem Erzfeind, den Paramilitärs, zusammenarbeitet um die nötigen Transportrouten für den Drogenschmuggel zu sichern und um für Ruhe zu sorgen.

Mir wird versichert, dass wenn ich mich mit den Leuten des Laboratorios bewege, die Gefahr gegen null geht. Trotzdem bin ich ungewöhnlich aufgeregt, als ich am nächsten Tag um 5 Uhr am Busterminal stehe und wir in die Klapperkiste nach Sotará einstiegen. Nach ein paar Minuten Fahrt überleg ich mir dann, warum unter normalen Gesichtspunkten jemand ausgerechnet diesen Bus überfallen sollte, bzw. jemanden aus dem Bus als Geisel nehmen sollte. Neben mir sitzt ein Campesino mit einem Hahn auf dem Schoß, daneben eine korpulente Mutter mit zwei Kindern, hinter ihr, zwei abgemagerte, halbwüchsige Indios. Und zwischendrin ich. Wenn also nicht gerade die Guerilla Stasi mitgekriegt hat, dass ich hier im Chicken-Bus unterwegs bin, wäre das ein recht mageres Ziel für einen Überfall.

Wie vermutet kommen wir ohne Überfälle und andere Zwischenfälle in Sotará an, genauer gesagt in Paíspambo, einem kleinen Dorf im Hochland. Dort soll heute ein Kommunikationsworkshop stattfinden. Als alternatives Entwicklungsmodell möchte sich die Gemeinde mit Hilfe der EU-Gelder und der technischen Unterstützung zu einer Ökotourismusregion entwickeln. Die Konzeption des Laboratorio sieht allerdings vor, dass dies nicht von Außenstehenden oktroyiert werden soll, sondern sich die lokale Bevölkerung selbst der Schwächen und Stärken ihrer Gemeinde bewusst wird. Das geht natürlich nur über gemeinsames diskutieren und um diese Diskussion zu strukturieren und ein wenig voranzubringen, sind die Leute des Laboratorios heute hier. Um 8 Uhr ist der Treffpunkt an der zentralen Kreuzung (bzw. der einzigen Kreuzung) des Dorfes angedacht. Um halb neun lässt sich der erste Dorfbewohner blicken. Aparicio versichert mir, dass das ganz normal sei. Eine Stunde Verspätung gehört hier zum guten Ton.

Als dann aber um halb zehn noch immer nur 2 Leute anwesend sind, wird es ihm langsam peinlich. Wir entschließen uns zu der etwas abseits gelegenen Finca zu wandern, in der der Workshop durchgeführt werden soll. Der Weg dort hin ist beschwerlich. Ich atme wie Kettenraucher. Das liegt aber nicht am Zigarettenkonsum, sondern daran, dass wir uns bereits auf 2700 Metern befinden. Es ist wirklich unglaublich, wie sich das für jemanden, der diese Höhenlage nicht gewohnt ist, auf die Kondition auswirkt. Dafür entschädigt die Landschaft einen mehr als genug. Die Vegetation ist fast ein bisschen mit der in Deutschland zu vergleichen. Zahlreiche Nadelbäume lassen einen vertrauten Wald entstehen. Darüber hinaus werden hier die Bullen für die Stierkampfarenen in Cali, Bogotá und Medellin gezüchtet.

Aber das wirklich beeindruckende sind die Menschen hier in dieser abgelegenen Region. Sie sind alle ca. ein bis eineinhalb Köpfe kleiner als ich, dafür aber von einer natürlichen Freundlichkeit und Herzlichkeit, die ihre wahre Größe ausmacht. Am Anfang sind sie etwas skeptisch. Ich bin es schon gewohnt, dass ich mit meinen blonden Haaren zunächst immer als „Gringo“ eingestuft werde. Wenn ich dann versichere, dass ich aus Deutschland komme, zaubert das meist ein begeistertes Lächeln auf die Gesichter (was weniger an meiner deutschen Herkunft liegt, sondern vielmehr daran, dass ich mit den USA nichts zu tun habe).

Am Ende unseres Aufenthaltes werde ich von allen umarmt und eingeladen doch möglichst bald wieder zu kommen. Eine kleine ältere Dame will mich gar nicht mehr loslassen. Sie plappert in Hochgeschwindigkeitsspanisch auf mich ein strahlt dabei über beide Ohren. Ich verstehe zwar nur die Hälfte aber lächle fröhlich zurück. Zum Schluss wollen alle Bilder von den Workshopteilnehmern zusammen mit mir. Das ganze zieht sich dann so in die Länge, dass wie beinahe noch den letzten Bus zurück nach Popayán verpassen. Aber Gott sei Dank hat die Unpünktlichkeit hier System und so erreichen wir den Bus trotz 15-minütiger Verspätung doch noch.

Das Aufstehen am darauffolgenden Tag fällt mir umso schwere. Wieder fahren wir mit dem Bus in ein nahe gelegenes Dorf - dieses Mal ist es Timbío. Es liegt direkt an der Panamericana und ist bereits um 7 Uhr morgens durch geschäftiges Treiben gekennzeichnet. Händler verkaufen hier ihre Früchte, aus den kleinen Gasküchen am Straßenrand duftet es nach frischen Empanadas und Platanos Fritos (frittieret Kochbananen).

Heute besichtigen wir ein Wasserschutzprojekt. Die Region, in die wir gleich aufbrechen werden, liegt derart abseits in den Bergen, dass es kein geregeltes Abwassersystem für die verstreuten Fincas der Viehzüchter gibt. Im Übrigen gibt es hier gar nichts. Der Schotterweg endet irgendwann und wir begeben uns zu Fuß auf einem verschlungenen Pfad weiter die Berge hinauf. Irgendwann ist auch dieser zu Ende und wir stehen mitten auf einer Viehweide. Ein paar Latino-Rinder liegen entspannt an einem Hang und blicken äußerst gelangweilt ins Tal.

Allerdings ist Viehzucht hier ein kompliziertes Element für das gesamte Ökosystem. Die Viehhaltung ist extrem extensiv. Was sich für die Rinder paradiesisch präsentiert, stellt für die restliche Flora und Fauna ein ätzendes Problem dar. Zum einen fordert diese Art der Viehhaltung extrem viel Raum, der durch die Abholzung des natürlichen Hochlandwaldes generiert wird. Zum anderen verschmutzen die Rinder beim Überqueren durch Schlammaufwirbelungen die kleinen Bäche, welche mit ihrem ohnehin geringen Wasserstand die Grundlage für die Wasserversorgung aller darstellen. Zusätzlich dazu wird jegliches Abwasser der Fincas einfach den Berg runter geleitet und landet dann schließlich in den so wie so schon gebeutelten Bächen. Daraus trinken dann wieder die Rindviecher, diese werden dann von den Viehzüchtern gemolken und wenn sie leer sind geschlachtet usw… Und am Ende schmeckt die Milch nach Wash&Go und das Steak nach DuschDas.

Weil mittlerweile auch die Viehzüchter eingesehen haben, dass die Bilanz am Ende auch recht negativ für sie selbst ausfällt, arbeiten sie mit dem Wasserprojekt des Laboratorio zusammen. Zunächst einmal geht es darum die Rinder von den Bächen abzuschneiden. Dies geschieht durch den Bau von Viehtränken und einer Abzäunung der Bachflächen. Gleichzeitig wird mit dem EU-Geld Land aufgekauft, auf dem, ebenfalls eingezäunt, wieder natürliche Waldflächen entstehen und so der heimischen Flora und Fauna als Rückzugsgebiet dienen. Als dritter wichtiger Baustein soll jede Finca eine Art ökologische Filteranlage erhalten. Diese muss man sich als ein im Boden versenktes Becken vorstellen, welches das Abwasser auffängt und mit allerlei ökologischem Filtermaterial gespickt ist. In einer Langzeitvision sollen die Viehzüchter dazu gebracht werden, ihre Einnahmequellen zu diversifizieren und im Rahmen von Subsistenzwirtschaft mehr Produkte wie Gemüse, Kartoffeln und Himbeeren anzubauen.

Wir besuchen mehrer der Fincas um uns die Anlagen anzuschauen. Da es hier draußen keine Strassen, ja nicht einmal richtige Pfade gibt, werden die Wege natürlich zu Fuß zurückgelegt und sind dementsprechend beschwerlich. Am schlimmsten ist das ständige Auf und Ab. Oben auf den Gebirgsausläufern weht eine steife Brise und es ist empfindlich kühl. Unten in den Tälern ist dann wieder schwül warm. Das ständige Jacke an und ausziehen ist recht nervig. Dafür sind auch hier die Landschaft und die Menschen einfach einmalig.

An einer hoch gelegen Finca machen wir eine kurze Rast. Wir reden mit dem Besitzer über das Projekt und seine Erfahrungen. Seine kleine, vielleicht 5-jährige Tochter nähert sich mir in respektvollem Abstand. Sie hat nur ein dünnes, ärmelfreies Sommerkleidchen an und zeigt keinerlei Anzeichen von Unterkühlung. Dazu trägt sie Flip-Flops.

Übelst gekränkt in meiner männlichen Ehre reiße ich mir sofort Jacke und Pulli vom Leib.

Gott ist das kalt hier! Nach einer Weile des Frierens hat die Kleine sich an mich gewöhnt und steht direkt neben mir. Mit ihrer linken Hand fährt sie vorsichtig über die Haare auf meinem Arm, die sich aufgrund der Kälte verzweifelt gen Sonne recken. Sie lacht vergnügt. Als ich ihr mit meiner Hand über den Kopf streiche schaut sie mich verdutzt an um dann schnell im Haus zu verschwinden.

Zum Abschluss besichtigen wir eine ökologische Kaffeeproduktion. Der Besitzer ist ein stolzer Mitt-Sechziger. Mit jedem Schritt, jedem Wort und jedem Atemzug merkt man, wie tief verwurzelt er mit dem Kaffeeanbau ist, wie sehr er diese Arbeit liebt. Voller Enthusiasmus exerzieren wir jeden einzelnen Produktionsschritt durch. Da ich meine seitherigen Qualitäten eher im Trinken von Kaffee gesehen habe, wusste ich über all dies nur recht wenig. Umso beeindruckender ist es einmal hautnah mitzuerleben, was alles an Arbeit notwendig ist (vom Züchten und Einsetzen der Kaffeesetzlinge, dem Düngen und korrekten Bewässern der älteren Pflanzen, dem Auswählen und Pflücken der perfekt gereiften Früchte von Hand, dem Waschen und Säubern, dem Entkernen, dem Trocknen der Bohnen an der Sonne, den ständigen Qualitätskontrollen und dem anschließenden Rösten) bis schließlich der 99.- Cent Cappuccino bei MC Donalds über die Theke geht. Ich nehme mir vor beim nächsten Mal nicht mehr zu meckern, wenn die Tasse „Fair Trade“ Kaffee wieder 5.- Cent mehr im Clubhaus oder in der Mensa kostet.

Zu Guter letzt mache ich noch ein obligatorisches Foto mit einer Kokapflanze. Wäre doch gelacht, wenn ich aus Kolumbien zurückkommen würde ohne einmal diese Gewächs gesehen und berührt zu haben. Unwissend wie ich bin, hätte ich unter normalen Umständen überhaupt nicht wahrgenommen, um was es sich hier eigentlich handelt. Die Koka-Pflanze ist genauso unscheinbar wie resistent. Man mag es gar nicht glauben, dass dieser Strauch mit seinen kleinen, scheinbar harmlosen Blättern so viel Leid und Elend verursacht.

Dabei ist die Einstellung vieler Kolumbianer zu dieser Pflanze durchaus ambivalent. Für die meisten ist es eine uralte Kulturpflanze, die beispielsweise bei Magenbeschwerden als Krankheitsmittel eingesetzt wird. Für die Indigenas, die Ureinwohner, ist die Kokapflanze ein heiliges Gewächs, das zu zeremoniellen Zwecken verwendet wird und in der Mythologie ihrer Vorfahren eine zentrale Rolle einnimmt. Sie verstehen zwar die Problematik und die möglichen Folgen des Kokaanbaus, wollen sich jedoch nicht aufgrund einiger Weniger ihre Identität nehmen lassen.

Diese Wenigen, die sich durch einen großflächigen Anbau eine goldenen Nase verdienen, haben natürlich andere Beweggründe für den Anbau. Aber oftmals haben auch sie keine wirkliche Wahl, da sie entweder kaum andere Perspektiven fürs Überleben haben oder aber durch bewaffnete Gruppen zur Pflanzung und zur Weiterverarbeitung gezwungen werden. In den allermeisten Fällen trifft beides zu.

Die Koka-Pflanze unseres Kaffeebauern ist nur zum häuslichen Gebrauch gedacht - als Gewürz für bestimmte Gerichte, als Mittel gegen Magenschmerzen oder als Tee. Eine Wirkung als Droge haben die Blätter der Pflanze in dieser Dosis nicht. Für 1 kg Kokain benötigt man etwa 200 kg getrocknete Kokablätter. Zudem ist der Herstellung von Kokain nur über ein chemisches Verfahren möglich. Also auch wenn ich die ganze Pflanze verspeisen würde, wäre die Wirkung höchstwahrscheinlich recht gering.

Nach dem Fotoshooting mit der Kokapflanze neigt sich der Tag auch schon bald dem Ende. Mit dem Jeep fahren wird zurück nach Timbío und nehmen anschließend den Bus nach Popayán. Am Abend bin ich brotfertig, nehme noch schnell eine eiskalte Dusche und falle dann glücklich und zufrieden ins Bett.



Additional photos below
Photos: 14, Displayed: 14


Advertisement



Tot: 0.071s; Tpl: 0.014s; cc: 5; qc: 44; dbt: 0.0442s; 1; m:domysql w:travelblog (10.17.0.13); sld: 1; ; mem: 1.1mb